KRITERIEN
Nothilfe oder Entwicklungszusammenarbeit? Wer langfristig Hilfe aus Deutschland bekommen will, muss ein paar grundsätzliche Bedingungen erfüllen
Wenn die Erde bebt, Wasser das Land überschwemmt oder Trockenheit die Ernte vernichtet, ist die Lage für ausländische Helfer klar. Im Katastrophenfall und in Notsituationen wird geholfen - unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Land ein Diktator herrscht und die Menschenrechte geachtet werden oder nicht. Die einzige, unangefochtene Devise in der EU wie in der Bundesrepublik lautet: In der Not brauchen Menschen Hilfe. Der Konsens reicht bis in die gemeinhin eher entwicklungspolitik-kritische FDP: "Es wäre undenkbar, Menschen verhungern oder ohne Obdach zu lassen, weil sie unter der falschen Regierung leben", erklärt deren entwicklungspolitischer Sprecher Hellmut Königshaus.
Ähnlich ist die Lage in der nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit: Wenn eine Nichtregierungsorganisation sich in der Lage sieht - und das mit einem plausiblen Konzept untermauert - mit ihrer Arbeit die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern, kann sie dafür staatliche Unterstützung beantragen: selbst in Nordkorea, wo die Welthungerhilfe landwirtschaftliche Kooperativen unterstützt, oder in Simbabwe, wo sich "Ärzte ohne Grenzen" um eine medizinische Grundversorgung kümmern. "Auch in Ländern, deren Regimes die Bundesregierung nicht unterstützen will, gilt: Humanitäre Hilfe ist wichtig und von Nöten", sagt Ingrid Hoven, Abteilungsleiterin Asien und Lateinamerika im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Dahinter steht neben der Feststellung, dass Menschen in Diktaturen nichts für ihre Regierungen können, die Hoffnung, demokratiefördernd Einfluss nehmen und sich mittels der internationalen Helfer manchmal überhaupt erst ein Bild der Lage vor Ort machen zu können.
"In Ländern wie Simbabwe oder Nordkorea ist jede Nichtregierungsorganisation ein Fuß in einer Tür, die nur einen kleinen Spalt geöffnet ist", sagt Hoven. Ute Koczy, entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ergänzt: "Wenn Sie etwas bewegen wollen, ist es immens wichtig, mit zivilen Organisationen vor Ort zu sein."
Andere Kriterien gelten in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, wenn also Deutschland mit seinen entwicklungspolitischen Institutionen - das sind unter anderem die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Entwicklungsbank der KfW Bankengreuppe - vor Ort ist. Dies ist derzeit in 58 Partnerländern von Ägypten bis Vietnam und in 21 weiteren Ländern, in denen die Bundesregierung Regionalprogramme durchführt, der Fall (s. Grafik auf den Seiten 4 und 5). Die Partnerländer müssen in erster Linie die Kriterien der "Good Governance", also der sogenannten guten Regierungsführung erfüllen. Dazu gehört die Armutsbekämpfung genauso wie eine transparente Wirtschaftsführung und rechtsstaatlich-demokratische Grundsätze - sprich Gewaltenteilung, ein funktionierendes Parlament und die demokratische Beteiligung der Bevölkerung.
Durchgesetzt hat sich der Begriff "Good Governance" Mitte der 1990er Jahre. Damals reifte die Erkenntnis, dass Fortschritt nicht allein eine Frage der wirtschaftlichen Entwicklung ist, sondern dass auch "schwache" Regierungen, Korruption, ineffiziente Verwaltungen und willkürliche Rechts- und Justizsysteme den Weg aus der Armut behindern.
Das geforderte Niveau hat mit dem westlichen Demokratiekonzept allerdings oft wenig zu tun: Auch Äthiopien und Sri Lanka, der Jemen und Ruanda sind Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Man könne nicht davon ausgehen, dass diese Staaten "perfekt seien - sonst wären es ja keine Entwicklungsländer", sagt Hoven. Streng geachtet werde aber zum Beispiel darauf, dass Länder internationale Menschenrechtsabkommen anerkennen würden.
Komplett aufgekündigt wird das Engagement nur in Extremfällen. Simbabwe, wo das Regime Robert Mugabes zu Beginn des Jahrtausends menschenverachtende Praktiken anwandte, ist so ein Fall: 2002 stellte Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit ein; erst seit Anfang des Jahres unterstützt das Bundesentwicklungsministerium wieder gezielt die Zivilbevölkerung und die Reformkräfte unter Morgan Tsvangirai.
Auf diese Weise wird häufiger die Art und Weise der Hilfe verändert: weg von Unterstützung, die das fragwürdige Regime im Zweifel noch stabilisiert, hin zur Hilfe für die von Unterdrückung betroffenen Menschen. So wurde in Sri Lanka, als die Regierung immer härter gegen die tamilische Minderheit vorging, der Ausbau der Energieversorgung eingestellt und durch die Unterstützung der Vertriebenen ersetzt.
Aktuell arbeitet das BMZ mit Hochdruck an einer Neuorientierung der Hilfe in Honduras: Dort ist mit dem Putsch gegen die Regierung Zelaya im Juni 2009 gleich der gesamte Verhandlungspartner im Partnerland abhanden gekommen.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.