KIRCHEN
In wirtschaftlichen Krisenzeiten müssen christliche Hilfsorganisationen beweisen, dass Solidarität mit den Armen keine Schönwetterveranstaltung ist
Der Imperativ kirchlicher Entwicklungshilfe stammt aus Brasilien: "Armut ist eine Beleidigung Gottes", lautete der Leitsatz von Don Hélder Câmara. Auch zehn Jahre nach dem Tod des "roten Bischofs" aus Recife bestimmt diese christlich-revolutionäre Maxime die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Armutsbekämpfung von unten lautet das Erfolgsrezept kirchlicher Hilfsorganisationen wie Misereor, Brot für die Welt oder der Kindernothilfe. Die Partnerschaft mit Gemeinden weltweit nährt bis heute den Glauben an eine gerechtere Welt.
Meisterstück der politischen Lobbyarbeit kirchlicher Entwicklungshilfe war die vor zehn Jahren beschlossene Entschuldungsinitiative. Auf dem G8-Gipfel 1999 in Köln einigten sich die Regierungschefs auf eine umfassende Entschuldung von 41 hoch verschuldeten Entwicklungsländern. 24 Staaten, darunter Bolivien, Kamerun und Tansania, wurden bereits tatsächlich ihre Auslandschulden gestrichen, um Investitionen in Bildung und Gesundheit zu ermöglichen.
"Durch die bis dahin beispiellose weltweite Mobilisierung der internationalen öffentlichen Meinung haben die Kirchen einen wesentlichen Beitrag zur Entschuldungsinitiative geleistet", lobt Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die damals an den Verhandlungen mitwirkte. Auch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit werde aus christlicher Motivation gespeist und orientiere sich am Leitsatz Don Hélder Câmaras. Die UN-Milleniumsziele seien deshalb so etwas wie die "acht Gebote für eine gerechtere Globalisierung und mehr Mitmenschlichkeit", sagt Wieczorek-Zeul.
Die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zahlt sich aus. Seit der Gründung der katholischen und evangelischen Zentralstelle für Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 1962 flossen insgesamt rund fünf Milliarden Euro vom Bund in die kirchliche Projektarbeit im Süden. Vom Jahr 2000 an wuchsen die Zuwendungen für kirchliche Hilfswerke aus dem Ministerium von 140 Millionen Euro auf 180 Millionen im Jahr 2008. Größter Posten auf katholischer Seite war 2007 mit rund 87 Millionen Euro Misereor, gefolgt von Caritas International, das im vergangenen Jahr Zuschüsse in Höhe von 9,8 Millionen Euro aus Berlin und 3,5 Millionen Euro aus Brüssel bekam. Die Arbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes wurde mit rund 97 Millionen Euro gefördert.
Doch auch ohne öffentliche Förderung ist langfristige Projektarbeit möglich. Unter den 15 größten Hilfsorganisationen in Deutschland befinden sich acht christliche Hilfswerke, darunter das Kindermissionswerk Die Sternsinger, das Internationale Katholische Missionswerk in Deutschland (Missio), die Bischöfliche Aktion (Adveniat) - das Lateinamerika-Hilfswerk der Katholiken in Deutschland - , Brot für die Welt und die Kindernothilfe. Sie finanzieren sich überwiegend aus Spenden. Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt, das in diesem Jahr sein 50. Jubiläum feiert, sammelte 2007 mehr als 50 Millionen Euro ein; die Kindernothilfe, die ebenfalls auf eine 50-jährige Geschichte zurückblicken kann, kam im vergangenen Jahr auf knapp 39 Millionen Euro Spenden. Doch wie umfassend der Spendenfluss in Zeiten der Finanzkrise anhalten wird, weiß niemand. "Am Patenkind sparen die wenigsten", meint Emily Kürten von der Kindernothilfe mit Verweis auf dieses Projekt. Bisher seien die Einnahmen nicht weggebrochen. Auch Hubert Tintelott, Generalsekretär des Internationalen Kolpingwerkes, attestiert den Deutschen Großzügigkeit. Allerdings sei die Krise nicht mehr zu leugnen: "Wir haben sogar mehr Spender", bilanziert er, "und dennoch weniger Einnahmen".
Der Kampf vor einem drohenden Bedeutungsverlust inmitten der milliardenschweren Konjunkturprogramme scheint viele christliche Hilfswerke jedoch erst recht anzustacheln. So warnt Misereor-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer davor, bewährte Grundsätze entwicklungspolitischer Zusammenarbeit über Bord zu werfen. "Entwicklungspolitik ist keine Schönwetterveranstaltung", so Sayer. Nächstenliebe werde in Krisenzeiten nicht außer Kraft gesetzt, sondern müsse im Gegenteil jetzt erst recht praktiziert werden.
Auch um das heikle Thema Aids redet der Misereor-Chef nicht herum: "Wenn in Swasiland 42 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv sind, schaut die Kirche nicht weg", sagt Sayer. "Ein Bischof erklärte mir bei einem Besuch, dass die Kirche vor Ort Kondome nicht zur Empfängnisverhütung, sondern zum Lebensschutz einsetze. Wir unterstützen die Arbeit unserer kirchlichen Partner." Auf der ganzen Welt sind Kirchen beim Thema Aids Vorreiter: In Südafrika liegt sowohl die Prävention als auch die medizinische Betreuung zu 80 Prozent in ihren Händen, international beträgt der Anteil rund 25 Prozent.
"Die Kirche kann natürlich nicht die staatliche Entwicklungszusammenarbeit ersetzen, aber sie kann mit breiter Brust auftreten", bilanziert Oliver Müller von Caritas International. Sogar in einem muslimischen Land wie Bangladesch genieße die katholische Caritas große Akzeptanz. In dem südasiatischen Land, das regelmäßig von Wirbelstürmen und Überschwemmungen heimgesucht wird, drängt Caritas auf die Errichtung von Schutzbauten. Nicht nur Armut ist eine Beleidigung Gottes. In den Augen des "roten Bischofs", Don Helder Camaras, verstößt auch der mangelnde politische Wille, die arme Bevölkerung gegen eine Katastrophe zu schützen, gegen Gottes Wille.
Die Autorin schreibt für den Rheinischen Merkur über entwicklungspolitische Themen