Friedrich Ebert
Vom Sattlergesellen zum ersten Präsidenten der ersten deutschen Republik - eine umfassende Biografie
Friedrich Ebert kam aus kleinsten Verhältnissen. Die Wohnung der Eltern in der Heidelberger Pfaffengasse, knapp 50 Quadratmeter groß, ist heute eine Gedenkstätte. Dort, im Wohnzimmer, arbeitete der Vater, ein Schneidermeister, mit seinen Gesellen. Die Eberts hatten neun Kinder, drei starben im Kindesalter. Friedrich hingegen brachte es weit im Leben: Er wurde der erste Präsident der ersten deutschen Republik.
Dies alles kann man nachlesen in einer hervorragenden, umfassenden und umfangreichen wissenschaftlichen Biografie aus der Feder von Walter Mühlhausen. Sie ist außerordentlich detailgetreu, ihre Urteile sind überzeugend. Schlägt man das Buch in der Mitte auf, ist man gerade in der ersten Jahreshälfte 1922, also drei Jahre vor Eberts Tod. Nur knapp die ersten 100 Seiten dieser gewaltigen Biografie handeln von Friedrich Ebert in der Zeit vor der Novemberrevolution. Sie behandelt in erster Linie den Amtsträger Ebert, nicht den Menschen, obwohl auch der deutlich herauskommt. Der Verfasser, er ist stellvertretender Geschäftsführer der Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, hatte riesige Quellenmengen zu sichten und eine große Menge von Literatur zu bewältigen - eine gewaltige Arbeit. Dabei hat Ebert selbst gar nicht soviel an Geschriebenem hinterlassen, nicht einmal einen Nachlass.
Die neue große Biografie ist flüssig und verständlich geschrieben. Aber man braucht doch eine gehörige Portion Sitzfleisch und Konzentration zum Lesen, und über die Weimarer Republik und seine Probleme sollte man zudem schon vorher Bescheid wissen.
Ebert ging nach einer Sattlerlehre zunächst auf Wanderschaft. In Bremen ließ er sich nieder und gründete eine Familie, dort erwarb er sich im SPD-Ortsverein den Ruf eines glänzenden Organisators. Er musste immer wieder den Genossen Ratschläge und rechtliche Auskünfte erteilen, in schwierigen Streitfällen wurde er als Schlichter angerufen. Bald wurde er ins Bremer Stadtparlament berufen, 1906 in den Parteivorstand der SPD.
Bei Kriegsausbruch 1914 wollte Ebert die Mär vom vaterlandslosen Gesellen widerlegen, daher stimmte er mit seiner Partei für die Kriegskredite. Die Eberts verloren in diesem Krieg zwei ihrer vier Söhne. Bei Kriegsende wollte Ebert die Monarchie erhalten; aber der Kaiser war allzu sehr diskreditiert und musste gehen. Das Deutsche Reich verlor den Krieg und die Siegermächte begünstigen die Umwandlung Deutschlands in eine Demokratie. Dies verhinderte, dass diejenigen die Suppe auslöffeln mussten, die sie eingebrockt hatten - ein verhängnisvoller Neubeginn. Die provisorische Regierung, der Ebert nun vorstand, hatte weitreichende Entscheidungen zu treffen: Das Heer musste rasch nach Hause geführt, zugleich die Ernährung des deutschen Volkes gesichert und die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten werden. Um diese Aufgaben zu erfüllen, bediente sich die neue Regierung der alten Militärgewalten. Ebert hatte zwar die Bildung einer republikanischen Bürgerwehr angeregt, aber dazu war es schon zu spät.
In diesen Monaten des Umsturzes und der staatlichen Neuorganisation, von November 1918 bis Februar 1919, war Ebert ungeheuer beschäftigt. Es gab mehrere Versuche, den Karren weiter nach links zu treiben, doch Ebert widersetzte sich dem. "Den Sprung ins Dunkle", wie er selbst sagte, wagten die Mehrheitssozialisten nicht. Sie ließen es zu, dass die vormals kaiserlichen Militärs die Umsturzversuche von links mit brutaler Gewalt unterdrückten. Das Militär war nicht bereit, sich dem neuen Staat unterzuordnen. Die kaiserlichen Offiziere hatten wenig Respekt vor Ebert, dem "ehemaligen Sattlergesellen". Für sie blieb er einer der "Männer der Revolution". Ebert nahm diese Unbotmäßigkeit der Militärs zähneknirschend hin, weil er befürchtete, dass ihre Entlassung die Unzufriedenheit dieser Kreise noch schüren werde. Über diese Frage, ob Ebert 1918/19 nicht auch hätte anders handeln können, wurde in den letzten Jahrzehnten heftig gestritten. Walter Mühlhausen bezweifelt indes, dass es 1918/19 wirklich eine Alternative gab, und dieses Urteil leuchtet ein.
Eberts Amtszeit, 1918/19 bis 1925, war erfüllt von großen Problemen. Das Reich hatte nach viereinhalb Jahren einen Krieg gegen eine Welt von Feinden verloren. Dabei hatten die alten Gewalten bis zuletzt den Sieg verheißen, um so größer war nun die Enttäuschung. Im Friedensvertrag war von deutscher Alleinschuld die Rede, darauf stützten die Sieger ihre Forderung, dass Deutschland für die Schäden des Krieges aufkommen müsse. Das konnte kein einzelner Staat leisten. Ebert akzeptiere zwar ein hohes Maß Deutschlands am Kriegsausbruch, nicht aber die Alleinschuld. Aber er verstand, dass man dieses Problem pragmatisch lösen müsse.
Im Sommer 1919 wurde eine Nationalversammlung gewählt, das Deutsche Reich gab sich eine demokratische Verfassung. Das war Eberts Lebensziel. Er wurde ohne Volkswahl zum neuen Reichspräsidenten ernannt.
Der Reichspräsident hatte in der Weimarer Präsidialdemokratie bedeutenden Einfluss: Er durfte mitwirken bei der Staatsgewalt, bei der Vertretung des Reiches nach außen, und er besaß eine vermittelnde Rolle zwischen Volk und Reichstag. Ebert sah etliche Kabinette scheitern und half immer wieder bei der Neubildung von Regierungen. Er durfte auch ein Wort mitsprechen bei der Auswahl der Diplomaten. Ebert nahm regelmäßig an Kabinettssitzungen teil, sofern wichtige außenpolitische Themen behandelt wurden. Über den Abschluss des Vertrags von Rapallo war er außer sich, er fürchtete nicht unbegründet, dass der Vertrag jenseits des Rheines als "sinnfälliger Ausdruck des deutschen Revanchegedankens" gesehen wurde.
Die junge Republik erlebte schwere Jahre. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Wirren mit Hunderten von Toten. Dann der Putsch von rechts. Frankreich besetzte das Ruhrgebiet, um sich "produktiver Pfänder" zu versichern. Die kaiserliche Regierung hatte den Krieg weitgehend auf Pump finanziert, daher verlor die deutsche Währung nun jeden Wert - Hyperinflation. Dies alles wurde in Eberts Amtszeit gemeistert.
Ebert war ein fleißiger, nüchterner Praktiker, er erledigte seine Aufgaben sehr gut. Dabei ließ er sich gern von Experten unterrichten. Er war ein akribischer Bürokrat und absolvierte ein enormes Arbeitspensum. Obwohl der Reichspräsident seine Sache sehr gut machte, haftete ihm doch sein sozialer Hintergrund an. Es fehlte dieser Republik der Glanz, alles war bürgerlich und bieder, wie bei einer kleinbürgerlichen Erstkommunion.
Ebert erkannte wohl auch nicht die wachsende Bedeutung einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit, und er verstand es nicht, sich in Szene zu setzen. Für das Bürgertum war Ebert einfach nicht der würdevolle Vertreter, den sie sich vorstellten - am liebsten hätte es einen "General Dr. von Staat" an die Spitze gestellt. Ebert bekam anonyme Droh- und Schmähbriefe in rüdester Form, zuletzt hängten ihm Rechtskreise noch einen Hochverratsprozess an. Wenn es mit Blick auf Ebert einen Fehler gab, dann nur diesen: einen äußerlich so unscheinbaren, aber überaus tüchtigen Mann ohne Titel an die Spitze des Staates zu stellen.
Wenn sich im Parlament keine Mehrheit fand, stützte Reichspräsident Ebert sich auf den Notstandsparagrafen 48. Ebert hat mit diesem Artikel 136 Verordnungen erlassen. Die Republik scheiterte später auch an diesem ominösen Notstandartikel, aber daran trifft Ebert keine Schuld. Ebert setzte Artikel 48 ein, um die Demokratie in Deutschland zu retten; hingegen wandte sein Nachfolger Paul von Hindenburg ihn an, um ein vom Parlament unabhängiges Rechtsregime zu etablieren. Das ist der große und entscheidende Unterschied.
Friedrich Ebert starb am 28. Februar 1925, wenige Wochen nach seinem 54. Geburtstag, von den Feinden der Republik zu Tode gehetzt. Nach seinem Tod rühmten viele Staatsmänner, Gelehrte, Dichter und Kaufleute seine natürliche Würde. Der amerikanische Botschafter Alanson Houghton schrieb über ihn: "Ebert beeindruckt mich außerordentlich. Er ist ein ziemlich untersetzter, schwer gebauter Mann mit einem guten Kopf, einem klaren Auge und er vermittelt den Eindruck von Festigkeit und ruhigem Urteil und viel Weitblick. Er ist ganz bestimmt ein ausgezeichneter Mann."
Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik.
Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2006; 1064 S., 48 ¤