AGRARREFORM
Brüssel beschließt Finanzhilfen für Bauern neu zu ordnen. Gerade deutsche Milcherzeuger trifft das hart
Wer zu Paul Buchholz auf den Jungbauernhof will, biegt am einzigen Zebrastreifen im kleinen Schwarzwald-Weiler Mühlenbach Richtung Kirche ab und fährt dann geradeaus. Und wenn man glaubt, der Weg gehe nicht mehr weiter, muss man sich rechts halten und weiterfahren. Da, wo Paul Buchholz mit seiner Frau Elke, vier Kindern und 24 Kühen lebt, da vermuten andere das Ende der Welt.
Und irgendwie droht dort auch ein Ende der Welt. Jedenfalls das der kleinen, privaten Welt von Paul Buchholz und seiner Familie. Paul Buchholz ist Milchbauer in einer sehr schwierig zu bewirtschaftenden Bergregion und er weiß heute nicht, ob er das auch nächstes Jahr noch sein kann. Denn Paul Buchholz braucht eigentlich 40 Cent pro Liter Milch, damit sich sein Betrieb mit den zwei Dutzend braun-weiß gefleckten Vorderwälder Kühen rechnet. Die Molkerei, an die er alle zwei Tage etwa 700 Liter liefert, zahlt gerade mal 34,5 Cent. Und das, fürchtet Paul Buchholz, wird in Zukunft noch schlimmer. Wenn man die Kühe im Stall von Paul Buchholz so gemütlich wieder- und wiederkäuen sieht, mag man das gar nicht glauben - aber das drohende Ende der kleinen Welt von Paul Buchholz hat mit dem fernen Brüssel zu tun.
Denn etwa 500 Kilometer entfernt vom Schwarzwald-Idyll haben die 27 Agrarminister der Europäischen Union vergangene Woche hinter einer verspiegelten Glasfassade viele Dinge diskutiert und beschlossen, die Paul Buchholz und viele andere Bauern in ganz Europa sauer werden lassen. Sauer wie drei Wochen alte Milch.
Unter anderem haben die Minister entschieden: Von 2009 an dürfen Europas Landwirte jährlich ein Prozent mehr Milch produzieren. Hört sich zuerst gut an - ist es aber nicht, finden viele Erzeuger. Denn mehr Milch auf dem Markt bedeutet weiter sinkende Literpreise, fürchten sie. Romuald Schaber, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, sprach von einem "völlig falschen Signal". Kühe dazukaufen, mehr Milch produzieren und den niedrigeren Literpreis dann über die Menge wett machen - für Paul Buchholz ist das in seinem engen Schwarzwaldtal keine Lösung: "Ich kann schon wegen der Steilhänge keinen weiteren Stall bauen." Ganz abgesehen davon, sagt der 44-Jährige, dass er für mehr Kühe auch mehr Futter anbauen müsse. Allein schafft er das nicht. Er müsste dann einen Mitarbeiter bezahlen - und damit wäre ein größerer Umsatz auch schnell wieder dahin. Paul Buchholz klingt ratlos, wenn er das sagt.
Mit ihrer Entscheidung, die Milchproduktion anzuheben, folgen die Agrarminister weitgehend dem Plan von EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel: Im Mai hatte sie den sogenannten "Gesundheitscheck" der europäischen Agrarpolitik angestoßen. Eine Halbzeitbilanz der großen Reform aus dem Jahr 2003 ziehen und nachjustieren - das wollte Fischer Boel damit. Ihre Grundidee: die Milliardensubventionen zusammenzustreichen und den Agrarsektor weiter liberalisieren. Damit Europas Bauern die wachsende Nachfrage nach Agrarprodukten auf den Weltmärkten flexibler bedienen und damit gutes Geld verdienen können. Und das vor allem mit der Milch.
Bislang ist das den Bauern nicht erlaubt, denn der europäische Milchmarkt ist streng reguliert: Seit 1984 legt die sogenannte Milchquote fest, wie viel Liter Europas Landwirte maximal produzieren dürfen. Überschreiten die Bauern die ihnen zugeteilte Höchstmenge, werden Strafzahlungen fällig. Diese Deckelung hat ihren Ursprung in Zeiten, als wahre Milchseen Europa überschwemmten. Sie soll verhindern, dass literweise Milch weggekippt werden muss. Schon vor Jahren haben sich die EU-Regierungen allerdings darauf verständigt, diese Beschränkung 2015 aufzuheben - auch wenn die neue deutsche Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) das jetzt am liebsten rückgängig machen würde. Einen entsprechender Beschluss müsste aber einstimmig gefällt werden, sagte sie vergangene Woche in Brüssel. "Und dafür sehe ich wenig Spielraum", fügt sie hinzu. Länder wie Italien und die Niederlande wollen lieber heute als morgen unbeschränkt Milch erzeugen.
In einem anderen Punkt allerdings brachte Aigner eine Erfolgsmeldung für die deutschen Landwirte mit nach Hause: Auf ihr Drängen hin darf Deutschland in Zukunft EU-Gelder in einen speziellen Hilfsfonds für Milchbauern fließen lassen. 350 Millionen Euro soll er umfassen und Maßnahmen finanzieren, die die Erzeuger auf den Wegfall der Milchquoten und den dann sinkenden Literpreis vorbereiten.
Eng verbunden mit dem Milchfonds und genauso umstritten war im Ministerrat die Frage, wohin in Zukunft welcher Teil der Agrarsubventionen fließen soll. Rund 53 Milliarden sind es im Augenblick pro Jahr, noch immer über 40 Prozent des gesamten EU-Haushalts. An die knapp 380.000 Bauern in Deutschland gehen davon etwa 5,4 Milliarden. Die Kommission hatte vorgeschlagen, die Prämien je nach Betriebsgröße um bis zu 17 Prozent zu kürzen und dieses Geld in die Entwicklung des ländlichen Raums zu investieren. Schon heute bezuschusst die EU solche Maßnahmen mit jährlich knapp 13 Milliarden. Etwa zwei Milliarden der bisherigen Direktzahlungen wollte die EU-Kommission eigentlich kürzen und für die ländliche Entwicklung freigeben. In Zukunft, so ihr Plan, hätten davon verstärkt Programme gegen den Klimawandel, zum Schutz der biologischen Vielfalt und zum Wassermanagement finanziert werden sollen.
Doch das wird so nicht kommen: Viele EU-Staaten waren nicht bereit, die Betriebsprämien so radikal zusammenzustreichen wie die Agrarkommissarin es vorgeschlagen hatte. Deutschland hielt eisern an der Forderung fest, das frei werdende Geld eben auch für den Milchbauern-Hilfsfond ausgeben zu dürfen. In harten Verhandlungen bis tief in die Nacht rangen die 27 EU-Staaten um einen Kompromiss. Er wird einige Veränderungen am bisherigen Subventionssystem bringen: Allen Landwirten, die über 5.000 Euro Direktzahlungen für ihren Hof bekommen, werden bis 2012 fünf Prozent gekürzt. Großbetriebe, die über 300.000 Euro pro Jahr aus EU-Töpfen erhalten, müssen auf zusätzliche 4 Prozent verzichten. Für die deutschen Landwirte heißt das: bis zu 240 Millionen Euro weniger jedes Jahr.
Nach den ursprünglichen Plänen von Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel hätten sie sogar auf 425 Millionen verzichten müssen, sagte Bundesagrarministerin Ilse Aigner: "Unter dem Strich ist das Ergebnis ein Erfolg", betont Aigner.
Bevor Aigners Amtskollege, der franzöische Landwirtschaftsminister Michel Barnier am Mittwoch in die entscheidenden Verhandlungen einstieg, hatte er noch die Stellungnahme des im 440 Kilometer entfernten Straßburg tagenden EU-Parlaments abgewartet. Auch wenn die europäischen Abgeordneten in der Agrarpolitik erst gleichberechtigt mit den Ministern mitentscheiden dürfen, wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist. Doch der französische Ratspräsident Barnier wollte dennoch das Parlamentsvotum so weit wie möglich berücksichtigen.
50 Stunden habe er in den verschiedenen Gremien und Ausschüssen mit Parlamentariern über Änderungen an der bestehenden Agrarpolitik verhandelt, lobte sich Barnier. Und auch viele Europaabgeordnete waren mit dem Ratspräsidenten zufrieden. "Die Zusammenarbeit war sehr konstruktiv", betonte der deutsche Parlamentarier Markus Pieper (CDU). "Das war vorbildlich - fast so, als wären wir schon im Mitentscheidungsverfahren."
Allerdings unterscheidet sich das, was die Minister beschlossen, in einigen Punkten deutlich von dem, was die Mehrheit der Parlamentarier gefordert hatte: Sie wollten bei Direktzahlungen erst ab einer Summe von 10.000 Euro kürzen und nicht bereits ab 5.000 Euro. Das, so die Argumentation der Abgeordneten, hätten mittelgroße Familienbetriebe entlastet.
Während konservative Abgeordnete sich für möglichst niedrige Kürzungen aussprachen, bemängelten Grüne und Liberale genau diesen Punkt: "Die Lobby der Agrarindustrie will an der unqualifizierten Subventionslogik festhalten, so wie sie jetzt besteht", kritisierte beispielsweise Friedrich Wilhelm Gräfe zu Baringdorf (Grüne). "Das Europäische Parlament hat eine Chance verpasst, sich für die Mitentscheidung in der Europäischen Agrarpolitik zu qualifizieren. Die Stellungnahmen fordern Kommission und Rat nicht durch zukunftsfähige Reformideen heraus, sondern fallen hinter die ursprünglichen Vorschläge der Reform weit zurück."
Im Stall von Bauer Paul Buchholz bei Mühlenbach im Schwarzwald muht eine Kuh. Eine andere hebt den Kopf, die Glocke an ihrem Hals tönt dunkel. Wie jeden Tag in seinem Landwirtsleben wird der 44-Jährige seine 24 Vorderwälder auch heute wieder pünktlich um 17 Uhr füttern.
Welche Unterstützung er aus dem neuen Milchfonds bekommt und ob das für seinen Hof reicht, um trotz gekürzter EU-Direktzahlungen im härteren Wettbewerb am Milchmarkt wirtschaftlich zu überleben - all das kann er heute noch nicht genau sagen. Aber er wünscht es sich, seiner Frau und ihren vier Kindern. "Wir sind jetzt in der sechsten Generation auf diesem Hof. Der selbst steht seit 1644 und hat schon einiges an Zeiten erlebt - und überlebt. Und jetzt hoffen wir, dass er auch diese Politik überleben wird."