Meere
In Asien werden für ein Kilogramm Haifischflossen über 100 Dollar bezahlt. In der Nordsee stirbt der Kabeljau. Doch in Schutzgebieten vor der Karibikküste konnten sich die Fischbestände wieder erholen
Dieser Fisch ist eine Delikatesse: Ob als deutsche Schillerlocke oder dänischer Seeaal, als Bestandteil der britischen "Fish and Chips" oder der chinesischen Haiflossensuppe - für Gourmets ist der Dornhai ein Leckerbissen. Feinschmeckern mit ökologischem Gewissen allerdings dürfte der Happen im Halse stecken bleiben, denn das gut ein Meter lange, weiß gepunktete Tier ist durch Überfischung längst auf der Roten Liste für bedrohte Arten gelandet.
Vor 30 Jahren gehörte die Schillerlocke noch zum Standardangebot im Fischladen um die Ecke, heute hat sich der Kilopreis für Haifischfleisch weit mehr als verdoppelt. Die Räucherfischspezialität, ein etwa 20 Zentimeter dünner Bauchlappen, der sich röhrenförmig einrollt und ein wenig an die Frisur Friedrich Schillers erinnert, gilt nunmehr als Delikatesse. "Nicht nur die asiatische Haiflossensuppe bringt viele Haiarten an den Rand der Existenz, auch der europäische Konsum von Haifleisch sorgt dafür", sagte Heike Zidowitz, Vorsitzende der Deutschen Elasmobranchier-Gesellschaft auf dem jüngsten Treffen der Shark Alliance, einer Vereinigung von über 40 europäischen wie außereuropäischen Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Haischutz stark machen. Die Nachfrage nach Dornhai-Schillerlocken und Heringshai-Steaks und die viel zu hohen Fangquoten in der EU seien Grund dafür, dass immer noch tagtäglich vom Aussterben bedrohte Arten auf deutschen Tellern landen würden.
Einst kehrten die Fischer der nordatlantischen Küstengewässer mit vollen Netzen von ihren Fahrten zurück. Der Nordatlantik gehörte laut Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization) zu den bedeutendsten Fischereigründen für Dornhaie. Davon ist nicht viel geblieben: Von 1960 bis Mitte der 80er-Jahre wurden dort jährlich 30.000 bis 50.000 Tonnen Dornhai gefangen - jene Zeit, als die Schillerlocke noch nichts Außergewöhnliches war. 2004 lagen die Fangmengen bei 8.000 Tonnen.
Das Übel der Dornhaie: Sie werden alt, wachsen langsam und bekommen nur wenig Nachwuchs, da sie sehr spät geschlechtsreif werden. Die Weibchen können sich erst im Alter von zwölf bis 23 Jahren fortpflanzen, die Männchen mit sechs bis 14 Jahren. Nach einer Tragzeit von bis zu zwei Jahren bringen die Weibchen zwei bis elf Jungtiere zur Welt, die bei der Geburt etwa 33 Zentimeter lang sind. Wenn die riesigen Fischtrawler mit ihren ausgefeilten Fangmethoden und den engmaschigen Schleppnetzen den Boden pflügen, gibt es für viele der Jungtiere kein Entrinnen mehr. Sie verenden als Beifang, ehe sie sich überhaupt vermehren konnten.
Besonders qualvoll: das Finning. Den oft noch lebenden Haien wird die Flosse abgeschnitten, den Rumpf des Tieres werfen die Fischer als überflüssigen Ballast über Bord. Finning ist zwar in der EU und in den meisten internationalen Gewässern verboten, doch die Wissenschaftler sind sich einig: Nachsichtige Maßstäbe und Gesetzeslücken verhindern, dass das Verbot greift. Die Haiflossen machen nur etwa 14 Prozent des Gesamtgewichtes eines Haies aus, bringen aber auf dem internationalen Markt wesentlich mehr ein als das Haifleisch. In Asien werden für ein Kilogramm Haiflossen im Schnitt über 100 US-Dollar bezahlt. Die starke Nachfrage ist auch in Europa zu spüren. Laut Weltnaturschutzunion (IUCN) gibt es in Mittelmeer und Nordostatlantik mehr bedrohte Haiarten als in irgendeiner anderen Region der Welt.
Dass der Nordostatlantik mit seinen riesigen Korallenriffen eine Oase des Artenreichtums ist, weiß kaum jemand. Kein Wunder: Die Riffe befinden sich in einer Tiefe bis zu 2.000 Metern, stehen aber ihren tropischen Verwandten an Vielfalt, Schönheit und ökologischer Bedeutung in nichts nach. Doch die Fischereiflotten verwüsten mit ihren Bodenschleppnetzen voll tonnenschwerer Ketten und Stahlplatten diese in Jahrtausenden gewachsenen Bauwerke unzähliger Kleinlebewesen. "Das ist, als ob man einen Elefanten durch eine Manufaktur mit Meissener Porzellan jagt. Am Ende bleibt nur ein Scherbenhaufen übrig", erläutert Christian Neumann von World Wide Fund for Nature (WWF). Tatsächlich bringt nur etwa ein Prozent der weltweiten Fischereiflotte die Hälfte der gesamten Meeresfrüchte und -fische an Land. Es sind gigantische, schwimmende Fischfabriken mit Längen bis zu 100 Metern und Ladekapazitäten bis zu 2.000 Tonnen und mehr.
Auch der Nordsee-Kabeljau ist seit Jahren von der Überfischung stark betroffen. Das Fischereiforschungsschiff "Walther Herwig III" vom Institut für Seefischerei in Braunschweig war erst Anfang des Jahres auf der stürmisch-winterlichen Nordsee unterwegs, um unter anderem die Kabeljaubestände zu erfassen. Immerhin: Die Wissenschaftler zählten wieder etwas mehr Kabeljau, doch der Fahrtleiter des Schiffes, Gerd Wegner vom Institut für Seefischerei, warnt vor zu viel Optimismus: "Über den Berg ist der Bestand noch nicht, er muss weiterhin sehr schonend befischt werden, und die Fischerei muss ihn nach wie vor umsorgen."
Die Forschungsreise war Teil eines Programms, das der Internationale Rat für Meeresforschung (Ices) in Kopenhagen in Auftrag gegeben hat und an dem sich sechs weitere Forschungsschiffe aus Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Schottland und Schweden beteiligen. Aus Tausenden von gesammelten Daten berechnet eine Ices-Arbeitsgruppe Bestandsgrößen und empfiehlt am Ende Fangquoten für 2009. Das letzte Wort über die tatsächlich erlaubten Fangmengen aber hat der EU-Fischereirat in Brüssel. Eine Tatsache, die Umweltschützern und Wissenschaftlern immer wieder bitter aufstößt.
Doch welche Möglichkeiten gibt es, Fischbestände zu stabilisieren? Wie holt man Kabeljau, Hering, Dornhai, Roten Thun und all die übrigen bedrohten Fischarten zurück? Fangquoten und eine Reduzierung der Fangtage - wie in der EU üblich - lösen das Problem offensichtlich nicht. Die Forderung nach Schutzgebieten und Meeresnationalparks wird immer lauter. So untersuchte der britische Meeresbiologe Cullum Roberts mit einem Team die Sperrbezirke der NASA, wertete tausende Seiten Statistiken diverser Sportfischer-Organisationen aus und fand heraus: Schutzzonen behindern die Fischerei nicht, sie helfen ihr sogar. Roberts untersuchte auch die Küste der Karibik-Insel St. Lucia. Ein Drittel der früheren Fischereigründe der Insel sind gesperrt, weil sie stark überfischt waren. Fiona Gell, Co-Autorin der Studie, glaubt, dass solche Schutzgebiete für die Fischer so viel wert seien wie Geld auf der Bank. Denn inzwischen haben sich die Bestände erholt, die Tiere sind in angrenzende Gebiete gewandert und füllen die Netze: Die Fänge der heimischen Fischer sind um 90 Prozent gestiegen.
Dennoch: Nur etwa 0,6 Prozent der Meeresoberfläche und etwa 1,4 Prozent der küstennahen Schelfgebiete stehen unter Schutz. Der WWF und andere Organisationen fordern deshalb, weltweit mindestens zehn Prozent der Meeresflächen zu schützen.
Der offene Ozean ist so riesig, dass sich offensichtlich niemand verantwortlich fühlt, aber alle glauben, sich endlos aus dem "blauen Regal" bedienen zu können.
Die Autorin ist Diplom-Biologin und arbeitet als freie Journalistin in Oldenburg.