Kolonialgeschichte
Die erschütternde Lebensgeschichte eines treuen Askari
Zu den Mythen deutscher Kolonialvergangenheit in Ostafrika gehört die unbedingte Treue der im Lande rekrutierten schwarzen Hilfssoldaten, der so genannten "Askari", zur deutschen Fahne. Belohnt wurde diese Loyalität selten. Dass ehemalige schwarze "Schutztruppler" im Nationalsozialismus sogar rassistischer Verfolgung ausgesetzt waren, führt die erschütternde Lebensgeschichte des Bayume Mohamed Hussein, genannt Mahjub, vor Augen. Mit seiner Biografie hat die Kölner Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst, zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Geschichte von Afrikanern in Deutschland, die kaum bekannten Lebensumstände von Schwarzen im nationalsozialistischen Deutschland beispielhaft und packend erzählt.
Mahjub war der Sohn eines Askari, den die Deutschen in Ostafrika, dem heutigen Tansania, angeworben hatten. 1904 in Daressalam geboren, arbeitet Mahjub bereits mit neun Jahren als Schreiber in einer Textilfabrik. Bei Kriegsausbruch 1914 meldet sich Mahjubs Vater erneut zu den Waffen und bringt seinen zehnjährigen Sprössling als Kindersoldat gleich mit. Mahjub wird verletzt und von den Briten gefangen genommen. Als der Krieg 1918 endet, hat er allein in Ostafrika eine halbe Million Menschen das Leben gekostet.
Die weißen Überlebenden der Schutztruppe kehren geschlagen zurück nach Deutschland. Der entwurzelte Kindersoldat heuert als Steward auf deutschen Schiffen an. 1929 schlägt er sich nach Berlin durch; vermutlich hatte er gehört, dass das Deutsche Reich ehemaligen Askari noch ausstehenden Sold zahlen würde. Seine Ansprüche werden jedoch als verjährt zurückgewiesen.
Bajume Mohamed Hussein, der sich bald treudeutsch Husen nennt, findet 1930 eine Anstellung als Kellner im Vergnügungspalast "Haus Vaterland". Er schlägt sich durch als Lebenskünstler, ergattert sogar eine kleine Stelle an der Universität als Sprachlehrer für Kisuaheli. Er hat Erfolg bei Frauen, unterhält bisweilen mehrere sexuelle Beziehungen gleichzeitig. Anfang 1933 heiratet er eine sudetendeutsche Schneiderin.
Der Machtantritt des Nationalsozialismus jedoch bringt immer mehr Entrechtungen für Schwarze . Mahjub und sogar seine deutsche Frau müssen ihre Papiere abgeben und erhalten befristete Fremdenpässe. Als Kellner-Kollegen ihn wegen einer angeblichen Unterschlagung denunzieren, wird er entlassen.
Während die Nürnberger Gesetze von 1935 Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verbieten und sexuelle Beziehungen als so genannte "Rassenschande" unter Strafe stellen, bleibt der rechtliche Status von Menschen mit schwarzer Hautfarbe unklar. Zwar sollen die neuen Rassegesetze die so genannte "Reinheit des deutschen Blutes" gewährleisten, aber Afrikaner und andere Nichtweiße bleiben unerwähnt. Biografin Bechhaus-Gerst vermutet dahinter ein Kalkül: Man wollte Verbündete mit afrikanischen Wurzeln heranziehen. Mit dem Machtantritt des Nationalsozialismus witterten nämlich all jene Morgenluft, die die Kolonien wiederhaben wollten.
Mahjub macht sich zum Erfüllungsgehilfen neokolonialer Gelüste: Bei revanchistischen Veranstaltungen tritt er als "treuer Askari" in Schutztruppen-Uniform auf. Schauspielerisches Talent besitzt er ohnehin und wirkt als Kleindarsteller in zwei Dutzend Filmen mit, die die deutsche Kolonialvergangenheit verklären. Bei Kriegsbeginn 1939 meldet sich Mahjub sogar zu Hitlers Wehrmacht. Doch die demonstrativ bewiesene Treue zur deutschen Fahne bewahrt ihn nicht vor dem Verhängnis. 1941 wird er von Unbekannt denunziert, als eine Münchnerin ein Kind von ihm zur Welt bringt. Man wirft ihn ins Berliner Gestapo-Gefängnis, aber zu einem Gerichtsverfahren kommt es nicht. Statt dessen wird er ins Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. Am 24. November 1944 stirbt der "treue Askari" im Lager. In seinen Papieren findet sich kein Hinweis auf die Todesursache.
Marianne Bechhaus-Gerst: Treu bis in den Tod.
Von Deutsch-Ostafrika nach
Sachsenhausen.
Ch. Links Verlag, Berlin 207; 208 S., 24,90 ¤