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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Schalom, Deutschland!
Gültig ab: 05.08.2009 17:23
Autor: Lydia Harder
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Schalom, Deutschland!

Michael Rimmel, Yoav Sapir, Radmila Abramov und David Cahn
Michael Rimmel, Yoav Sapir, Radmila Abramov und David Cahn (v. l. n . r.) sind die ersten israelischen Teilnehmer des Interparlamentarischen Patenschafts-Programms
© DBT/Werner Schüring

Interparlamentarisches Patenschafts-Programm

Jedes Jahr besuchen 120 ausländische Stipendiaten den Bundestag. 2009 kamen erstmals auch israelische Studenten, um im Parlament zu arbeiten. Vier junge Israelis und ihre Geschichten.

Die deutsche Parteienlandschaft ist kaum wiederzuerkennen. Das liegt daran, dass sie von 120 jungen Leuten aus 28 Ländern aufgefrischt wird. Beim Abschlussabend der Bundestagsstipendiaten an der Technischen Universität Berlin führen die Teilnehmer den Abgeordneten und Botschaftern kurze Sketche vor. Soeben trägt der Vorsitzende der Fraktion „Die Pinke”, ein stimmgewaltiger Osteuropäer mit rotem Schal, sein Anliegen vor: „Currywurst für alle.” Dann sind die Liberalen dran, repräsentiert vom Israeli David Cahn, der in schweizerischem Akzent die Steuerfreiheit für den Anbau von „Rübli” fordert. Die Bundestagsmitarbeiter sind amüsiert, manche summen leise mit, als ein Grüppchen auf der Bühne trällert: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Wirtschaft nicht.” Danach jodelt die Partei „Süd und Gut”, und „Bündnis 09/Die Schönen” werben für Umweltschutz. Im Lichthof der Universität haben die Stipendiaten Infostände aufgebaut. Eine Aserbaidschanerin im Trachtenkostüm verteilt Gebäck, eine Ukrainerin schneidet Salami in Scheiben. Diesmal gibt es zum ersten Mal auch einen israelischen Stand. Dort bietet Radmila Abramov, 28 Jahre alt, Fähnchen, Landkarten und Broschüren an. „Gekocht habe ich nichts”, sagt die junge Frau mit den dicken schwarzen Locken entschuldigend. Sie trägt eine kleine Brille, ihr Akzent verrät ihre Herkunft.

Der Klang des Deutschen

Radmila Abramov
Radmila Abramov
© DBT/Werner Schüring

Radmila ist im russischen Derbent geboren, einer fünftausend Jahre alten Stadt am Kaspischen Meer, deren Zitadellen, Kirchen und Moscheen vom Wechsel der Geschichte künden. Während ihrer Kindheit war Derbent noch ein Urlaubsparadies der Sowjets. Dort leben Juden, Christen und Muslime halbwegs friedlich nebeneinander. Radmila war die einzige Jüdin in ihrer Schulklasse und hoch motiviert, es allen zu zeigen. Ihre Eltern, eine Geschichtslehrerin und ein Ingenieur, erteilten ihr Extraunterricht. Mit der deutsche Sprache war sie schon zu Sowjetzeiten in Kontakt gekommen: Ihre Mutter hatte eine Brieffreundin in der DDR, im Rahmen eines deutsch-sowjetischen Austauschprogramms. Sie hatte russische Freunde und fühlte sich integriert. Nur einmal erkundigte sich ein Nachbarskind, ob die Juden das Brot zum Passahfest wirklich mit Blut backten. Wenngleich die Mutter sich in Russland wohlfühlte, sehnte sich der Vater immer nach Israel. Als dann mit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch der Weg in das Heilige Land frei wurde, plante die Familie ihre Auswanderung. Als Fünfzehnjährige kam Radmila vom Kaspischen Meer ans Mittelmeer, in die Stadt Netanya. Sie saugte die hebräische Sprache auf, beherrschte sie nach kurzer Zeit, studierte Internationale Beziehungen in Jerusalem. Und weil sie den Klang des Deutschen mochte, lernte sie diese Sprache eben auch noch.

Austauschprogramme brachten Radmila nach Zürich, Wien, Heidelberg und Dresden. „Gerade Dresden hat mich ein bisschen an den früheren Ostblock erinnert: die Architektur, die Mentalität, die Spezialisierung auf technische Berufe.” Zudem absolvierte sie ein Praktikum beim Europaparlament in Brüssel. Zurück in Israel bewarb sie sich beim IPS-Programm des Deutschen Bundestages. Sie überzeugte Gerda Hasselfeldt im Gespräch – die Vizebundestagspräsidentin setzte sie in ihrem Büro ein. Das war im März. Seitdem beschäftigt sich Radmila mit innen- und außenpolitischen Themen und begleitet Frau Hasselfeldt in den Wahlkreis und auf Reisen. Und sie lernt auch ganz exotische Dinge kennen, wie den altchinesischen Frauenverband oder die afrikanische Tafelrunde. Später einmal will Radmila in der europäischen Politik arbeiten.

Der Himmel über Jerusalem

Yoav Sapir
Yoav Sapir
© DBT/Werner Schüring

Ihr Mitstipendiat Yoav Sapir dagegen sieht sich eher in der Rolle eines jüdischen Intellektuellen. Derzeit macht der schmale 29-Jährige eine Rabbinerausbildung in Heidelberg. Eigentlich war Religion in seinem Elternhaus nur ein Thema unter vielen. Yoavs Vater wurde im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht nach Asien geboren. Alle Familienmitglieder, die den Holocaust überlebten, wanderten nach Israel aus. Doch ihr Schiff wurde wie zahlreiche andere von der britischen Armee abgefangen, die Insassen wurden drei Jahre lang in einem Lager auf Zypern festgehalten. Schließlich kamen sie zu viert in Haifa an. Yoavs Vater heiratete später eine Jüdin, die aus Ostgalizien stammt, einem Landstrich in der heutigen Ukraine. Er reiste oft nach Deutschland und beschäftigte sich intensiv mit der deutschen Geschichte. Das färbte auch auf den Sohn ab. Yoav verschlang Literatur über Deutschland, für ihn ein „Faszinosum”. Im Alltag war das „Dritte Reich” ebenso präsent wie das Gedudel von Modern Talking. Wie Radmila zog es auch Yoav zum Studium nach Jerusalem. Die Heilige Stadt überwältigte ihn: „Sie fordert den Menschen intellektuell und psychisch heraus und bringt ihn an seine Grenzen.” Ein altes Sprichwort besagt, dass der Himmel in Jerusalem tiefer liegt, was gleichzeitig für eine gewisse Enge, aber auch für eine Nähe zu Gott steht. „In Jerusalem kommt man nicht um Gott herum.” In seiner Magisterarbeit befasste er sich mit dem Bild des Juden im DDR-Spielfilm. Er fand heraus, dass in dem Arbeiter- und Bauernstaat trotz eines scharfen Antizionismus zahlreiche Filme mit jüdischer Thematik gedreht und ausgestrahlt wurden. „Juden wurden als ganz gewöhnliche Menschen dargestellt, denen ihre angebliche Andersartigkeit erst von den Nazis aufgezwungen wurde.” Als Student ging Yoav auf eine Studienreise, die sich mit jüdischem Leben in Deutschland beschäftigte: „Ich habe zwei Wochen lang Friedhöfe besucht.” Das jüdische Leben in Deutschland hält er für ziemlich leblos. Besonders vermisst er eine bildungsbürgerliche Schicht, wie es sie vor dem Holocaust gab. Yoav setzt sich mit jüdisch-deutschen Themen auseinander, schreibt in einem Blog darüber ( www.chronologs.de/yoavsapir). Seit März ist er als Stipendiat im Büro des grünen Abgeordneten Jerzy Montag, dort bereitet er unter anderem Fachgespräche vor. In einer kleineren Fraktion zu arbeiten, findet er vorteilhaft, ein Abgeordneter hat dort mehr Aufgaben. Und er weiß es zu schätzen, dass eine Opposition im Parlament Einfluss ausüben kann, etwa wenn sie bei Ausschussanhörungen kritische Fragen stellt. Er vermisst jedoch große, bahnbrechende Entscheidungen und Visionen. Seine Rabbinerausbildung läuft seit 2007. Er suchte damals eine intellektuelle Herausforderung. „Man muss als Theologe ja nicht unbedingt in einer Gemeinde arbeiten”, erklärt er. Neben dem jüdischen Leben fehlte in der Bundesrepublik auch jüdisches Denken. „Deutsche Denker haben kaum jüdische Ansprechpartner.” Ein solcher will er werden, ein wandernder jüdischer Intellektueller.

Michael Rimmel
Michael Rimmel
© DBT/Werner Schüring

Natürlich werden sich viele Stipendiaten an einer Karriere in der Politik versuchen. Die Investition in den Nachwuchs ist also gleichzeitig ein diplomatischer Akt. So sieht das Michael Rimmel, der im Büro des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert arbeitet. Der Sohn deutschstämmiger Juden ist in Haifa aufgewachsen. Michaels Großvater und Vater waren nach dem Zweiten Weltkrieg in die nordisraelische Hafenstadt übergesiedelt. Der Großvater, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gedient hatte, blieb seinem Heimatland immer verbunden. In Israel angekommen, eröffnete er einen Buchladen. Die deutsche Sprache war in den Anfangsjahren nach der israelischen Staatsgründung verpönt. Doch nach und nach verkaufte Michaels Großvater immer mehr deutsche Literatur und Zeitungen, saß im Buchladen und las seinen „Spiegel”. „Die Menschen wollten wieder wissen, was in Deutschland passiert”, erklärt Michael.

Freunde fürs Leben

Nach dem Abitur in Haifa absolvierte Michael seinen Grundwehrdienst, zu dem Männer wie Frauen in Israel verpflichtet sind. Er war Fallschirmspringer und Ausbilder. Zu diesen drei Jahren, in denen er ungefähr vierhundert Mal aus Flugzeugen gesprungen ist, hat er ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits war es die intensivste Zeit seines Lebens, seine engsten Freunde fand er bei der Armee. „Man kennt sich in- und auswendig, weil man immer zusammen ist.” Andererseits plagte ihn eine große Freiheitssehnsucht. Danach machte er das, was beinahe alle Israelis nach dem Dienst tun: Abenteuerurlaub. Er bereiste Lateinamerika und die Vereinigten Staaten und genoss die wiedergewonnene Freiheit. Michael findet, dass der Wehrdienst anders geregelt werden müsste, da auch immer weniger Israelis dazu bereit wären. Die Bezahlung müsste verbessert werden, nach den verlorenen drei Jahren müsste man sofort einen Studienplatz erhalten. Michael hat seinen Bachelor in Politikwissenschaften in Berlin gemacht, nun arbeitet er an seinem Master in Tel Aviv. Er befasst sich mit Friedens- und Konfliktforschung, auch sein eigenes Land betreffend. Was israelische Politik angeht, ist er eher links orientiert, setzt aber dennoch etwas Hoffnung in die neugewählte rechte Regierung unter Benjamin Netanjahu. Er zitiert ein altes Sprichwort: „Linke können Kriege führen, Rechte können Frieden schließen.” So seien Friedensverhandlungen auch unter rechten Ministerpräsidenten geführt worden, wie etwa Menachem Begin, der 1979 Frieden mit Ägypten machte.

David Cahn
David Cahn
© DBT/Werner Schüring

Friedliebend geht es auch beim Stipendiatenabend zu. David Cahn, der Schweizer mit israelischem Pass, steht mit Anzug und Krawatte am Israeltisch und übt sich schon mal in den bilateralen Beziehungen. Er verteilt Aufkleber mit einem Kussmund und der Aufschrift „Schalom”. Ihm schwebt eine diplomatische Laufbahn vor. Dass er eben noch auf der Bühne einen FDP-Abgeordneten mimte, war aber Zufall. Eigentlich arbeitet er für die Unionspolitikerin Gitta Connemann. In den vergangenen Monaten hat er viel Büroarbeit erledigt und Ausflüge gemacht, etwa nach Brüssel, wo die Stipendiaten das Europaparlament und das Nato-Hauptquartier besuchten. Davids Zeit in Deutschland endet in wenigen Wochen, wenn die bunte Stipendiatenmischung wieder in ihre Heimat zurückkehrt – zwischen Kaspischem Meer, Ostsee, Mittelmeer und Atlantik.

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Text: Lydia Harder 
Erschienen am 7. August 2009

Das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS)

Der Deutsche Bundestag bietet zusammen mit drei Berliner Universitäten jedes Jahr etwa 120 qualifizierten jungen Menschen aus 28 Ländern Praktika an. Die Stipendiaten arbeiten in Abgeordnetenbüros, wo sie Reden, Artikel und Briefe schreiben und den Wahlkreis ihres Abgeordneten besuchen. Außerdem sind sie für ein Semester als Studenten der Humboldt-Universität eingeschrieben und werden in die politischen Stiftungen eingeführt. Ziel des Programmes ist es, die Beziehungen mit den teilnehmenden Ländern zu fördern.

www.bundestag.de/ips


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