ENergiegewinnung
Der Bau von Windkraftanlagen in der Ostsee ist aufwändig und risikoreich, der Ertrag vergleichsweise gering. Dennoch setzt Mecklenburg-Vorpommern auf die regenerative Energie.
Eines der Windräder heißt Sophie und mahnt: "Erhaltet die Meere". Sophie ist eine von vier Windkraftanlagen des Kunst-Windparks Lübow, südlich von Wismar an der Ostseeküste gelegen. Künstler haben die Türme bis in eine Höhe von 15 Metern gestaltet. Windrad Sophie zeigt einen großen Seestern und ein Seepferdchen.
Es ist kein Zufall, dass gerade die Windkraft für den Erhalt der Meere wirbt. Und es ist auch kein Zufall, dass dies gerade an der Ostsee geschieht. Denn die Ostsee ist vom globalen Klimawandel besonders betroffen. Zwischen 1861 und dem Jahr 2000 hat das Binnenmeer sich bereits um 0,08 Grad pro Jahrzehnt erwärmt - global sind die Meere im Durchschnitt nur um 0,05 Grad wärmer geworden. Und die Prognosen für die Ostsee sind fatal, sofern der Klimawandel ungebremst voran schreitet: Um drei bis fünf Grad dürfte sich die Ostsee in diesem Fall bis zum Ende des Jahrhunderts erwärmen. Um das zu vermeiden, soll nun auch die Windkraft helfen.
Deshalb hat das Land Mecklenburg-Vorpommern sich jenes große Ziel gesetzt, vor dem andere Länder sich noch scheuen: Das Umweltministerium in Schwerin hält eine Vollversorgung des Landes aus regenerativen Quellen bis zum Jahr 2050 für realistisch. Schließlich ist Mecklenburg-Vorpommern in dieser Hinsicht schon heute viel weiter als die meisten anderen Bundesländer: 33 Prozent des Stromverbrauchs im Land deckt die Windkraft bereits - nur Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein liegen noch wenige Prozentpunkte höher. Rund 1.200 Anlagen mit zusammen 1.233 Megawatt Leistung waren Ende 2006 im nordöstlichsten Bundesland am Netz.
"Die Leistung der Windkraft könnte hier noch verdoppelt werden", sagt Johann-Georg Jaeger vom Bundesverband Windenergie (BWE) in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Verdopplung sei sogar möglich, ohne die Zahl der Anlagen im Land zu erhöhen: Es müssten lediglich die alten, oft leistungsschwachen Anlagen durch neue, stärkere Maschinen ersetzt werden.
Doch dieses so genannte Repowering kommt an der Ostsee, wie überall in Deutschland, nicht recht voran - obwohl die Potenziale groß sind. Häufig hängt es an Genehmigungsfragen. Weil die Baugenehmigungen typenspezifisch erteilt wurden, können Grundstückseigentümer oder Pächter nicht einfach die alte durch eine neue Maschine ersetzen. Und die Genehmigungsbehörden bleiben oft stur. "Deswegen bleibt hier bislang viel Potenzial ungenutzt", sagt Jaeger.
Dabei ist die Windkraft für viele kleine Kommunen nahe der Ostsee der größte Steuerzahler. "Durchschnittlich 100.000 Euro Gewerbesteuer bringt eine Anlage mit einem Megawatt Leistung auf 20 Jahre gerechnet" weiß Windexperte Jaeger. Davon würden 50 bis 70 Prozent am Standort der Anlage bezahlt, der Rest am Sitz des Betreibers. Zudem erzielen die Gemeinden oft auch noch Pacht für das Gelände, wenn das Windkraftwerk auf einem gemeindeeigenen Grundstück steht.
Doch nicht nur die Kommunen profitieren in der Ostseeregion von der Windkraft. Auch Unternehmen haben sich hier inzwischen angesiedelt und bedienen den weltweit wachsenden Markt der Windkraft. Jüngstes Beispiel sind die Erndtebrücker Eisenwerke. Im Dezember dieses Jahres will das Unternehmen, das zu den weltweiten Marktführern im Großrohrbau zählt, im Rostocker Überseehafen die Produktion von Windkraft-Türmen beginnen und dabei 150 Arbeitsplätze schaffen.
Auch der Windkraftanlagenbauer Nordex baut in Rostock seine Fertigung aus. Derzeit beschäftigt das Unternehmen in der Hansestadt 680 Mitarbeiter, weitere 300 sollen durch die Erweiterung des Werkes hinzu kommen. Derzeit werde unter Volllast produziert, sagt Thomas Richterich, Vorstandschef der Nordex AG. Er will die Jahreskapazitäten von 850 Megawatt auf 2000 Megawatt im Jahr 2010 steigern.
Große Chancen für die Region bietet auch die Ostsee als Standort für Offshore-Windkraftanlagen. Beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) laufen derzeit die Genehmigungsverfahren für sechs Offshore-Windparks. Mehrere sind bereits genehmigt. Der erste Park trägt den Namen "Kriegers Flak" und soll in einem flacheren Seegebiet mit Wassertiefen von 20 bis 40 Metern mitten in der südlichen Ostsee gebaut werden, im Dreieck zwischen Dänemark, Schweden und Deutschland. Damit kann nun die Offshore Ostsee Wind AG aus Börgerende an diesem Standort, 30 Kilometer nördlich von Rügen, 80 Windenergieanlagen errichten. Im Genehmigungsverfahren sei festgestellt worden, dass weder die Sicherheit der Schifffahrt beeinträchtigt noch die Meeresumwelt gefährdet werde, erläutert das BSH.
Der zweite genehmigte Park außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Grenze trägt den Namen "Arkona Becken Südost". Er befindet sich etwa 35 Kilometer nordöstlich von Rügen. 80 Anlagen sowie eine Plattform zur Messung meteorologischer Daten darf die Arkona-Windpark-Entwicklungs-GmbH aus Stralsund dort nun errichten.
Nur wenig davon entfernt wurde als dritter Standort der Park "Ventotec Ost 2" genehmigt, der ebenfalls 80 Maschinen umfasst. Für dieses Projekt wurde erstmals ein schwimmfähiges Offshore-Fundament genehmigt, so dass nach Angaben des BSH "auf lärmintensive Rammarbeiten während der Bauphase verzichtet werden kann."
Doch nicht alle eingereichten Anträge wurden genehmigt. Für die Projekte "Adlergrund" und "Pommersche Bucht" mit 80 beziehungsweise 70 Anklagen erteilte das BSH keine Erlaubnis. Man habe "keine positive Prognose zu möglichen ökologischen Auswirkungen" stellen können, so die Begründung. Für einige nach der Vogelschutzrichtlinie geschützte Arten sei der drohende Habitatverlust zu groß. Insbesondere Seetaucher sowie Eis-, Samt- und Trauerenten wären betroffen gewesen, denn sie nutzen die Seegebiete östlich und nordöstlich von Rügen im Winter als wichtige Rastplätze.
Die Ostsee gelte als außerordentlich empfindlicher Naturraum, sagt BSH-Präsident Peter Ehlers. Im Küstenbereich Mecklenburg-Vorpommerns werde dem durch zwei Nationalparks und ein Biosphärenreservat Rechnung getragen; außerdem durch ein Naturschutzgebiet östlich von Rügen.
Ehlers weist aber auch darauf hin, dass in der Ostsee wirtschaftliche Wachstumschancen und Meeresumweltschutz Hand in Hand gehen müssten. Weder dürfe die Ostsee künftig Industriepark sein noch ein ausschließliches Naturschutzgebiet, in dem wirtschaftliche Nutzungen ausgeschlossen sind. Zumal auch neue Nutzungsarten wie die Aquakultur und marine Biotechnologie, das Fishfarming oder die Gewinnung von Rohstoffen aus dem Meer zunehmend wirtschaftliche Bedeutung erlangten.
Problematisch für das Gleichgewicht des Meeres wird aber vor allem die Zunahme des Seeverkehrs sein. Schon heute entfallen sieben Prozent des weltweiten Seetransportaufkommens auf die Ostsee, obwohl sie von der Fläche her gerade 0,1 Prozent der Weltmeere ausmacht. Und bis 2015 werde sich das Transportaufkommen voraussichtlich verdoppeln und der Öltransport sogar vervierfachen, rechnet Ehlers vor, der von einer "Meeresautobahn" spricht. Verglichen mit dem Verkehr wird die Offshore-Windkraft der Ostsee also nur wenig Unruhe bringen.
Ohnehin wird sich der Ausbau der Windkraft dort viele Jahre hinziehen - aus verschiedenen Gründen. Zum einen sind zwar die ersten Genehmigungen für die Parks erteilt, doch die Genehmigungen für die Kabeltrassen stehen vielfach noch aus. Hinzu kommt, dass die Investoren abwarten, weil die Finanzierung von Offshore-Parks in deutschen Gewässern bisher nicht ausreichend rentabel ist. Denn in Deutschland bekommen die Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nur eine Vergütung von rund 9 Cent je Kilowattstunde, während in anderen Ländern deutlich mehr bezahlt wird - in Großbritannien zum Beispiel 13 bis 15 Cent.
"Bei dem finanziellen Risiko, das die Investoren auf See übernehmen, müssen sie eine deutlich höhere Rendite erwarten können, als bei Projekten an Land", sagt Johann-Georg Jaeger vom BWE-Landesbüro. Zumal schon der Aufbau der Anlagen das Risiko von teuren Verzögerungen mit sich bringt: Nur 100 Tage im Jahr sind die Wetterverhältnisse so, dass man die Anlagen errichten kann. Gleichzeitig sind Schiffsplattformen und Kräne über Jahre ausgebucht. Wenn dann wetterbedingt ein Einsatz verschoben werden muss, kann sich ein Projekt erheblich verzögern - und damit auch teurer werden.
Somit hängt die Zukunft der Offshore-Windkraft nun stark von der Novelle des EEG ab, die im nächsten Jahr erfolgen soll: Nur wenn auf die Vergütungssätze noch ein wenig drauf gelegt wird, dürfte es in den nächsten Jahren in großem Stil losgehen.
Der Autor arbeitet als freier Umweltjournalist in Freiburg