Asien-Beziehungen
Das »transpazifische Interesse« wächst
In der Welt vollziehen sich seit zwei Jahrzehnten Veränderungen, die keinen Kontinent, keine Region mehr aussparen. Nicht nur der Zusammenbruch der Sowjetunion, sondern auch das Erstarken Chinas, Indiens und Brasiliens und die wachsende Bedeutung der Europäischen Union schlagen hier zu Buche. Mit dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes hat sich das gesamte globale Gefüge verändert.
Weniger beachtet, aber dennoch relevant, ist das verstärkte Interesse asiatischer Staaten an Lateinamerika. Die Beziehungen zwischen den beiden Regionen reichen bis in die Zeiten zurück, als beiderseits des Pazifiks teilweise noch Kolonialregime an der Macht waren. Vor mehr als 200 Jahren soll eine Prinzessin aus China mit einem Schiff voller Waren im mexikanischen Acapulco gelandet sein. Hundert Jahre später kamen billige Arbeitskräfte aus Asien nach Peru, Mexiko und Kuba. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war es vor allem Japan, das seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Lateinamerika ausbaute. Es investierte etwa in die Automobil- und Elektronikindustrie und schuf sich zunächst in Brasilien, Mexiko und Argentinien eine Basis für die Erschließung der Märkte des Subkontinents. Trotz steigenden Interesses zeigten die Handelszahlen noch vor 20 Jahren, dass Lateinamerika für Asien und seine dynamischen Wirtschaftsregionen von untergeordnetem Interesse war. Nicht einmal zwei Prozent ihres Außenhandels wickelten die großen Volkwirtschaften Asiens mit Lateinamerika ab.
In den 80er-Jahren ermunterten die USA die Asiaten, sich stärker in Zentralamerika, Mexiko und der Karibik zu engagieren und an Zollerleichterungen für diese Region teilzuhaben. Zu Beginn der 90er-Jahre waren es neben Japan vor allem Südkorea, Taiwan, aber auch die Volksrepublik China und Hongkong, die den Handel mit den "emerging markets" in Lateinamerika im Wesentlichen ankurbelten. Ende der 90er-Jahre zeigten auch Malaysia, Singapur und Thailand wachsendes Interesse. Wie relativ gering immer noch die Handelsvolumina lagen, zeigt das Beispiel Korea. Ende der 90-er Jahre gingen gerade einmal rund vier Prozent seines Gesamtexports nach Lateinamerika. Höher waren die Investitionen, die mit etwas über 600 Millionen US-Dollar bei elf Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen lagen.
Umgekehrt begannen Chile und Mexiko, später auch Peru und Panama, ihren Handel mit den pazifischen Anrainern Asiens auszubauen. Aber immer wieder ausbrechende Krisen, etwa in Südkorea, danach in Mexiko und Argentinien, erschwerten die wachsenden Handelsströme. Heute scheint dies allmählich in Vergessenheit zu geraten. Vor allem China hat Lateinamerika "entdeckt". Seine boomende Industrie gehört zu den wichtigsten Abnehmern von Rohstoffen wie zum Beispiel chilenisches Kupfer, Erdöl aus Venezuela oder Nickel aus Kuba. China mit einer Bevölkerung von über 1,3 Milliarden Menschen hat einen immensen Bedarf an Nahrungsmitteln, die es auch aus Lateinamerika bezieht (Brasilien, Argentinien). Aber insgesamt spielt Lateinamerika im chinesischen Außenhandel bisher nur eine untergeordnete Rolle.
Auch Nordamerika und einige lateinamerikanischen Staaten sind Triebfedern des neuen gegenseitigen "transpazifischen" Interesses. Sie sind sich in den letzten Jahrzehnten ihrer Verbindungen über den Stillen Ozean hinweg stärker bewusst geworden und gründeten 1989 die pazifische Wirtschaftszone APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation), die heute vor allem als ein Diskussionsforum für bilaterale und allgemeine Probleme der Weltpolitik dient.
Ein Novum ist die aggressive Außenpolitik Venezuelas, dessen Präsident Hugo Chávez besonders mit Staaten die Zusammenarbeit sucht, die in Gegnerschaft zu den USA getreten sind, wie etwa der Iran. Er findet auch in Asien Interesse, vor allem bei Staaten, die starke Vorbehalte gegen eine Hegemonie der einzigen Supermacht haben. China nutzt seine gewachsene weltpolitische Rolle auch, um in Lateinamerika Verbündete für sein Ziel einer multipolaren Welt und für seine "Zwei-China-Theorie" zu gewinnen. Es findet offene Ohren in einem Kontinent, dessen nördlicher Nachbar ihn einst mit der "Monroe-Doktrin" zu seinem Hinterhof degradierte. Die von China ausgehende Dynamik wird aber auch als Herausforderung und als Gefahr für die eigene Wirtschaft gesehen. So sieht Mexiko, das mit über 100 Millionen Einwohnern größte Spanisch sprechende Land der Welt, die chinesischen Aktivitäten nicht nur mit Wohlgefallen. Es erblickt heute in China einen starken Konkurrenten bei der Produktion von billigen Waren, vor allem für die Märkte Nordamerikas. Seit es der Nordamerikanischen Wirtschaftszone NAFTA beigetreten ist, steht die Ausfuhr preiswerter Waren in die USA und Kanada im Vordergrund seiner Interessen.
An der Grenze zu den USA sind bedeutende Wirtschaftszweige entstanden, so genannte Maquiladoras, Lohnveredelungsbetriebe, in denen heute über eine Million Mexikaner Broterwerb gefunden haben. Deren Existenz ist durch den Export vergleichbarer, aber oft preiswerterer asiatischer Produkte nach Nordamerika bedroht. Dies macht die Schattenseite der verstärkten Beziehungen Lateinamerikas zu Asien deutlich. Rohstoffe werden exportiert, billige Waren aus Asien importiert.
Die gemeinsamen Interessen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Asien und Lateinamerika nicht nur durch einen Ozean getrennt sind, sondern auch durch sehr verschiedene Denkweisen, unterschiedliche Sprachen und Kulturen und vor allem ganz andere Mentalitäten.
Der Autor war in den Jahren 2001 bis 2005 deutscher Botschafter in Kuba.