VON JOHANNA METZ
"Wenn der Reiche abmagert, verhungert der Arme." Dieser Satz des französischen Schriftstellers Alphonse Allais ist fast einhundert Jahre alt, aber doch aktueller denn je. Seit Herbst 2008 breitet sich die Wirtschafts- und Finanzkrise weltweit aus. Sie hat nicht nur die reichen Industriestaaten erfasst, sondern längst auch die ärmsten Länder der Welt erreicht - ein Krisen-Virus, gegen den es bisher keine Impfung gibt. Stattdessen gibt es die bittere Diagnose: Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) warnen, dass infolge der globalen Rezession bis zu 90 Millionen Menschen zusätzlich in absolute Armut geraten. Die Zahl der Hungernden droht auf mehr als eine Milliarde zu steigen. Wegen ausbleibender Kredite werden in 129 Staaten bald 270 bis 700 Milliarden Dollar fehlen - Größenordnungen, bei denen auch die internationalen Finanzinstitutionen überfordert sind.
Zurecht wird derzeit viel über die Krise hierzulande, in ganz Europa und den USA geschrieben und diskutiert. Doch diese Themenausgabe richtet den Blick bewusst aus unserem "Krankenzimmer" heraus auf jene Regionen der Welt, die längst in der Intensivstation angekommen sind: in die Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen die vom Westen verursachte Krise ihre schlimmsten Auswirkungen entfaltet. Hier kann die Wirtschaft nicht mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen wieder aufgepäppelt werden. Arbeitslose werden auch nicht von funktionierenden Sozialsystemen aufgefangen.
Dass ein Herumdoktorn an den Symptomen in dieser Situation nicht genügt, sondern eine ganzheitliche Therapie her muss, haben die meisten Industrieländer inzwischen erkannt. Und wie diese Themenausgabe zeigt, handeln sie auch: Erste Reformen bei IWF und Weltbank sind im Gang, es soll künftig mehr Mitspracherechte für die Entwicklungsländer und neue, weniger harte Kreditbedingungen geben. Statt wie früher auf Privatisierungen in den Nehmerländern zu drängen, wollen die Geber jetzt eher den Aufbau funktionierender staatlicher Institutionen fördern. Die Zauberworte heißt: gute Regierungsführung. Viele weitere Instrumente gewinnen an Bedeutung: Die Bundesregierung will künftig stark auf den Ausbau sozialer Sicherungssysteme in Entwicklungsländern setzen. Immer wichtiger werden außerdem die Friedenssicherung und der Ausbau erneuerbarer Energien.
Doch es gibt auch Rückschläge: Finanzielle Zusagen werden nicht eingehalten und die Welthandelsrunde Doha, einst zur Entwicklungsrunde ausgerufen, stockt. Industrie- und Entwicklungsländer konnten sich bisher nicht auf einen Kompromiss in der Handelpolitik einigen. Und die hochgesteckten UN-Millenniumsziele? Es scheint kaum wahrscheinlich, dass sie bis 2015 erreicht werden.
"Man kann nicht mehr hingehen und Trostpflästerchen verteilen", sagt der Leiter der Welthungerhilfe in Indien, Bernard Höper, in dieser Ausgabe. Die Diagnose ist klar: Es muss gehandelt werden. Sonst bleiben die Entwicklungsländer auf ewig Patient.