Nationalsozialismus
Andreas Heusler wirbt für München als zentralen Gedenkort
Weltstadt mit Herz" nennt sich München gerne. Mit diesem völkerverbindenden Slogan lockt die Olympiastadt seit 1972 Millionen von Touristen an. In der beliebten Bayernmetropole werden gepflegte Gastfreundschaft und kultureller Genuss bis heute groß geschrieben. Bislang eher klein geschrieben wird allerdings die Erinnerung an ein weniger attraktives "Markenzeichen" der Landeshauptstadt. Mit dem ihr 1935 von Adolf Hitler verliehenen Titel "Hauptstadt der Bewegung" lässt sich natürlich nicht werben. Ihn als mahnendes Zitat eines unrühmlichen Kapitels der Stadtgeschichte anzuerkennen und durch Ausstellungen, Infotafeln beziehunsweise architektonische Relikte erfahrbar zu machen, gebietet eine aufgeklärte Erinnerungskultur.
Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der Münchener Stadtarchivar Andreas Heusler mit seinem gründlichen Blick auf die politisch-soziale Entwicklung der Stadt in der Weimarer Republik und dem "Dritten Reich". Dass er die 1930 eröffnete Parteizentrale in den Mittelpunkt seiner weitgespannten Betrachtungen stellt, ist natürlich kein Zufall. Für Heusler ist das im Februar 1951 abgerissene "Braune Haus" nicht nur ein Ort, an dem die kollektive Erinnerung gebunden und der "Verlust der Zeitzeugenschaft" aufgefangen werden soll. An diesem zentralen Erinnerungsort lässt sich die Geschichte des Nationalsozialismus und der NSDAP auch exemplarisch erzählen. Nichts anderes unternimmt er in seinem Buch, das die Diskussion um das auf diesem Gelände geplante NS-Dokumentationszentrum beleben und vielleicht auch zu einem Abschluss bringen soll.
Ohne Zweifel sind München und sein "Braunes Haus" nicht nur aus stadtgeschichtlicher Perspektive eine Erkundung wert, sondern von ganz allgemeinem historischen Interesse. Schließlich hätte sich die NSDAP Anfang der 1920er-Jahre vermutlich in keiner anderen deutschen Stadt so erfolgreich etablieren können. Hier herrschte bereits zu Zeiten der Monarchie ein ausgeprägt antisemitisches und antidemokratisches Klima, das nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem kläglichen Scheitern der Münchener Räterepublik von völkisch-nationalen Kreisen weiter angeheizt wurde. Niemand im Reich hätte den rechtsextremen Kräften so viel Spielraum gewährt wie Bayerns republikfeindliche Staatsbeamte. Und nirgendwo sonst in Deutschland hätte der Politparvenü Hitler soviel Aufmerksamkeit und Unterstützung erwarten können wie von der konservativen High Society im "Isar-Athen". Selbst nach seinem gescheiterten Putsch im November 1923 hielt ihm die bayerische Justiz die Stange, attestierte ihm eine aufrechte nationale Gesinnung und verurteilte ihn zu einer "bequem" abzusitzenden Haftstrafe in der Festung Landsberg.
Dass sich München trotz der anfänglich nazifreundlichen Atmosphäre nie zu einer Hochburg der Nationalsozialisten entwickelte, bleibt leider auch ein von Heusler nicht befriedigend geklärter Widerspruch. Wieso sollten die vom Autor konstatierten "festen konfessionellen und sozialmoralischen Bindungen der Münchener Wahlbevölkerung" vor 1923 grundsätzlich andere gewesen sein als danach.
Hitler hinderten die unterdurchschnittlichen Wahlergebnisse und Mitgliederzuwächse jedoch nicht daran, den Ort seiner politischen Sozialisation zum Sitz der Parteizentrale zu machen. Und zwar in einem ebenso zentralen wie repräsentativen Gebäude, das der radikalen Bewegung nicht nur den Anstrich bürgerlicher Anständigkeit verleihen, sondern auch als nationalsozialistische Kultstätte und effiziente Parteiverwaltung fungieren sollte.
Beiden Aufgaben wurde das "braune Operettenhaus" auch dann noch "gerecht", als sich das Machtzentrum nach dem 30. Januar 1933 in die Reichshauptstadt Berlin verlagerte und Hitler dem "Parteiheim" noch seltener einen Besuch abstattete. Nach Heuslers Interpretation blieb München "bis Kriegsende das geistige und politische Zentrum des Nationalsozialismus". Er begründet dies nicht nur mit dem hohen organisatorischen Wirkungsgrad der von hier aus gesteuerten Institutionen "bei der ideologischen Gleichschaltung der Menschen". Sondern er verweist auf die spezifische Herrschaftsstruktur des Nationalsozialismus, die auf einer "fragilen Machtbalance widerstreitender Epizentren" basierte und damit auch den "Antagonismus München-Berlin" erkläre. "Der Reichshauptstadt als dem eigentlichen Machtzentrum stand als Korrektiv und als ideologischer Referenzort das religiös verklärte Kultzentrum gegenüber", lautet sein Fazit.
Mit dieser überzeugenden These möchte er freilich nicht nur Historiker korrigieren, die ausschließlich "Berlin, Obersalzberg und die Führerhauptquartiere" als "die Zentren der nationalsozialistischen Herrschaft" betrachten, sondern er möchte vor allem München als zentralen Ort des Gedenkens aufwerten. Hier spricht Heusler ganz und gar als wissenschaftliches Beiratsmitglied und Befürworter des NS-Dokumentationszentrums, dass er gedanklich schon jetzt auf einer Stufe mit dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington, Yad Vashem in Jerusalem oder der Topographie des Terrors in Berlin sieht. Eigentlich hat es Heusler gar nicht nötig, München als gedenkpolitischen Superlativ zu preisen. Sein Buch liefert auch so genügend Argumente für die Einrichtung eines längst überfälligen Erinnerungsortes, der die "Wiege des Nationalsozialismus" war.
Das Braune Haus. Wie München zur "Hauptstadt der Bewegung" wurde.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008; 383 S. 22,95 ¤