Vorschlag zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens stößt auf Kritik
Ein überwiegend negatives Echo im Rechtsausschuss löste am Mittwoch, dem 18. März 2009, der vom Bundesrat vorgelegte Gesetzentwurf aus, der auf eine Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts zielt. Die Länderkammer will erreichen, dass ein vor Gericht Freigesprochener sich erneut einem Prozess stellen muss, wenn neue kriminaltechnische Untersuchungsmethoden – wie etwa die DNA-Analyse– zweifelsfrei belegen, dass der Angeklagte doch der Täter war.
In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses sagte der
Berliner Strafrechtler Prof. Dr. Klaus Marxen zu
dem Gesetzentwurf (
16/7957), neue Tatsachen oder Beweismittel
rechtfertigten keine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten.
Der Umgang des Bundesrates mit dem fraglichen Passus des
Grundgesetzes („Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der
allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“) gebe
„zu erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken
Anlass“.
Marxen zufolge steht der Reformvorschlag erkennbar im Zeichen der Aufklärungserfolge, die im Bereich der Tötungsverbrechen mit modernen technischen Untersuchungsmethoden erzielt worden sind. Übersehen werde, dass Fortschritte in der Untersuchungstechnik zwar die Überführung von Tätern eines Tötungsdelikts verbessern könnten, aber nur geringe Auswirkungen auf die Beweislage im Hinblick auf die relevante Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag hätten.
Dr. Gerhard Schäfer, ehemaliger Vorsitzender
Richter am Bundesgerichtshof, sagte, er habe zwar Sympathie
für die Initiative des Bundesrates. Aber der zitierte
Grundgesetzartikel dürfte einer Änderung entgegenstehen.
Außerdem seien viele Punkte in dem Entwurf nicht zu Ende
gedacht.
Der Gesetzentwurf vermöge nicht zu überzeugen, weil er in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich und sogar fehlerhaft sei, stellte auch Privatdozent Dr. Kristian F. Stoffers von der Universität Bielefeld fest. Und Thomas Scherzberg, Rechtsanwalt aus Frankfurt am Main, meinte, der Gesetzentwurf verstoße „in eklatanter Form“ gegen die Grundsätze eines freiheitlich orientierten Rechtsstaates.
Rechtspolitisch und systematisch erscheine es insbesondere
höchst problematisch, dass ein einziger Fall zum Anlass
genommen würde, schwere Einschnitte in die Systematik der
Strafprozessordnung vorzunehmen. Die Initiative lehnte auch der
Berliner Rechtsanwalt Dr. Stefan König ab.
Ein verfassungsrechtlich legitimes Bedürfnis für eine
Erweiterung der Wiederaufnahmegründe sei nicht erkennbar.
Entgegengesetzter Meinung waren drei Sachverständige: „Es muss für die Angehörigen eines Mordopfers unerträglich sein, dass sich ein Beschuldigter trotz eines sicheren Nachweises der Täterschaft der Strafverfolgung entziehen kann“, sagte Dr. Heinrich Kintzi, ehemaliger Generalstaatsanwalt aus Braunschweig.
Es sei ihnen nicht zu vermitteln, dass keine Möglichkeit
bestehe, ein „eklatantes Fehlurteil“ zu korrigieren. Er
habe keine verfassungsrechtlichen Bedenken, machte der
Sachverständige deutlich.
Gleicher Ansicht war Dr. Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof: Die im Gesetzentwurf gegebene Begründung für die Einführung dieses Wiederaufnahmegrundes sei deshalb nicht zu beanstanden.
Auch für Prof. Dr. Heinz Schöch,der
Strafrecht, Kriminologie, Jugendrecht und Strafvollzug an der
Ludwig-Maximilians-Universität München lehrt, war der
Meinung, bei Mord oder Völkermord wögen Unrecht und
Schuld so schwer, dass man von einem „unerträglichen
Missverhältnis zulasten der Gerechtigkeit“ sprechen
müsse. Es sei deshalb sachgerecht, wenn die Initiative der
Länderkammer für diese beiden Delikte bei nahezu sicherer
Überführbarkeit des Täters eine Wiederaufnahme
zuungunsten des freigesprochenen Angeklagten zulassen wolle, sagte
Schöch.
Liste der geladenen Sachverständigen
Dr. Jürgen Peter Graf, Richter am
Bundesgerichtshof, Karlsruhe
Dr. Heinrich Kintzi, Generalstaatsanwalt i. R.,
Braunschweig
Dr. Stefan König,Rechtsanwalt, Berlin
Prof. Dr. Klaus Marxen, Humboldt-Universität
zu Berlin, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für
Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie
Dr. Marion Nagy,
Charité-Universitätsmedizin Berlin, Institut für
Rechtsmedizin, Abteilung Forensische Genetik
Dr. Gerhard Schäfer, Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof a. D., Stuttgart-Riedenberg
Thomas Scherzberg, Rechtsanwalt, Frankfurt am
Main
Prof. Dr. Heinz Schöch,
Ludwig-Maximilian-Universität München, Lehrstuhl für
Strafrecht, Kriminologie, Jugendrecht und Strafvollzug
Privatdozent Dr. Kristian F. Stoffers,
Universität Bielefeld