KINDERZUSCHLAG
Experten bewerten Koalitionsentwurf lediglich als »ersten Schritt«
Gedacht war er als Beitrag zum Kampf gegen die Kinderarmut - der Kinderzuschlag. Insbesondere Geringverdiener, die zwar ihren eigenen Lebensunterhalt sichern können, nicht aber den ihrer Kinder, sollten durch den Kinderzuschlag von im Höchstfall 140 Euro pro Kind aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) und der damit verbundenen "Stigmatisierung" geholt werden. Da jedoch aufgrund eines intransparenten und komplizierten Antragsverfahrens nur wenige Familien den Zuschlag erhalten haben, hat die Koalition einen Änderungsentwurf ( 16/8867) vorgelegt. Dieser sieht unter anderem vor, die Mindesteinkommensgrenzen abzusenken und damit den Kreis der Berechtigten auszuweiten.
Bei einer öffentlichen Expertenanhörung des Familienausschusses am 2. Juni, bei der auch ein Antrag der Grünen ( 16/8883), der die vollständige Abschaffung der Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen fordert, diskutiert wurde, bewerteten die geladenen Sachverständigen den Gesetzentwurf lediglich als einen "ersten Schritt in die richtige Richtung".
Michael Böhmer vom Zukunftsforschungsunternehmen Prognos AG lobte die vorgeschlagene Absenkung der Mindesteinkommensgrenzen ebenso wie die geplante "Abschmelzung" der Transferentzugsrate, wodurch sich aus einem zusätzlichen Arbeitseinkommen auch ein zusätzliches Haushaltsnettoeinkommen ergäbe. Dennoch sieht er ebenso wie die Sozialforscherin Irene Becker weiteren Handlungsbedarf. Becker schlug ein Wahlrecht zwischen dem Empfang von ALG II und den Kinderzuschlag vor, wie im Antrag der Grünen ebenfalls gefordert. Gemeinsam mit der Abschaffung der Mindesteinkommensgrenzen könne so gegen "verdeckte Armut" vorgegangen werden. Barbara König vom Zukunftsforum Familie sprach sich ebenfalls für eine Wahlfreiheit und die Abschaffung der Einkommensgrenzen aus. Zudem müsse der Zuschlag auf 150 Euro monatlich pro Kind angehoben werden.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte ebenso wie die Grünen ein "Gesamtkonzept" gegen Kinderarmut. Skeptisch wurde die Forderung nach einem Wahlrecht zwischen ALG II und dem Kinderzuschlag bewertet. Der Verzicht auf ALG II bedeute auch den Verzicht auf Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Eltern. Eine ideale Weiterentwicklung des Kinderzuschlages, so Professor Reinhold Schnabel, müsse gleichzeitig an den Einkommensgrenzen und dem Transferentzug ansetzen. Eine fiskalisch tragfähige Austarierung des Transferentzuges könne "hunderttausende" Familien aus der ALG II-Bedürftigkeit herausholen, ohne die Arbeitsanreize zu senken. Dies führe jedoch zu Mehrausgaben, die über 200 Millionen Euro hinausgingen.