Fraktionen stritten um eine Änderung der Zivilprozessordnung
Am Paragrafen 522 der Zivilprozessordnung erhitzen sich die Gemüter: Wann darf ein Gericht die Berufung verweigern? Und wird der Paragraf überall gleich ausgelegt? Die FDP will mit einer Gesetzesänderung Klarheit schaffen. Der Bundestag diskutierte am Freitag, 5. März 2009, in erster Lesung über die Gesetzesvorlage und überwies sie an den Rechtsausschuss.
Wer meint, deutsches Recht sei immer eindeutig, der irrt. Der
Bundestag stritt am 5. März.sogar um einzelne Wörter. Wie
heißt es richtig: „oder“ oder „und“?
Und als ob das noch nicht genug wäre, ging es auch noch um
Zahlen und die Frage, wie viel Prozent wovon nun eigentlich gemeint
sind.
Grund für diese komplizierten Diskussionen war ein
Gesetzentwurf der FDP (
16/11457). Es ging um die Berufung in
Zivilprozessen; im Zentrum der Debatte stand Paragraf 522 der
Zivilprozessordnung (ZPO). Diese Vorschrift sieht vor, dass ein
Gericht eine Berufung zurückweisen kann, ohne eine
mündliche Verhandlung anzusetzen. In den Fällen des
Paragrafen 522 ist dann kein Widerspruch gegen diesen
Gerichtsbeschluss erlaubt. Diese Regelung wurde 2001 im Zuge der
Reform der ZPO eingeführt.
Seitdem habe sich Handlungsbedarf ergeben, sagte Mechthild Dyckmans (FDP), die den Entwurf mit ausgearbeitet hatte. Die FDP-Fraktion möchte den Paragrafen 522 zwar nicht komplett streichen, aber es soll wieder die Möglichkeit geben, sich in diesem Fall gegen einen Gerichtsbeschluss zu wehren.
Der Gesetzentwurf sieht also ein neues Rechtsmittel vor: Glaubt ein
Bürger, das Gericht habe seine Berufung fälschlicherweise
nicht zugelassen, soll er dagegen bei einem höheren Gericht
Beschwerde einlegen können.
Dyckmans begründete den Handlungsbedarf mit Zahlen, die sie aus einer Umfrage des Justizministeriums hatte. „Der Prozentsatz der Fälle, in denen Paragraf 522 angewendet wurde, variiert von Land zu Land sehr stark.“
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) bestritt im Bundestag
allerdings die Richtigkeit der Zahlen. Es müsse noch einmal
nachgeprüft werden, worauf sich die angegebenen
Prozentsätze beziehen und ob sie dann für diese Debatte
angewendet werden könnten.
Zypries Fraktionskollege Joachim Stünker verteidigte die ZPO-Reform von 2001. Er hatte sie selber mit ausgearbeitet: „Zivilprozesse sollten effektiver werden.“ Das sei mit der Reform gelungen, und das wolle man auch so beibehalten. Der Arbeitsaufwand für die Gerichte werde nur erhöht, wenn Prozesse, die sowieso keine Aussicht auf Erfolg haben, auf eine höhere Ebene verlagert werden.
Der Problemaufriss werde den Realitäten nicht gerecht, sagte
Jürgen Gehb(CDU/CSU). Außerdem fügte er hinzu:
„Nur, wer die Begrifflichkeit kennt, kann auch
diskutieren!“ Im Gesetz stehe bei den Bedingungen für
Paragrafen 522 ausdrücklich "und" und nicht "oder", betonte
er. Das würde verhindern, dass der Paragraf willkürlich
und leichtsinnig angewandt werde. Schließlich müssten
nicht nur eine, sondern alle Bedingungen erfüllt sein.
Unterstützung fand der Vorschlag der FDP-Fraktion bei der Fraktion Die Linke und bei Bündnis 90/Die Grünen. Wolfgang Nešković (Linke) sagte, die Reform der Zivilprozessordnung habe das Rechtsstaatsprinzip erodiert. „Erklären Sie mal einer alleinerziehenden Mutter, warum sie sich nicht gegen den Beschluss eines Gerichtes wehren kann!“, forderte er.
Diesen Vorwürfen folgte auch Jerzy Montag (Grüne), und
griff außerdem die Verwirrung darüber auf, welche Zahlen
nun anzuwenden seien. Das Gesetz sage, das Gerichte habe beim
Paragrafen 522 keinen Ermessensspielraum – die Kriterien
seien klar. „Trotzdem gibt es eine Spreizung, wie oft
Paragraf 522 angewendet wird – und dagegen muss man was
tun.“