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Bislang scheiterten alle Versuche, ganz Amerika in eine schrankenlose Handelsgemeinschaft zu verwandeln. Dafür bilden sich neue regionale Gemeinschaften.
1990 kündigte US-Präsident George H. W. Bush die ehrgeizigste Integrationsinitiative der Geschichte an: Eine riesige Freihandelszone sollte innerhalb von zehn Jahren fast die gesamte westliche Hemisphäre von Alaska bis Feuerland vereinen. Ausgeschlossen war lediglich das kommunistisch regierte Kuba. Schon bald zeigte sich, dass dieses Ziel zu hoch gesteckt war. Die Verhandlungen über die "Freihandelszone der Amerikas" (FTAA) gerieten zusehends ins Stocken. Im November 2003 fand in Miami das achte und bisher letzte Treffen der Handelsminister der 34 amerikanischen Staaten statt. Seitdem liegt die FTAA auf Eis.
Einer der Hauptgründe für das Scheitern der Initiative war die Unterschätzung Brasiliens durch Washington. Die FTAA sollte grundsätzlich die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) auf den ganzen Kontinent ausdehnen, so wie zuvor die Freihandelszone zwischen den USA und Kanada um Mexiko erweitert worden war. Brasilien hat aber eigene globale Ambitionen und setzt auf den Aufbau einer starken industriellen und technologischen Basis. In einer gesamtamerikanischen Freihandelszone hätte die brasilianische Industrie dem direkten Wettbewerb mit der US-Konkurrenz kaum widerstehen können. Eine Übereinkunft scheiterte aber auch an der mangelnden Bereitschaft der USA, die staatlichen Agrarsubventionen spürbar zu verringern. Erst spät setzte sich in Washington die Erkenntnis durch, dass man mit dem immer selbstbewussteren Brasilien auf gleicher Augenhöhe verhandeln muss. Darüber hinaus brachten einige Länder Forderungen wie die freie Mobilität der Arbeitskräfte in die Verhandlungen ein, die für die USA nicht akzeptabel waren. In anderen Ländern setzten sich USA-kritische politische Strömungen durch. So lehnte Venezuelas Präsident Hugo Chávez nach seinem Amtsantritt 1999 die FTAA als "Machtinstrument Washingtons" ab. Selbst in den USA formierten sich Gewerkschafter, Nichtregierungsorganisationen und Abgeordnete der Demokratischen Partei gegen die FTAA, da sie den Verlust vieler Arbeitsplätze befürchteten.
Angesichts dieser Schwierigkeiten ersetzte Washington das ganz Amerika umfassende Konzept durch den Plan eines Netzes separater US-Freihandelsabkommen mit den Ländern und Regionen des Kontinents. Den Anfang machte 2003 Chile. 2005 folgten ein Abkommen mit der Dominikanischen Republik sowie ein weiteres mit Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua (DR-CAFTA). Beide sind in Kraft. 2006 unterschrieben die USA je ein Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien und im Juni 2007 mit Panama. Diese drei Abkommen sind noch nicht vom US-Kongress ratifiziert. Bereits seit 1991 gewähren die USA den Andenländern Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru umfangreiche Zollpräferenzen zur Unterstützung der Wirtschaftsentwicklung als Alternative zum Drogenanbau (ATPDEA). Dieses Programm soll auslaufen, sobald Freihandelsvereinbarungen mit den vier Andenländern in Kraft sind.
Schon seit 1969 sind diese Länder in der Andengemeinschaft vereint. Eine wirkliche Integration der Mitglieder dieses Staatenbündnisses hat bis heute nicht stattgefunden. Die politischen Entwicklungen in Bolivien und Ecuador stellen die Andengemeinschaft vor eine neue Zerreißprobe. Außerdem erschweren die Verhältnisse in diesen Ländern das Zustandekommen von Freihandelsabkommen nicht nur mit den USA, sondern auch mit der EU. Noch stärker trifft dies auf Venezuela zu, das die Mitgliedschaft im Südamerikanischen Gemeinsamen Markt (Mercosur) beantragt hat.
Nicht in Sicht sind auch Fortschritte bei den Gesprächen mit den Mercosur-Kernländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Dazu mag neben politischen Motiven beitragen, dass in Südamerika und vor allem im Mercosur nicht die USA, sondern die EU wichtigster Investitions- und Handelspartner ist. Der Mercosur ist weit davon entfernt, ein echter gemeinsamer Markt zu sein. Obwohl 1991 gegründet, fühlen sich Paraguay und Uruguay bis heute durch die größeren Partner Argentinien und Brasilien diskriminiert. Aus diesem Grund wird sowohl in Montevideo als auch in Asunción immer wieder der Ruf nach einem Freihandelsabkommen mit den USA laut, was jedoch gegen die Mercosur-Statuten verstößt.
Verhandlungen mit der Gesamtregion Mercosur werden vor allem durch fehlende gemeinsame Institutionen erschwert. Und sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber der EU besteht diese Staatengemeinschaft auf einer umfangreichen Liberalisierung des Agrarsektors und einem spürbaren Abbau der Agrarsubventionen. Dieses Problem hat für den Mercosur eine stärkere soziale Bedeutung als für Nordamerika und Europa: Im Mercosur ist rund ein Viertel der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, in den USA dagegen nur ein Prozent. In Deutschland sind es drei Prozent und in der EU (ohne Rumänien und Bulgarien) fünf Prozent. Ohne Zugeständnisse im Agrarsektor ist wenig wahrscheinlich, dass die Mercosur-Staaten den Industrieländern in den Bereichen Industrie, Dienstleistungen, Investitionen, geistiges Eigentum und öffentliche Beschaffungen entgegenkommen. Freihandelsabkommen mit dem Mercosur stehen somit hohe Hürden im Wege.
Darüber hinaus ist die panamerikanische Freihandelszone inzwischen mit zwei Konkurrenzinitiativen aus dem Süden des Kontinents konfrontiert. Im Dezember 2004 wurde im peruanischen Cuzco die Union Süd- amerikanischer Nationen (Unasur) aus der Taufe gehoben. Hinter dieser Initiative steht Brasilien, das die Region stärker an sich binden möchte. Zu den zwölf Mitgliedsländern gehören neben den Mercosur-Staaten und der Andengemeinschaft auch Chile, Guyana und Surinam. Allerdings handelt es sich bei der Unasur um einen losen Staatenbund, dessen weiteres Zusammenwachsen von der politischen Polarisierung in Venezuela und einigen anderen Ländern der Region bedroht ist.
Ebenfalls im Dezember 2004 unterzeichneten die Präsidenten Kubas und Venezuelas die so genannte "Bolivarische Alternative für die Völker unseres Amerikas" (ALBA), die als Gegenmodell zur FTAA aus der Taufe gehoben wurde. Die ALBA strebt eine wirtschaftliche, soziale und politische Integration Lateinamerikas und der Karibik unter sozialistischen Vorzeichen an. Bolivien schloss sich dieser Initiative im April 2006 an, Nicaragua im Februar 2007. Ecuadors Präsident Correa hat sich zum Beitritt verpflichtet. Nicht nur die innenpolitische Landschaft, sondern auch das externe Umfeld Südamerikas haben sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Das Wachstum der Region wird zunehmend von der starken Nachfrage aus Asien getragen; die US-Wirtschaft verliert an Bedeutung.
Umfangreiches Entgegenkommen Washingtons beim Subventionsabbau ist nicht zu erwarten. Somit stehen die Chancen für eine Wiederbelebung der panamerikanischen Freihandelszone schlecht. Ohnehin wäre ein erfolgreicher Abschluss der Doha-Runde zur Liberalisierung des Welthandels bedeutsamer.