SPRACHE
Das Abendland geht an »ultrakorregd«, »gecheckt« und »ich mach dich Messer« nicht unter, sagen Wissenschaftler. Jugend hatte schon immer ihre eigenen Ausdrücke
Gelegentlich kann man sich als über 25-Jähriger beim U-Bahnfahren in Großstädten verdammt alt fühlen. Dann nämlich, wenn sich in der Nähe Jugendliche unterhalten und den "Lan" darüber informieren, dass eine "Tuss echt krass" und ein "Alder ultrakorregd is, ischwör". Wenn es dann noch darum geht, dass jemand "rote Ampel macht" oder der Satz "ich mach dich Messer" fällt, versteht der ältere Bahnfahrer oft nur noch, wie er es in seiner Jugend vielleicht genannt hätte, Bahnhof. Anlass dafür, kopfschüttelnd nach Hause zu gehen und den Untergang des Abendlandes zu wittern, besteht Sprachforschern zufolge nicht.
Die Kiezsprache, der die genannten Beispiele entstammen, sei nur eine von vielen verschiedenen Jugendsprachen, betont die Berliner Germanistin Heike Wiese. "Sie entwickelt sich in multiethnischen Wohngebieten, wo Jugendliche ganz verschiedener Herkunft miteinander kommunizieren. Interessanterweise ist es völlig unabhängig vom eigenen Hintergrund, ob Kiezdeutsch gesprochen wird - das machen sowohl Jugendliche mit Eltern aus der Türkei oder Griechenland als auch Teenager aus deutschen Haushalten." Kiezdeutsch als verstümmelte Sprache wahrzunehmen, die von Jugendlichen gesprochen werde, die weder richtig deutsch noch türkisch könnten, sei "blanker Rassismus", sagt Wiese. "Im Grunde ist das ähnlich wie die Wahrnehmung von Dialekten: Wer von sich glaubt, etwas Besseres zu sein, hält auch seine Sprache für besser, wenn sie von der anderer abweicht." Die Jugendlichen wüssten in der Regel, dass das Kiezdeutsch außerhalb der informellen Kommunikation zwischen Gleichaltrigen eher unpassend sei und würden sich in anderen Situationen anders ausdrücken.
Auch die Wuppertaler Linguistin Eva Neuland ist davon überzeugt, dass Jugendliche mit ihrer speziellen Sprache unter sich bleiben wollen und überhaupt nicht beabsichtigen, ihre Ausdrücke zum Allgemeingut zu machen. "Jugendsprachen haben immer schon zur Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen und zur Identifikation mit der eigenen Gruppe gedient", sagt sie, "Jugendliche brauchen das Gefühl, sich anders auszudrücken als ihre Eltern oder Großeltern." Zum Leidwesen der Wissenschaftler werde das Phänomen der Jugendsprache - oder das, was dafür gehalten werde - immer stärker medial aufgebläht. Doch das, was da als Jugendsprache verkauft werde, sei oft keine. Das Wort "Gammelfleischparty", das der Langenscheidt Verlag gerade erst zum Jugendwort 2008 gekürt hat, habe bei ihren Studenten nur Kopfschütteln ausgelöst: "Das benutzt von denen keiner." Jugendlichkeit sei heute ein Konsumgut mit hohem Prestigewert, entsprechend bemühten sich gerade Medien und Werbung, mit dem Gebrauch vermeintlich jugendlicher Sprache, ein Image aufzubauen.
Jugendsprachen gemein ist Sprachwissenschaftlern zufolge etwa die Abwandlung von Standardbedeutungen wie im vielleicht extremsten Fall von "ficken": So hat der Begriff "gefickt werden" oft keine sexuelle Bedeutung mehr, sondern steht für "erwischt werden" - die gewünschte Provokation Erwachsener inklusive. Weit verbreitet in den Jugendsprachen sind neue Abkürzungen wie "Profs" und die Übernahme von Anglizismen in die deutsche Grammatik wie im Fall von "gecheckt". Das, so Neuland, sei allerdings überhaupt nicht neu: Schon die historischen Studenten des 18. und 19. Jahrhunderts hätten eine Mischung aus ihrer Muttersprache und den klassischen Bildungssprachen Latein und Griechisch gebildet.
Sowohl Wiese als auch Neuland bestreiten die weit verbreitete Einschätzung, die Jugendsprachen seien nur ein schlechteres Deutsch und führten über kurz oder lang zu dessen Niedergang. "Dafür gibt es überhaupt keine Belege", so Neuland. In aller Regel werde Jugendsprache nur bis zu einem Alter von etwa Anfang 20 gesprochen und verliere sich dann. Und überhaupt drücke sich die "Durchschnittsjugend weit weniger exotisch aus, als in der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt wird". Typischer als besonders auffällige Ausdrücke oder grammatische Konstruktionen seien Anspielungen auf bestimmte Filme oder Werbespots, die von vielen Erwachsenen überhaupt nicht verstanden würden.
Tun sie es doch, raten sowohl Wiese als auch Neuland entschieden davon ab, dass sie die Jugendsprache auch selbst benutzen. Der Mittsechziger, der in der U-Bahn über sein "geiles Handy" schwärmt und ankündigt, später noch "chillen" zu müssen, sei einfach nur peinlich - und werde von den Jugendlichen einfach nur als "cooler Vollhorst" betrachtet.