Dass ich für ein Jahr in ein Entwicklungsland gegangen bin, hatte vor allem mit Neugier zu tun. Ich bin schon nach dem Zivildienst ein paar Wochen mit dem Rucksack durch Mittelamerika gereist. Aber da war ich immer nur für ein paar Tage an einem Ort. Jetzt wollte ich auch einmal an diesem Ort leben.
Auf der Internetseite von "weltwärts" habe ich mir verschiedene Anbieter angeschaut. Für den Nicaragua-Verein habe ich mich entschieden, weil der sehr viel Interesse an mir gezeigt hat. Die Vorsitzende hat mir auf meine Anfrage eine riesenlange E-Mail geschrieben, da habe ich mich gleich gut aufgehoben gefühlt.
Ich wollte natürlich gerne an einem Psychologie-Projekt mitarbeiten. Es gibt in La Paz Centro gerade einmal eine Psychologin für 40.000 Menschen. Bedarf wäre also da gewesen. Aber ich konnte zu Beginn nur sehr schlecht Spanisch, so dass es von vorneherein hieß, dass ich flexibel sein müsse.
Also habe ich die ersten vier Monate in einer Behindertenschule geholfen. Zunächst bin ich nur mit dem Lehrer mitgelaufen. Dann habe ich pro Tag drei bis vier Kindern Einzelunterricht gegeben. Zum Beispiel habe ich mit einem Jungen geübt, Laute zu formen.
Mein wichtigstes Projekt war eines für Frauen in entfernter gelegenen Dörfern. Gewalt in Familien, besonders gegenüber Frauen, ist in Nicaragua ein großes Problem, doch die Menschen reden nicht darüber. Gerade Frauen wollten nicht mit Fremden, die noch dazu nicht einmal fließend ihre Sprache können, über ihre Probleme sprechen. Also haben wir uns mit dem Nicaragua-Verein Hamburg, der Städtepartnerschaft Hamburg-Léon, zusammengeschlossen. Die arbeiten schon seit Jahren auf diesem Gebiet. Auch der Bürgermeister von La Paz Centro hat sich beteiligt, denn bei ihm arbeitet die einzige Psychologin der Umgebung.
Wir haben uns auf die Organisation beschränkt, also den Ortsvorstehern unser Projekt vorgestellt, einen Raum beschafft und den Geländewagen zur Verfügung gestellt. Nach einigen Monaten sind wir dazu übergegangen, die Frauen in den Gemeinden als Multiplikatoren auszubilden. Wenn ein Projekt dauerhaft erfolgreich sein soll, muss es schließlich von Einheimischen weitergeführt werden.
Zu erleben, wie die Frauen, die uns gegenüber zunächst sehr verschlossen waren, nach drei oder vier Sitzungen zu erzählen begannen - das war für mich das schönste Erlebnis. Am furchtbarsten war für mich, als ein Junge in meiner Nachbarschaft auf offener Straße von der Polizei erschossen wurde. Danach hat ein wütender Mob das Polizeipräsidium angezündet und es gab Berichte in den nationalen Medien.
e Als ich wieder nach Deutschland kam, musste ich mich vor allem an die Ruhe gewöhnen. Ich habe ja die ganze Zeit in einer Gastfamilie mit zwei Kindern und anderen weltwärts-Teilnehmern gewohnt. Das Haus stand allen offen, vom Geschäft der Großmutter nebenan kam oft Besuch.
Ich mache mir keine Illusionen: Der Aufenthalt hat mir noch mehr genützt als den Menschen in Nicaragua. "weltwärts" ist aus meiner Sicht weniger Entwicklungshilfe, sondern in erster Linie ein Bildungsprojekt.