extremismus
Rechte sind straffer organisiert
Matthias Adrian (31) hat sie schon so oft erzählt - die Geschichte vom überzeugten Nazi, der zum Aussteiger wurde. Es ist seine Geschichte. Aufgewachsen war er in einem konservativen Elternhaus. Der Opa erzählte vom Dritten Reich und erklärte dem Enkel, dass damals nicht alles schlecht gewesen sei. Die Antwort auf die Frage, warum er in der Schule etwas völlig anderes lernte, fand er in der "Nationalzeitung". Dort las er, dass das deutsche Volk umerzogen werden solle und dass Medien dabei mit den Lehrern unter einer Decken stecken würden. Alles machte plötzlich einen Sinn. Als er das erste Mal wählen durfte, gab er seine Stimme einer rechtsextremen Partei. Mit 20 Jahren trat er der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationalen (JN), bei. Er landete im hessischen Vorstand. Schließlich übernahm er die Landesorganisation für Südhessen.
Während die Rechten zu Adrians Anfängerzeiten eine Subkultur waren, machen sie es den Jugendlichen heute einfacher in die Szene einzusteigen. Die Mode geht über Bomberjacken und Springerstiefel hinaus, die Musik hat nichts mehr mit den Heimatklängen von früher zu tun. Und die NPD? Sie ist mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren die jüngste Partei Deutschlands. Sie verteilt Schulhof-CDs und gibt ihre Bemühungen nicht auf, eine eigene Schülerzeitung herauszugeben. In "Freien Kräften", rechtsradikalen Jugendgruppen, werden die Jugendlichen in die Ideologie des NS-Vordenkers Alfred Rosenberg eingeführt, demzufolge Atlantis der Herkunftsort der arischen Rasse ist. Diese Theorien waren schließlich vor acht Jahren der Anlass für Matthias Adrian, sich von der rechten Szene zu verabschieden. "Der Rechtsextremismus ist für mich der große Aberglaube des 21. Jahrhunderts", sagt er.
Solvejg Höppner vom Mobilen Beratungsteam in Leipzig stellt in letzter Zeit fest, dass die Freien Kräfte wieder stärker versuchen, öffentliche Räume wie Jugendclubs zu besetzen. "Dort, wo die Angebote von demokratischer Seite her zurückgezogen werden, entstehen immer größere Freiräume, die dann von den Rechten ausgefüllt werden", sagt sie. Das ist besonders oft in ländlichen Regionen der Fall, wo es immer weniger Jugendliche gibt - und immer weniger Betreuung durch die Kommunen. "Man lässt sie einfach zurück, erwartet aber gleichzeitig von ihnen, dass sie Vertrauen in demokratische Strukturen entwickeln", sagt Höppner
Ganz andere Bilder bestimmen das zweite Extrem des politischen Spektrums: Brennende Autos, mit Steinen beworfene Polizisten, Wasserwerfer - das sind die Szenen, die nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm im Gedächtnis hängen geblieben sind. Und das Bild der Gewalttäter: Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ein Tuch vor dem Mund, dunkle Sonnenbrille auf der Nase. Die Medien nennen sie Autonome, Schwarzer Block oder Chaoten. Der Verfassungsschutz bezeichnet sie als Linksextreme. 2007, im Jahr des G8-Gipfels, zählten die Verfassungsschützer 2.765 von Linksextremen begangene Straftaten, auffällig war besonders die gestiegene Zahl der Sachbeschädigungen im Vergleich zum Vorjahr.
Im Gegensatz zur rechtsextremen Szene existieren in linken Kreisen kaum Strukturen für eine koordinierte Jugendarbeit. Die Linksextremisten bilden keine homogene Gruppe: Es gibt Kommunisten, die eine sozialistische Gesellschaftsordnung anstreben, Antideutsche, die den Staat Israel ablehnen, Autonome, Anarchisten und viele mehr. Unter ihnen besteht der kleinste gemeinsame Nenner darin, den Rechtsextremismus zu bekämpfen.
In der Vielfalt besteht auch das Problem, den Begriff Linksextremismus zu definieren. Als "antikapitalistisch und antidemokratisch" beschreibt ihn der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse. Dennoch sei er in Deutschland ein Tabuthema: "Die Mehrheit der Gesellschaft hat Verständnis für die Motive der Linksextremen, insbesondere für ihren Kampf gegen Rechts", sagt er. Er kritisiert, viele sähen gar nicht, dass bei Anti-Nazi-Demonstrationen Demokratie-Feinde mitmarschierten. Jesse sieht deshalb von links größere Gefahr als von rechts - auch im Bezug auf die Parteienlandschaft. "Die NPD ist für die Demokratie nicht gefährlich. Aufgrund ihres harten Extremismusses ist sie gesellschaftlich geächtet", sagt Jesse. Die extreme Linke fahre einen weichen Extremismus und sei deswegen in der Gesellschaft stärker akzeptiert. Das mache sie gefährlicher.
"Es gibt keinen Linksextremismus", betont dagegen der Politologe Christoph Butterwegge. "Die einzige Gemeinsamkeit ist das Gewaltpotenzial. Die Motive hinter der Gewalt sind aber völlig verschieden", sagt der Rechtsextremismusforscher. So richteten sich die Rechten gegen alle, die anders sind als sie. Mit Hilfe der Gewalt wollten sie Demokratie überwinden und ein Deutsches Reich schaffen. "Das Ziel der Linken ist es, Kritik an den herrschenden Zuständen zu üben. Am Kapitalismus zum Beispiel ", sagt Butterwegge. Diejenigen, die ausschließlich auf Demonstrationen gehen, um sich zu prügeln, bezeichnet er als Anhängsel. Ihre Gewalt sei in keiner Weise politisch motiviert.