Öffentliche Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses am 14. Juni 2007
Aus Sicht Lothar Jachmanns hatten die im Februar 2002 vom Bremer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) über Murat Kurnaz gesammelten Erkenntnisse einen nur vagen Charakter. Sie hätten keinen Verdacht auf terroristische Aktivitäten des in der Hansestadt aufgewachsenen Türken gerechtfertigt. Vor dem Untersuchungsausschuss bezeichnete der pensionierte Ex-Vizechef des LfV am Donnerstag, dem 14. Juni 2007, die von Behördenleiter Walter Wilhelm im Dezember 2005 vorgenommene Wertung als "unprofessionell", wonach Kurnaz während seines Aufenthalts in Pakistan im Herbst 2001 aktiv den Kampf der Taliban und von El-Kaida unterstützt habe. Es habe ihn empört, unterstrich der Zeuge seine früheren Aussagen gegenüber Medien, dass solche Einschätzungen auf einer dünnen Verdachtslage getroffen worden seien, die sich zunehmend als nicht haltbar erwiesen habe.
Erkenntnisse konnten nicht zuverlässig und abschließend bewertet werden
Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und über Afghanistan im Februar 2002 nach Guantanamo gebracht worden, wo er bis zu seiner von Kanzlerin Angela Merkel erwirkten Freilassung im August 2006 einsaß. Laut Jachmann konnten die zu Jahresbeginn 2002 gegen den jungen Türken vorliegenden Erkenntnisse, die aufgrund des Verdachts einer geplanten Beteiligung am Dschihad gesammelt worden seien, nicht zuverlässig und abschließend bewertet werden. So habe etwa eine nachrichtendienstliche Quelle über eine Bremer Moschee, in der Kurnaz verkehrt sei, nur "lapidare Informationen" geliefert, später sei dann über diese Einrichtung nichts Relevantes mehr hinzugekommen.
Vorwürfe gegen Kurnaz seien im Herbst 2002 weitgehend ausgeräumt gewesen
Auf Nachfrage des Abgeordneten Thomas Oppermann bestätigte der Zeuge, dass er im Februar 2002 an übergeordnete Stellen auch Verdachtsmomente wie etwa Zeugenaussagen über Telefonate von Kurnaz weiterleitete, die nach Auffassung des SPD-Obmanns zu der Einstufung des Bremer Türken als Gefährder führten. Jachmann wies darauf hin, dass er diese Mitteilung unter den Vorbehalt gestellt habe, ein endgültiges Urteil sei nicht möglich. Für Jachmann waren, wie er vor dem Ausschuss erläuterte, die Vorwürfe gegen Kurnaz im Herbst 2002 weitgehend ausgeräumt. Dies habe er aus dem Bericht geschlossen, den im Bremer LfV ein Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) erstattet habe, der zuvor zusammen mit zwei Kollegen vom Bundesnachrichtendienst Kurnaz in Guantanamo verhört hatte.
Einreisesperre gegen Murat Kurnaz
Aufgrund entsprechender Äußerungen des BfV-Vertreters bei diesem Treffen, so der Zeuge, sei er davon ausgegangen, dass Kurnaz Weihnachten 2002 wieder bei seiner Familie sein könne und diese Angelegenheit bis dahin abgeschlossen sei. Allerdings habe der BfV-Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass die endgültige Entscheidung im Fall Kurnaz in Berlin getroffen werde. Ende Oktober 2002 hatten dann die Geheimdienstspitzen unter Leitung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier gegen den als potenziellen Gefährder eingeordneten Bremer Türken für den Fall seiner Freilassung durch die USA eine Einreisesperre verfügt. Nach Meinung Jachmanns hätte es schwerwiegende Konsequenzen für Kurnaz haben können, wenn aus seiner Sicht nicht gerechtfertigte Interpretation der Anfang 2002 über den Türken vorliegenden Erkenntnisse in die Hände von US-Stellen gelangt wäre. SPD-Obmann Oppermann warf dem früheren LfV-Vizechef vor, offenbar nur unzureichend über die seinerzeit gegen Kurnaz ermittelten Verdachtsmomente informiert zu sein.
Auftrag des 1. Untersuchungsausschusses
Die Bundesregierung hatte am 20. Februar 2006 dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages einen Bericht "zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus" vorgelegt. Zur Klärung von offenen Fragen, Bewertungen und gebotenen Konsequenzen wurde am 7. April 2006 der 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (GG) eingesetzt. Der Untersuchungsausschuss soll im Zusammenhang mit den Vorgängen aus dem Bericht klären, welche politischen Vorgaben für das Handeln von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Militärischem Abschirmdienst (MAD), Generalbundesanwalt (GBA) und Bundeskriminalamt (BKA) gemacht wurden. Ferner soll der Ausschuss untersuchen, wie die politische Leitung und Aufsicht ausgestaltet und gewährleistet wurde.
Zeugenliste:
Abgesetzt und auf den 5. Juli 2007 verschoben