Der Chef der Monopolkommission, Jürgen Basedow, im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament"
Jürgen Basedow, Vorsitzender der Monopolkommission, hält den Verkauf des Fahrbetriebs der Deutschen Bahn für "notwendig". In einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstag 28. April 2008) sagte er, wenn die Bahn in Bundesbesitz bleibe, stehe dafür am Ende der Steuerzahler gerade.
Die Monopolkommission berät die Bundesregierung bei Fragen der Wettbewerbspolitik und Regulierung.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Basedow, die Monopolkommission hat unter Ihrem Vorsitz früh vor einer kompletten Privatisierung der Bahn und ihres Schienennetzes gewarnt. Nun soll nur der Fahrbetrieb an die Börse - und auch der, so hat die SPD vorgegeben, nur zu knapp einem Viertel. Ein Erfolg der Monopolkommission?
Uns geht es nicht um Erfolg oder Misserfolg der einen oder
anderen Seite, sondern um funktionierenden Wettbewerb. Nun mag es
paradox klingen, dass wir als Wettbewerbshüter bei der Bahn
gegen die Komplettprivatisierung waren. Uns ging es aber darum,
dass nicht Schienen und Fahrbetrieb in einer Hand sind, weil immer
derjenige Vorteile hat, der im eigenen Netz Dienste anbietet. Da
ist ein privates Monopol nicht besser als ein staatliches. Nicht
jede Form der Privatisierung führt automatisch zu mehr
Wettbewerb.
Ist das überhaupt noch eine Privatisierung, wenn nur ein Viertel des Fahrbetriebs an die Börse geht?
Es ist ein erster Schritt. Die Sozialdemokratie hat
naturgemäß Probleme damit, einen Bereich der
Daseinsvorsorge zu privatisieren. Ich selbst halte einen Verkauf
des Fahrbetriebs für notwendig, weil die Bahn sonst ein Loch
ohne Boden ist. Am Ende stehen für das Haushaltsrisiko Bahn,
wenn sie in Bundesbesitz bleibt, die Steuerzahler gerade. Sozial
ist das nicht. Absurd sind Vorstellungen in der SPD, auf alle
Ewigkeiten festzuschreiben, dass nur ein Viertel des Fahrbetriebs
privatisiert wird. Hier wäre eine Änderung des
Grundgesetzes nötig, wofür es meiner Ansicht nach
keinerlei Mehrheit gibt. Wenn in der Zukunft neue Mehrheiten im
Parlament die Organisationsstruktur der Bahn nicht mehr antasten
dürften, dann würde diese in der Verfassung in einen
ähnlichen Rang erhoben wie etwa der Schutz der
Menschenwürde. Das kann doch niemand wollen.
Strikte Privatisierungsgegner argumentieren, ein profitorientierter Privatbetreiber der Bahn würde nicht mehr allen Bürgern zu erschwinglichen Preisen Mobilität garantieren.
Seit sechs Jahrzehnten wird das Streckennetz der Deutschen Bahn
verringert. Das hat also nichts mit privater oder staatlicher
Eignerschaft zu tun. Es geht schlicht die Nachfrage zurück,
weil immer mehr Menschen motorisiert sind. Zugleich steigen die
Kosten der Bahn. Also verringert sie ihr Angebot.
Sie erwähnten die Daseinsvorsorge. Hierbei geht es doch darum, dass der Staat den Bürgern ein bestimmtes Niveau an Infrastruktur bereit stellt. Steht nicht dieser Anspruch immer im Konflikt zu Privatisierungsprojekten?
Es gibt da ein Spannungsfeld, das ist richtig. Aber der Begriff
der Daseinsvorsorge ist unscharf und teils sogar irreführend.
Beim öffentlichen Nahverkehr neigt jeder dazu, ihn zur
Daseinsvorsorge zu zählen. Das hätte aber vor vierzig
Jahren bei den Schwimmbädern auch jeder getan, und heute haben
wir kein Problem damit, dass hier vieles privat ist. Bemerkenswert
ist, dass gerade die Versorgung der Menschen mit so elementaren
Gütern wie Nahrungsmitteln ohne Zögern dem privaten
Handel überlassen wird. Ein wirkliches Problem aber ist, dass
der Begriff der Daseinsvorsorge nahe legt, dass hier
Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielen soll. Das aber bedeutet
Quersubventionierung. Und wieder muss der Steuerzahler für die
Rechnung aufkommen.
Sie plädieren für den untätigen Staat?
Keineswegs. Der Staat muss aber nicht alles selbst machen,
sondern nur schauen, dass die Märkte die entsprechenden
Leistungen wirklich erbringen. Das ist dann der moderne
Gewährleistungsstaat.
Auch ein Unionspolitiker wie Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hat erklärt, der Verkauf etwa der Hamburgischen Elektriziätswerke HEW sei ein Fehler gewesen. Die Strompreise sind seit der Öffnung des Markts heftig gestiegen...
Die HEW sind nicht einfach privatisiert worden, sondern sie sind
fusioniert mit dem Konzern Vattenfall. Wir haben im Strommarkt
einen bedenklichen Konzentrationsprozess. Von neun
Verbundunternehmen sind bloß vier übrig gebliegen, und
die betreiben untereinander keinen effektiven Wettbewerb.
Privatisierung ohne Wettbewerb aber ist ein Problem.
Ist die als Kontrollinstanz geschaffene Bundesnetzagentur ein taugliches Mittel im Kampf für mehr Wettbewerb?
Ja, auch wenn ihre Kompetenzen im Energiesektor zum Teil noch zu
eng gefasst sind. Im Telekommunikationssektor waren die Befugnisse
der Agentur dagegen sehr weit gefasst, und hier hatte die
Privatisierung und Marktöffnung Erfolg. Heute herrscht ein
reger Wettbewerb und die Telefonkosten der Verbraucher sind
drastisch gesunken. Das liegt auch am technischen Fortschritt, aber
eben nicht nur.
Privatisierung bedeutet also nicht weniger Staat, sondern erfordert im Gegenteil einen starken Staat - nur eben nicht mehr als Eigentümer oder Manager von Unternehmen, sondern als Regulierer?
Ja, bei natürlichen Monopolen wie in der Netzwirtschaft -
Bahn, Strom, Wasser - unbedingt.
Beispiel Wasser: Rostock hat seine Wasserversorgung an den Konzern Eurawasser gegeben, dabei aber das Leitungsnetz nicht verkauft. Die private Seite investierte Unsummen, seit sechs Jahren sind nun die Wasserpreise nicht mehr gestiegen. Beleg dafür, dass man Netze grundsätzlich besser nicht veräußert?
Wettbewerbspolitisch ist die Trennung von staatlichem Netz und
privater Nutzung ein Vorteil. Es gibt aber auch Nachteile. Bei
einer Trennung von Netz und Betrieb haben die Netzeigner weniger
Informationen über die nötigen Investitionen. Die Nutzer
selbst haben diese Informationen und im übrigen ein
großes Interesse an Pflege und Ausbau der Netze.
Was lässt sich sonst aus der Wasserprivatisierung in Rostock ableiten?
Vielleicht, dass die öffentliche Seite als Verkäufer
lieber auf die möglichen Spätfolgen schauen sollte statt
vor allem auf die Maximierung des Verkaufspreises. Es ist
problematisch, wenn in der Politik kurzfristige finanzielle
Kalküle langfristig wirkende Entscheidungen
bestimmen.
Beispiel Krankenhäuser: In Hamburg hat der Konzern Asklepios viel Porzellan zerschlagen. Der Klinikkonzern Helios hingegen wird vielfach für sein Qualitätsmanagement gelobt. Zeigt dies, dass es bei Privatisierungen weniger auf das Ob ankommt als auf das Wie?
Aus Hamburg haben in der Tat viele Klagen zum Thema Asklepios
die Monopolkommission erreicht. Niedergelassene Ärzte
beschweren sich, weil - so heißt das bei den Medizinern -
Patienten blutig aus den Kliniken entlassen wurden. Mit den
Fallpauschalen gibt es im Gesundheitssystem einen Anreiz, lange
Liegezeiten zu vermeiden, weil diese statt Geld nur Kosten bringen.
Die privaten Konzerne gehen damit offenbar unterschiedlich um. Hier
werden die Gerichte durch eine Verschärfung der Haftungsfolgen
disziplinierend wirken müssen. Das könnte dann
Mängel oder Fehler bei der Organisation oder der Behandlung
von Patienten für die Kliniken finanziell sehr schmerzhaft
machen.
Auch bei der Flugsicherung, bei Gefängnissen oder der Logistik der Bundeswehr gibt es konkrete Überlegungen, teilweise zu privatisieren. Bislang galt derlei in Deutschland als Tabu...
Beim Thema Sicherheit sollte man mit Privatisierungen sehr
vorsichtig sein. Das ist wirklich ein Kernbereich von
Staatlichkeit. Und, ganz pragmatisch, der Staat muss hier im
Zweifel auch mal sehr schnell eingreifen können. In
privatisierten Bereichen ist natürlich auch Steuerung
möglich, aber die wirkt immer nur zeitverzögert. Hier
handelt es sich also um eine staatspolitische Frage - nicht um eine
ökonomische.
Das Interview führte Jonas Viering.
Jürgen Basedow ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Vorsitzender der Monopolkommission.