Bundesregierung legt Gesetzentwurf vor
Der Vertrag von Lissabon war am Donnerstag, dem 13. März 2008, Thema der Kernzeitdebatte im Deutschen Bundestag. In Erster Lesung berieten die Parlamentarier Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und CDU/CSU sowie einen Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Damit der Reformvertrag wie geplant am 1. Januar 2009, vor den
Wahlen zum Europäischen Parlament, in Kraft treten kann, muss
er in allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden. Die
Bundesregierung hat hierzu einen Gesetzentwurf (
16/8300) vorgelegt, der die von deutscher Seite
notwendigen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des
EU-Vertrags schaffen soll. Insbesondere sei es notwendig,
heißt es darin, dass Bundestag und Bundesrat der im
Lissabon-Vertrag festgeschriebenen Übertragung von hoheitlich
nationalen Rechten zustimmen. Dies gelte etwa für den Bereich
der politischen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier lobte den
Reformvertrag: Trotz mancher Abstriche sei die Substanz des
früheren europäischen Verfassungsvertrags erhalten
geblieben. Nun müsse er aber „mit Leben
erfüllt“ werden - und dazu gehöre die
innerstaatliche Umsetzung, insbesondere die konkrete Ausgestaltung
der besseren Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente.
Um diese Mitwirkungsrechte umsetzen zu können, haben die Regierungsfraktionen dem Bundestag zwei weitere Gesetzentwürfe vorgelegt. Sie zielen darauf ab, einerseits die im Vertrag von Lissabon enthaltenen Bestimmungen zur Mitentscheidung von Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union zu regeln ( 16/8489). Zum anderen sollen sie die notwendigen Grundgesetzänderungen hierfür herbeiführen ( 16/8488). Konkret ist geplant, die Grundgesetz-Paragrafen 23,54 und 93 zu ändern, um die Mitwirkungsrechte umzusetzen, die der EU-Reformvertrag den Parlamenten der Mitgliedstaaten einräumt. So soll zukünftig der Bundestag vor dem Europäischen Gerichtshof wegen eines Verstoßes gegen das Subsidaritätsprinzip klagen dürfen, wenn dies ein Viertel der Abgeordneten beschließt. Bisher konnte nur die Bundesregierung eine solche Klage einreichen. Auch das Recht, eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, soll nun bei Zustimmung von 25 Prozent der Abgeordneten eingeräumt werden. Bislang wurde dafür ein Drittel der Stimmen benötigt.
In der Debatte am Donnerstagmittag bemängelte der FDP-Abgeordnete Markus Löning jedoch, die Ausgestaltung gerade der Subsidaritätsrüge, sei nicht „ganz gelungen“. Der Zeitrahmen, in dem die Bundestagsabgeordneten von ihrem neuen Recht Gebrauch machen könnten, sei mit acht Wochen zu knapp bemessen. Innerhalb dieser Frist ließen sich nur schwer Mehrheiten im Parlament herstellen.
DIE LINKE. übte hingegen grundsätzliche Kritik: Der Vertrag von Lissabon werde den Zukunftsherausforderungen wie Globalisierung, Klimawandel und Energiesicherheit nicht gerecht und setze die falschen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Ziele. Der Fraktionsvorsitzende Lothar Bisky forderte, der Vertrag müsse in allen EU-Ländern per Volksabstimmung ratifiziert werden.
In ihrem Antrag (
16/7446), der dem Plenum vorlag, plädierte
die Fraktion DIE LINKE. zudem dafür, den Reformvertrag in
allen europäischen Amtssprachen vorzulegen und den
Bürgern in gedruckter sowie in elektronischer Form
zugänglich zu machen.
Der Vertrag von Lissabon wurde am 18. und 19. Oktober 2007 in Brüssel verhandelt und schließlich am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Sein Ziel ist es, die Europäische Union transparenter und handlungsfähiger zu gestalten und auf eine neue, einheitliche Rechtsgrundlage zu stellen. So enthält er essentielle Neuerungen, wie Regelungen zur Subsidiarität, zur Kompetenzordnung und zur Bürgerbeteiligung. Institutionelle Änderungen gibt es insbesondere bei den Entscheidungsverfahren und bei der außenpolitischen Vertretung der Europäischen Union.
So sieht der Reformvertrag vor, dass die Kommission künftig
verkleinert und der Anwendungsbereich der qualifizierten Mehrheit
ausgeweitet werden soll. Abstimmungen sollen damit einfacher und
effektiver werden. Ab 1. November 2014 soll im Rat bei
Entscheidungen zudem das Prinzip der "doppelte Mehrheit" gelten:
Beschlüsse werden demnach nur angenommen, wenn 15
Mitgliedstaaten dafür stimmen und diese 65 Prozent der
EU-Bevölkerung repräsentieren.
Andere Neuerungen betreffen den Ausbau der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die in Zukunft von einem "Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" vertreten werden soll. Eine Aufwertung erfährt das Europäische Parlament: Es wird neben dem Rat gleichberechtigter Mitgesetzgeber und Teil der Haushaltsbehörde.
Die geplante Grundrechtecharta wird zwar nicht Teil des Vertragstextes, erhält aber durch die explizite Bezugnahme im Lissabon-Vertrag Rechtsverbindlichkeit. Für Großbritannien und Polen gelten Ausnahmeregeln.
Auf den Namen "Verfassung" wird im Vertrag von Lissabon
verzichtet, ebenso wie auf Symbole oder Begriffe, die an
Staatlichkeit erinnern. So soll die Europäische Union
weiterhin keine "Gesetze" erlassen, sondern Verordnungen und
Richtlinien.
Ausgearbeitet wurde der Reformvertrag, nachdem der geplante europäische Verfassungsvertrag zuvor gescheitert war. Die Mehrheit der Franzosen und Niederländer hatte 2005 in Volksentscheidungen gegen eine europäische Verfassung gestimmt. Eine Ratifizierung war daher nicht möglich.