biomedizin
Stefan Rehders kritischer Blick hinter die Kulissen der modernen Genforschung
Die Wissenschaft ist dabei, der menschlichen Zivilisation das Genick zu brechen und die Spezies homo sapiens in ihrer herkömmlichen Prägung abzuschaffen. So lautet zugespitzt die These von Stefan Rehder in seinem Buch "Gott spielen. Im Supermarkt der Gentechnik". Dass die Macht der Wissenschaftler dazu derzeit noch nicht reicht, ist kein Anlass zur Entwarnung, meint der freie Fachjournalist, der seit 15 Jahren die Entwicklung in den Biowissenschaften weltweit beobachtet. Das klingt nach Katastrophismus, was Rehder wohl bewusst ist, da er zu Beginn seiner Ausführungen von den "beinah unglaublichen Zukunftsszenarien" spricht. Die logisch aufbereitete Faktenfülle - mit Quellenangaben und Fußnoten versehen -, die der Autor anschließend liefert, lässt aber aufhorchen.
Das Hauptproblem ortet Rehder in der leidenschaftlichen Liaison von Biomedizin und Wirtschaft. Dabei gehe es vor allem um Anwendungen und Wertschöpfungsketten, mit denen bereits die Grundlagenforschung begründet werde. "Die Wissenschaft ist längst zur Technologie geworden, ist zur Herstellung von Entdeckungen um des Geldes willen herabgesunken", zitiert Rehder den 2002 verstorbenen Erwin Chargaff, einen der Väter der Gentechnologie. Der Mensch - inzwischen von dem Zwillingspaar Forschung-Wirtschaft als Produkt und Rohstoff betrachtet - wird, so Rehder, wie andere Produkte am Ende der Wertschöpfungskette recycelt. So diene das Gewebe abgetriebener Kinder bereits für die Herstellung von Impfstoffen. Künftig sollen Eizellen für die künstliche Befruchtung aus dem Eierstockgewebe abgetriebener Mädchen gewonnen werden. Ein israelisch-niederländisches Team habe entsprechende Experimente vorgenommen. "Gelänge dies, dann könnten künstlich erzeugte Embryonen künftig unter Umständen eine biologische Mutter haben, die bei ihrer eigenen Abtreibung ums Leben kam", schreibt Rehder.
Auch hier weist der Autor auf die enormen Wirtschaftsinteressen hin. Auf keinem Feld der Medizin verdienten Ärzte so viel Geld wie bei der Reproduktionsmedizin. Allein die US-Amerikaner geben nach Rehder jährlich rund 4 Milliarden Dollar für die "Dienste der Babymacher" aus. Wie bei jedem Produkt, geht es auch hier um Qualitätssicherung - und das bedeute Selektion von "schlechteren Kindern", wie Frauenärzte es bezeichnen oder nach Geschlecht - das heißt dann "balanced families". Erstaunlich sei die Ineffizienz dieser Medizinsparte. Schon die Gewinnung des wichtigsten Rohstoffes - der Eizellen - ist ein kompliziertes Verfahren, das für Frauen erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich bringt. "Kein Industrieland würde dulden, dass mit derart unausgereiften und ineffizienten Verfahren, wie sie in der Reproduktionsmedizin zum Einsatz kommen, Häuser gebaut oder Autos produziert werden."
Breiten Platz schenkt Rehder der Forschung an embryonalen Stammzellen, die zwar nicht einmal über das Experimentierstadium hinausgegangen sei und sich bislang sogar wegen des äußerst hohen Krebsrisikos als lebensgefährlich erweise, dennoch von der Lobby aus Forschung und Wirtschaft mit dem Etikett der Heilsverheißung beworben werde. Er empfiehlt, sich auf die ethisch unbedenkliche Forschung an adulten Stammzellen zu konzentrieren, die bereits therapeutische Erfolge vorweisen könne.
In eigenen Kapiteln werden das Klonen, die Präimplantationsdiagnostik und Biopatente beleuchtet. "Warum Biopolitik auch Sprachpolitik ist und wie beides gemacht wird", erklärt Rehder in einem weiteren Abschnitt. Er bedient sich einer verständlichen Sprache, erklärt die wissenschaftlichen Grundlagen, die für das Verständnis der komplexen Sachverhalte notwendig sind, ohne dass dem Leser die Lust an der Lektüre vergeht.
Das Buch ist überaus zu empfehlen, vor allem für alle, die selbst keine Fachleute sind, sich aber mit Biotechnik auseinandersetzen müssen.
Gott spielen. Im Supermarkt der Gentechnik.
Pattloch Verlag, München 2007; 240 S., 16,95 ¤