Haushalt
Etatentwurf 2010 mit Rekordverschuldung vorgelegt - Konsolidierung rückt in weite Ferne
Das Ziel bleibt - doch jetzt ist es irgendwie verschwommen. Dabei hatte sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) alles so schön vorgestellt: Für das Jahr 2011 wollte er erstmals seit rund 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und damit als einer der erfolgreichsten Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland in die Geschichtsbücher eingehen. Eine moderate Neuverschuldung von rund 6 Milliarden Euro 2010 war dabei schon eingepreist.
Doch jetzt kam es völlig anders. Statt 6 Milliarden Euro muss der Bund nach der derzeitigen Planung im kommenden Jahr 86,1 Milliarden Euro neue Schulden machen. Hinzu kommen noch Kredite in Nebenhaushalten für die Bankenrettung und zur Konjunkturbelebung, deren Höhe noch nicht genau vorausgesagt werden kann.
Damit wird der Bund seine Neuverschuldung im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr 2009 verdoppeln. Für dieses Jahr sind einschließlich des zweiten Nachtragsetats, der am 2. Juli vom Bundestag verabschiedet werden soll, neue Kredite von 47,6 Milliarden Euro eingeplant. Aber mit der Nettokreditaufnahme von 86,1 Milliarden Euro im Jahr 2010 ist der Schuldenzuwachs noch nicht gestoppt. Selbst zum Ende des mittelfristigen Finanzplanungszeitraumes 2013 sollen noch 54,9 Milliarden Euro neue Schulden hinzukommen.
Diese mittelfristige Finanzplanung hat das Kabinett am 24. Juni genauso verabschiedet wie die anderen Zahlen des Bundeshaushalts 2010. Danach sind Ausgaben von 327,7 Milliarden Euro (2009: 303,2 Milliarden Euro) vorgesehen. Die Steuereinnahmen sollen im kommenden Jahr 213,8 Milliarden Euro betragen. Die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen wird geschlossen mit der Nettokreditaufnahme von 86,1 Milliarden Euro und 27,8 Milliarden Euro aus sonstigen Einnahmen des Bundes. Darunter sind vor allem Einnahmen aus Privatisierungen zu verstehen. Die Investitionen sollen sich im kommenden Jahr auf 48,6 Milliarden Euro belaufen und unterschreiten damit wesentlich die Neuverschuldung.
Steinbrück begründete die hohe Nettokreditaufnahme vor allem damit, dass die "schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte die Haushaltspolitik des Bundes vor enorme Herausforderungen" stelle. Vor allem gelte es jetzt, die Wachstumskräfte zu stärken. Dabei geht die Bundesregierung von einem um sechs Prozent schrumpfenden Wirtschaftswachstum aus. Deshalb würden die Steuereinnahmen wegbrechen. Steinbrück rechnet 2010 mit einem Minus von 41,6 Milliarden Euro gegenüber der bisherigen Planung. Gleichzeitig würden 30 Milliarden Mehrausgaben für die zu erwartende steigende Arbeitslosigkeit fällig und für die zwei Konjunkturpakete würden im kommenden Jahr Mehrausgaben von 2,7 Milliarden Euro notwendig sein.
Zentrale Aufgabe der neuen Bundesregierung wird es laut Steinbrück sein, die Finanzpolitik wieder auf den Pfad der strikten Konsolidierung zurückzuführen. Die neue Schuldenbremse im Grundgesetz verstärke diesen Konsolidierungsdruck. Sie zwingt den Bund, seine Verschuldung bis zum Jahr 2016 schrittweise abzubauen.
"Die neue Schuldenregel hat Signalwirkung", sagte Steinbrück. Sie trage dazu bei, das Vertrauen von Bürgern, Wirtschaft und nicht zuletzt auch der internationalen Finanzmärkte in die langfristige Solidität der öffentlichen Finanzen Deutschlands zu sichern. Allein in diesem Jahr müsse der Bund 300 Milliarden Euro Schulden bedienen. Im nächsten Jahr werden es 330 Milliarden Euro sein. Die Zinsausgaben des Bundes betragen bei dem zurzeit niedrigen Zinsniveau rund 40 Milliarden Euro.
Wie Steinbrück sehen auch die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD keinen anderen Weg, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. Der haushaltspolitische Sprecher der Union, Steffen Kampeter, nannte die Zahlen ein getreues Abbild der Konjunktur. Es gelte, zurück auf einen Wachstumspfad zu finden und bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode wieder in den Rahmen der EU-Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückzukehren.
Wenig Verständnis zeigten dagegen die Oppositionsfraktionen für Steinbrücks Zahlenwerk. So bezeichnete der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jürgen Koppelin, den Etatentwurf als "schweren Sanierungsfall", der nach der Bundestagswahl einen "totalen Kassensturz" notwendig mache. Die Bundesfinanzen seien "in Chaos geraten", kritisierte er. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP), sagte, der Haushaltsentwurf dokumentiere das "dramatische Scheitern der Haushaltspolitik der Großen Koalition". Für Bündnis 90/Die Grünen macht die derzeitige Koalition die kommende Regierung zum Insolvenzverwalter. "Leider haben zukünftige Generationen nicht die Möglichkeit, dieses Erbe auszuschlagen", sagte Alexander Bonde, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen. Nach Ansicht von Dietmar Bartsch (Die Linke) kann die Schuld nicht allein in der Finanzkrise gesucht werden. Stattdessen fordere eine verfehlte Steuerpolitik mit Steuergeschenken in Milliardenhöhe an Banken und Konzerne ihren Tribut. Gesine Lötzsch, die haushaltspolitische Sprecherin der Linksfraktion, warf der Regierung vor, riesige Schulden zu machen, ohne zu sagen, wer sie bezahlen solle. Deshalb forderte sie, "große Vermögen" höher zu besteuern. Nur so könnten schwere soziale Verwerfungen verhindert werden.
Der vom Kabinett beschlossene Etatentwurf 2010 wird nun dem Bundestag zugeleitet. Damit besteht die Möglichkeit, dass über ihn Anfang September im Bundestag debattiert wird. Auf jeden Fall fällt er anschließend der sogenannten Diskontinuität zum Opfer und muss nach der Bundestagswahl am 27. September neu, in der Regel in geänderter Fassung, in den Bundestag eingebracht werden. Dann muss die neue Regierung auch entscheiden, welchen Mix aus Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sie zum Schuldenabbau eingehen will, um irgendwann einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können.
Bis dahin wird es noch viele Experten geben, die zwar die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht vorausgesehen haben, jetzt aber jederzeit der Regierung raten können, wie sie zu lösen ist. Finanzminister Steinbrück jedenfalls will sich bedeckt halten: "Ich werde den Teufel tun, vor der Bundestagswahl Stichworte in die öffentliche Debatte zu werfen."