Die Bürde, die Manuel Sarrazin zu tragen hat, ist doppelt groß: Der Grünen-Abgeordnete ist mit 26 Jahren nicht nur das zweitjüngste Mitglied des 16. Deutschen Bundestages und damit an sich schon dem Verdacht der Unerfahrenheit ausgeliefert. Sein kürzlich bezogenes Berliner Büro weckt auch noch Erinnerungen an einen Grünen-Politiker, dessen Leistungen als Vorgabe für den Neuankömmling schwindelerregend sein dürften: Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ist in ebendiesem Büro Joschka Fischer seiner parlamentarischen Arbeit nachgegangen.
Kleinmütig und unsicher wird man Sarrazin, der im Mai 2008 für Anja Haiduk in den Bundestag nachgerückt war, dennoch nicht nennen wollen. Weder das Original-Joschka-Sofa noch der Schreibtisch ringen ihm Erfurcht ab. "Lebenserfahrung ist nicht mit politischer Erfahrung gleichzusetzen", kontert er selbstsicher. Nimmt man letztere zum Maßstab, kann man ihn als politischen Routinier bezeichnen. In Dortmund geboren, in Hamburg-Harburg, seinem heutigen Wahlkreis, aufgewachsen, stürzte sich Sarrazin schon früh in politische Aktivitäten: als kleiner Junge sammelte er Unterschriften gegen den Walfang - "So fing alles an!" -, war Klassen- und Schülersprecher, engagierte sich bei Planspielen wie "Jugend im Parlament" oder begründete die "Jugendinitiative Politik" mit. Immer waren es die Grundanliegen des homo politicus, die ihn umtrieben: sich einmischen und auch widersprechen, Missstände anprangern, aber sie auch beheben helfen.
An seiner Motivation und Zielrichtung hat sich bis heute wenig geändert. "Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zu meiner vorherigen Arbeit in Hamburg", erklärt er, "hier ist lediglich alles schneller, es gibt mehr Papierkram, mehr Arbeit und größere Betätigungsfelder." Kaum 16 geworden, trat Sarrazin 1998 den Grünen bei, ein Jahr später wurde er Mitglied im Vorstand des Grünen-Kreisverbandes Hamburg-Harburg. 2004 gelang ihm der Sprung in die Hamburgische Bürgerschaft: Er war damit der jüngste jemals in das hanseatische Stadtparlament gewählte Abgeordnete. Freilich muss sich Sarrazin die Frage gefallen lassen, ob der Schritt in die Bundespolitik nicht verfrüht war. Ist das politische Engagement auf der Straße, in den Vereinen und Verbänden einem jungen Menschen nicht angemessener? Ist es nicht - wie Helmut Schmidt kürzlich sagte - angebrachter, "zunächst gefälligst einen Beruf zu erlernen und ihn mit Erfolg ausgeübt zu haben", bevor man in die Politik geht? Ratschläge wie dieser prallen an Sarrazin ab: "Wir leben in einer repräsentativen Demokratie", hält er entgegen, "daher sollten alle Altersgruppen im Parlament vertreten sein." Es gebe sowieso überwiegend ältere Entscheidungsträger. Die junge Generation bringe aber einen neuen Stil in die Politik: "Sie denkt nicht in Lagern, überwindet Gräben und sucht nach vernetzten Lösungen."
Doch repräsentativ für die junge Generation außerhalb der Reichstagsmauern dürfte der "Polit-Workoholic" Sarrazin wohl nicht sein, klagt man doch dort über die Politikverdrossenheit der Jugend. Nicht ganz zutreffend, wie Sarrazin meint. Denn "Politiker-Verdrossenheit" würde das Phänomen eher beschreiben. "Die Sprache der meisten Politiker erreicht die jungen Leute einfach nicht mehr." In den Parteiprogrammen fehle die Jugend zumeist gänzlich. "Niemand spricht sie an." Wenn es etwas gäbe, dass die Jugend wieder politisieren könnte, dann wäre es für Sarrazin wohl die Idee vom gemeinsamen Haus Europa. Die junge Generation denke europäisch, sagt Sarrazin, der Mitglied im Europaausschuss ist, begeistert.
"Wir besitzen die nie da gewesene Chance, Politik zu machen, die die Kreativität von 27 Ländern bündelt." Dass dieses Bündeln ein zäher, für junge Leute bisweilen zu abstrakter Prozess sein kann, lässt Sarrazin nicht gelten. "Entscheidend ist der Erfolg der Idee, die dahinter steht, unsere gemeinsamen Werte, Freiheit und Demokratie." Sarrazins Optimismus ist ungetrübt, sein Elan ungebremst. Einen Vertrauensvorschuss wird man ihm daher nicht gewähren müssen. Denn Jung- und Erfahrensein müssen sich nicht ausschließen.