Getreide
Wie Genbanken die Artenvielfalt bewahren
Man kann sich wohl kaum eine unwirtlichere Umgebung für das weltgrößte Pflanzenasyl vorstellen. In einem stollenartigen Bunker auf der norwegischen Polarinsel Spitzbergen sollen alle bekannten Pflanzensamen der Welt für die nächsten 1.000 Jahre gesichert werden - eingelagert bei minus 18 Grad Celsius, sicher vor Erbeben, Klimawandel, Seuchen und angeblich sogar Atomschlägen. Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg, EU-Ratspräsident José Manuel Barroso und die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai eröffneten Ende Februar die globale Saatgutbank "Svalbard Global Seed Vault". Sie bietet Platz für bis zu 4,5 Millionen Pflanzensamen. Finanziert wird das Projekt vom norwegischen Staat und der UN-Welternährungsorganisation FAO.
Dahinter steckt die Angst vor dem Unwissen - darüber nämlich, dass derzeit niemand abschätzen kann, welche Folgen die Reduzierung der biologischen Vielfalt tatsächlich haben wird. Die Konservierung von möglichst allen Pflanzensamen gilt als eine Möglichkeit, der Reduzierung der Artenvielfalt zumindest wissenschaftlich-nüchtern zu trotzen.
Die Idee der Samenbank ist nicht neu. Weltweit gibt es rund 1.400 davon. In Deutschland betreibt das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben in Sachsen-Anhalt eine solche Genbank. Dort lagern rund 150.000 Kulturpflanzenmuster, davon allein 60.000 Getreidemuster, darunter 26.000 Weizen-, 22.000 Gerste-, 4.800 Hafer-, und 2.400 Roggenmuster. Der überwiegende Teil des Materials befinde sich nicht mehr im aktuellen Anbau, erklärt der Leiter der Abteilung Genbank, Andreas Graner. Das sei auch deren Auftrag: "Wir erhalten alte Sorten und verwandte Wildformen und Wildarten und leisten damit einen Beitrag zur Erhaltung der genetischen Vielfalt."
Dabei geht es nicht nur um die Vielfalt in der Natur, sondern auch um die in der Produktion von Nahrungsmitteln. "Der genetische Bauplan einer Getreidepflanze setzt sich aus über 30.000 einzelnen Genen zusammen", erläutert Graner. Alte Getreidesorten und Wildformen besäßen eine Vielzahl von Genen, die für die Züchtung neuer Hochleistungssorten nötig wären. "Die genetische Vielfalt in den Genbanken ist das Rohmaterial für die Pflanzenzüchtung", so Graner. Jedes Jahr wird ein kleiner Teil der Muster angebaut, zur Erhaltung und Vermehrung - wer will, kann kostenlos eine kleine Menge Saatgut erhalten.
In der Vergangenheit gab es zahlreiche Fälle, in denen die Züchtung von Missernten, verursacht etwa durch Pflanzenkrankheiten, überrascht wurde, berichtet Karl Hammer, Professor für Agrarbiodiversität an der Universität Kassel. Deswegen sei es richtig, Muster zu sammeln. Diese müssten sich aber weiterentwickeln - durch Aussaat - und das passiere zu zögerlich. Die meisten Kulturpflanzenarten seien inzwischen vergessen, so Hammer. Und das hat meist ökonomische Gründe; neue Züchtungen versprechen höhere Erträge. In den vergangenen Jahren konnten Landwirte ihre Profite durch steigende Getreidepreise deutlich erhöhen. Jedoch: "Jeder Fortschritt in der Pflanzenforschung fördert die Monopolisierung", betont Karl Hammer. Für die Verbraucher bedeute das oft eine schlechtere Qualität der Lebensmittel.
Aber es gibt bereits Anzeichen für eine Trendwende - zumindest im Kleinen. "Derzeit beherrschen zehn Weizensorten den Markt, die sich allen Klimalagen anpassen müssen", sagt Biobäuerin Ieke Dekker vom Hof Ulenkrug in Mecklenburg-Vorpommern. "Das geht nur mit Dünger und Pestiziden." Vor vier Jahren wurde auf dem Hof der Anbau von Weizen gestoppt. Die modernen Sorten hätten sich nicht an den wenig ertragreichen Boden anpassen können. In der Folge seien mehrere alte Sorten ausprobiert worden - mit Erfolg. Für den geringen Eigenbedarf pflanze man nun die Sorte "Dickkopfweizen" an - "der hat natürliche Resistenzen".
An der Schnittstelle zwischen Landwirten und Saatgutproduzenten bekommt der Kampf um die Biodiversität seine politische Dimension. Ieke Dekker gehört zu einer Gruppe von Landwirten, die sich für den Anbau alter Sorten stark machen. 2007 gründeten sie das "Internationale Notkomitee zur Rettung der Weizenvielfalt ohne Gentechnik". Es kritisiert, dass weltweit Saatgutkonzerne versuchen würden, die Kontrolle über Kulturpflanzen zu monopolisieren. "Patente, Gentechnik, angebliche geistige Eigentumsrechte sind einige der Instrumente, um aus Saatgut eine Ware zu machen und das bäuerliche Recht auf eigenes Saatgut zu zerstören", heißt es im Gründungsaufruf.
Unterstützung erhalten kleine Landwirtschaftsbetriebe vom Deutschen Bauernverband, obwohl der eher ein Vertreter konventioneller Betriebe ist. So seien in Deutschland zwar allein bei Getreide mehr als 500 Sorten zugelassen, erklärt Sprecher Michael Lohse. Damit könnten unterschiedlichste Standortansprüche erfüllt werden. Allerdings führe das Saatgutverkehrsgesetz, das Mindestanforderungen an die Qualität des Saatguts festlegt, dazu, dass alte Getreidesorten zwar angebaut, ihr Saatgut aber nicht mehr kommerziell vermarktet werden dürfe. Hier sollten die gesetzlichen Regelungen angepasst werden, fordert Lohse.
"Wir sind nicht weit entfernt von dem Zeitpunkt, an dem es für die Landwirte zu wenige Sorten im Angebot gibt", sagt Karl Hammer. In zehn Jahren könnte es so weit sein. "Jetzt müssen wir etwas ändern." Das sei letztlich eine Aufgabe der Landwirtschaftsminister.
Der Autor ist Journalist in Berlin.