Öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses
Experten bewerten das Vorhaben der Bundesregierung, jugendliche
Straftäter unter bestimmten Umständen nachträglich
in Sicherungsverwahrung zu nehmen, überwiegend negativ. Der
Rechtsausschuss hatte zu einem entsprechenden Gesetzentwurf der
Regierung (
16/6562) am Mittwochnachmittag eine
öffentliche Anhörung veranstaltet.
Gerhard Schäfer, ehemaliger Vorsitzender
Richter am Bundesgerichtshof aus Stuttgart, sagte, das Interesse
der Allgemeinheit am effektiven Schutz vor hochgefährlichen
Straftätern sei zu respektieren. Es sei auch anzuerkennen,
dass der Entwurf sich bemühe, die Voraussetzungen für
eine nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Anwendung des
Jugendstrafrechts so einzuengen, dass diese in der Tat als "ultima
ratio" verstanden werden könne. Dennoch habe er starke
Vorbehalte. Diese beruhten in erster Linie darauf, dass bei jungen
Menschen die laut Entwurf geforderte Beurteilung der
Gefährlichkeit nicht verlässlich festgestellt werden
könne. Daneben erwarte er negative Auswirkungen auf den
Vollzug bei Verurteilungen zu Jugendstrafen von sieben Jahren und
mehr.
Arthur Kreuzer, ehemaliger
Universitätsprofessor und Direktor des Instituts für
Kriminologie an der Universität Gießen, empfahl dem
Bundestag, ehe er das Gesetz verabschiede, sollte er über eine
grundsätzliche Neukonzeption des gesamten
Sicherungsverwahrungsrechts nachdenken. Thomas
Ullenbruch, Richter am Amtsgericht Emmendingen, war der
Auffassung, die geplante Neuregelung verstoße gegen das
Grundgesetz. Er forderte den Rechtsausschuss auf, die Sache ad acta
zu legen. Stattdessen empfahl er, die Bundesregierung solle eine
Kommission einsetzen, die den staatlichen Handlungsbedarf zum
Schutz vor Wiederholungstätern aller Altergruppen prüfen
müsse.
Privatdozent Dieter Seifert vom Institut
für Forensische Psychiatrie der Universität
Duisburg-Essen erklärte, es komme darauf an, den
gefährlichen Jugendlichen , der eine schwere Straftat bei
voller Schuldfähigkeit begangen habe und mit hoher
Wahrscheinlichkeit weitere schwerwiegende Straftaten begehen werde,
möglichst treffsicher zu identifizieren. Professor
Jörg Kinzig von Universität Tübingen lehnte
die Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung
für Jugendliche ab. Ein Zugewinn an Sicherheit für die
Bevölkerung sei durch die beabsichtigte Regelung nicht
erkennbar. Statt der erneuten Ausweitung der Sicherungsverwahrung
sollte die Regierung über einen "kriminalpolitischen
Kurswechsel" nachdenken.
Edwin Pütz, Leiter der Jugendarrestanstalt
Düsseldorf, war anderer Meinung: Die geplante Änderung
des Jugendgerichtsgesetzes sei eine sinnvolle und seines Erachtens
notwendige Ergänzung des jugendgerichtlichen Katalogs an
Sanktionen. Er warnte davor, die Augen vor der Wirklichkeit zu
verschließen: Auch unter jungen Menschen gebe immer wieder
solche, die in ihrer Art und ihrem Verhalten keinerlei Respekt vor
dem Leben oder der Freiheit anderer Personen hätten. Sie
eigneten sich diese Eigenschaften auch nicht während der
Verbüßung einer Jugendstrafe an. Wenn während des
Vollzuges einer Jugendstrafe erkannt werde, dass der Gefangene nach
wie vor gefährlich sei, weil er eben nicht über die
für eine positive Prognose erforderlichen Eigenschaften
verfüge, müsse es dem Staat möglich sein, dieser
Gefahr durch geeignete Maßnahmen zu begegnen.
Matthias Konopka, Leiter der Justizvollzugsanstalt Straubing, begrüßte ebenfalls den vorliegenden Gesetzentwurf. Angesichts steigender Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden sowie einer bislang teilweise zu beobachtenden Gleichgültigkeit im Verhalten während des Vollzuges sei dringender Handlungsbedarf gegeben. Er sprach sich darüber hinaus dafür aus, die Strafe, bei der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, auf fünf Jahre herabzusetzen.