VERNETZTE SICHERHEIT
In Afghanistan arbeiten Bundeswehr und zivile Helfer eng zusammen. Doch das Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit birgt auch Risiken
Im Nordafghanistan werden leer stehende Krankenhäuser wieder mit Leben gefüllt. Mehr als 280.000 Menschen versorgt die Nichtregierungsorganisation Kinderberg in den drei Provinzen Kundus, Badakhshan und Takhar. Unterernährte Kinder erhalten Lebensmittel, Mütter können entbinden. Das Projekt befindet sich im deutschen Einsatzbereich der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf). Stabilisierung und Wiederaufbau werden vom Verteidigungsministerium, dem Auswärtigen Amt, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie dem Innenministerium koordiniert.
"In Staaten wie Afghanistan konnte der Frieden nur noch von außen geschaffen werden", sagt Suzana Lipovac, Vorstandsvorsitzende von Kinderberg. "Die Menschen brauchen Soldaten für die Sicherheit und Entwicklungshelfer für den Wiederaufbau zugleich." Der Ansatz der seit 2001 in Afghanistan operierenden internationalen Schutztruppe lautet daher zivil-militärische Zusammenarbeit (Cimic). "Bundeswehr und zivile Kräfte tauschen sich regelmäßig über die Lage in der Region aus", berichtet Oberstleutnant Claus Wetzel, Leiter der Cimic-Einheit in Kundus. "Wir arbeiten mit 90 Prozent der Nichtregierungsorganisationen gut zusammen." Kinderberg war die erste Hilfsorganisation, die der Bundeswehr die Zusammenarbeit angeboten hatte. "Soldaten, die hilfsbedürftige Menschen auf ihren Patrouillen antreffen, verweisen sie an unsere Gesundheitseinrichtungen," sagt Suzana Lipovac. "Außerdem werden Schwerkranke, die weder in afghanischen Krankenhäusern noch von uns medizinisch betreut werden können in das Bundeswehr-Rettungszentrum gebracht. Dort werden sie im Rahmen freier Kapazitäten operiert, während wir die post-operative stationäre Nachsorge außerhalb des Feldlagers übernehmen."
Die Gründe für die Zusammenarbeit liegen vor allem in den traumatischen Erlebnissen während des Kosovo-Krieges 1999. Suzana Lipovac musste mit ansehen, wie sich die Nato-Kräfte nur auf ihr militärisches Engagement konzentrierten und die Bevölkerung nicht einmal mit Wasser versorgen konnte. Die internationale Gemeinschaft musste lernen, dass die Stabilisierung eines vom Bürgerkrieg zerrütteten Landes mehr bedarf, als des militärischen Sieges. Seitdem vertreten Vereinte Nationen, Nato und auch die deutsche Bundeswehr verschiedene Konzepte der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Bei der Bundeswehr spricht man von "vernetzter Sicherheit". "Entwicklungshilfe allein kann das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit in solchen Ländern nicht befriedigen", sagt der Bundestagsabgeordnete Hellmut Königshaus (FDP), Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Die Soldaten in Afghanistan mussten zeigen, dass sie nicht als Besatzer gekommen sind, wie die Russen früher, sondern um zu helfen."
Das Provincial Reconstruction Team (PRT) in Kundus wird von einer Doppelspitze aus einem militärischen Kontingentführer und einem Diplomaten des Auswärtigen Amts geleitet. Sie koordinieren das Vorgehen gegen die Taliban, den Aufbau von Schulen, Flughäfen und Krankenhäusern, die Ausbildung afghanischer Polizisten und Lehrer sowie die zahlreichen Projekte der Nichtregierungsorganisationen. "Nur so können wir dem Mandat der Vereinten Nationen gerecht werden", sagt Oberstleutnant Wetzel. "Wir wollen Sicherheit und Wiederaufbauhilfe aus einem Guss."
Doch immer häufiger gerät der neue Ansatz der vernetzten Sicherheit in Afghanistan unter Beschuss. Das Afghanische Sicherheitsbüro der Nichtregierungs-Organisationen (Anso) beklagt, dass nicht mehr zwischen militärischem und zivilem Engagement unterschieden werden kann. Die Taliban haben auch Entwicklungshelfer zu feindlichen Kräften erklärt und die Anschläge gegen zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser häufen sich. "Die Neutralität der Entwicklungshilfe steht auf dem Spiel", sagt Heike Hänsel (Die Linke), die ebenfalls im Entwicklungsausschuss sitzt. "Die Verschmelzung führt vor allem dazu, dass beides nicht richtig funktioniert, wie das Beispiel Afghanistan zeigt." Unabhängige Wissenschaftler befürchten die Unterordnung der Entwicklungszusammenarbeit unter die Sicherheitspolitik. Mitte Juli ist der dritte Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe bei einem Anschlag im Osten Afghanistans getötet worden, drei weitere wurden verletzt. "Bei uns bauen amerikanische Soldaten Brücken und Schulen", berichtet Katja Richter von der Deutschen Welthungerhilfe in Dschalalabad, Hauptstadt der umkämpften Provinz Nangarhar und Kommandogebiet der amerikanischen Isaf-Kräfte. "Wir meiden den Kontakt jedoch wie der Teufel das Weihwasser." Keine Abstimmung, keine Weitergabe von Informationen und vor allem keine gemeinsamen Projekte. "Jeglicher Kontakt würde die Akzeptanz bei der Bevölkerung aufs Spiel setzen und die Sicherheit unserer Mitarbeiter gefährden", sagt Richter. Die Taliban nutzen die zivil-militärische Zusammenarbeit, um die Entwicklungshelfer als Spitzel darzustellen. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, zivile Helfer hätten Informationen an das Militär weitergeben und seien über die nächsten Razzien und Luftschläge informiert. Richter berichet, in den Ostprovinzen des Landes sei "die Vermischung von zivilem und militärischem Engagement" sogar so weit gegangen, dass amerikanische Soldaten mit weißen, eigentlich den zivilen Kräften vorbehaltenen Autos, herumgefahren seien. "Sobald wir unser Automodell wechselten, taten sie das auch." Mittlerweile fährt die Entwicklungshelferin nur noch in alten, afghanischen Geländewagen zu ihren Projekten. Das Isaf-Oberkommando musste eine Richtlinie erlassen, die militärischen Einheiten den Einsatz weißer Autos verbietet.
"Die Amerikaner haben ihre Entwicklungshilfe ganz eindeutig der militärischen Strategie untergeordnet", sagt Wolf-Christian Paes vom Bonner International Center for Conversion. "Das Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit hat seine Wurzeln in der amerikanischen Aufstandsbekämpfung in Vietnam." In Dschalalabad beklagt die Deutsche Welthungerhilfe, dass die Projekte der Amerikaner weder langfristig angelegt, noch nachhaltig sind. "Die Mitarbeiter der amerikanischen Entwicklungshilfebehörde (USAID) trauen sich nur noch in die Dörfer, wenn sie von hoch bewaffneten Sicherheitskräften eskortiert werden", sagt Katja Richter. "Sie arbeiten weder mit der lokalen Bevölkerung zusammen noch genießen sie ihr Vertrauen."
Im deutschen Einsatzbereich in Nordafghanistan versuchen sich die Ministerien zwar zu koordinieren, die Aufgaben werden jedoch klar getrennt. "Kein Soldat baut bei uns eine Brücke oder eine Schule, das wird alles von afghanischen Organisationen geleistet," sagt Oberstleutnant Wetzel. BMZ-Referatsleiterin Christine Toetzke sagt: "Die Aufgabe der Bundeswehr ist die militärische Absicherung. Die Aufgaben der Entwicklungsexperten lauten Verbesserung der Grundbildung, Wasserversorgung und Wirtschaftsförderung. Unsere Mitarbeiter werden nicht militärisch eskortiert und arbeiten eng mit der Bevölkerung zusammen." Die Kinderberg-Mitarbeiter nutzen zwar die militärische Infrastruktur, etwa beim Transport von Material und Personen, stehen aber in engem Kontakt zu den Menschen, wie Suzana Lipovac erzählt: "Wir nehmen eine Vermittlerrolle ein, lernen voneinander. Keiner Seite wird etwas aufgezwungen."