Bundestag debattierte über das "Nein" zur Nutzung der Kernkraft
Im Jahr 2000 verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung mit dem Atomgesetz einen Ausstieg auf Raten aus der Nutzung der Kernenergie. Auch viele andere europäische Länder wie Italien, Österreich oder Schweden beschlossen, ihre Atomkraftwerke abzuschalten und keine weiteren Meiler mehr zu bauen. Doch angesichts steigender Energiekosten und des Klimawandels erlebt die Kernkraft derzeit eine Renaissance: Insbesondere die Ankündigung der schwedischen Regierung, die vor fast 30 Jahren beschlossene Abwicklung der Atomkraft wieder rückgängig zu machen, hat auch hierzulande die Diskussion um einen Ausstieg aus dem Ausstieg neu entfacht. Am Donnerstag, dem 19. März 2009, befasste sich der Bundestag in einer eineinhalbstündigen Debatte mit dieser Frage.
Anlass für die Aussprache waren insgesamt sechs Anträge
von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie eine Große Anfrage
der FDP (und die Antwort der Bundesregierung darauf) zum Thema
Nutzung und Ausstieg aus der Kernkraft, die den Abgeordneten zur
Beratung und Abstimmung vorlagen.
„Atomkraft ist teuer, unflexibel und ein
Sicherheitsrisiko“
Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) begründete die von ihrer Fraktion beantragte Debatte damit, dass Deutschland vor einer Richtungsentscheidung stehe: Die Frage sei: „Wollen wir erneuerbare Energien oder eine Renaissance der Atomkraft?“ Beides zusammen ginge nicht. Man brauche flexible Kraftwerke, aber das seien Atomkraftwerke nicht: „Die sind langsam, schwerfällig – und ein erhebliches Sicherheitsrisiko.
„Kein noch so sicheres Kraftwerk ist gegen eine
Reaktorkatastrophe gesichert“, sagte Höhn. Die
Grünen bestünden deshalb auf einer Fortsetzung des
Ausstiegs aus der Atomkraft. Denen, die argumentieren, dass
Atomkraft sauber und günstig sei, hielt die Politikerin
entgegen: „Atommüll ist giftig, er strahlt und wir
wissen nicht wohin damit!“
Ihre Fraktionskollegin Sylvia Kotting-Uhl bekräftigte zudem,
billig sei Atomenergie „nur für die Betreiber
abgeschriebener AKWs, für die Volkswirtschaft sei sie
„so teuer wie keine andere Energieform“.
Atomkraft neutral darstellen
Die FDP-Sprecherin für Umwelt und Reaktorsicherheit, Angelika Brunkhorst, argumentierte für eine weitere Nutzung der Atomkraft. Erneuerbare Energien sollten zwar weiter ausgebaut werden, aber „passgenau und nicht zu Lasten anderer Energieformen“, verlangte die Abgeordnete.
Deutschland werde auch in Zukunft einen Dreiklang der Energiearten
benötigen: “Moderne, konventionelle Kraftwerke,
erneuerbare Energien und Kernenergie sind drei Schwestern im
Netz“, sagte Brunkhorst. In diesem Zusammenhang sei es auch
falsch, wenn Unterrichtsmaterialien, wie die vom
Bundesumweltministerium herausgegebene Publikation für
Schüler, die Kernkraft einseitig negativ darstellten.
Politische Bildung dürfe nicht „indoktrinieren“,
sagte die Politikerin und forderte, die Unterrichtsmaterialien zu
überarbeiten oder umgehend aus dem Netz zu nehmen. Sie nahm
damit Bezug auf die Große Anfrage ihrer Fraktion (
16/9509) zum Umgang mit dem Thema Atomausstieg
in Unterrichtsmaterialien, zu der die Bundesregierung bereits eine
Antwort vorgelegt hat (
16/11343).
„Kein Königsweg in der Energiefrage“
Christian Hirte (CDU/CSU) betonte, es gäbe in der Energiefrage keinen „Königsweg“. Deutschland brauche einen Energie-Mix, in dem auch die Atomkraft enthalten sei. „Wir können zur Überbrückung auf sie nicht verzichten“, betonte Hirte.
Die von den Grünen vertretene Meinung, nicht gleichzeitig auf
den Ausbau erneuerbarer Energien und die Atomkraft setzen zu
können, bezeichnete er als falsch: „Es geht
beides“, so der CDU-Abgeordnete. Die Atomkraft sei so
kostengünstig, dass man gleichzeitig auch erneuerbare Energien
unterstützen könne.
Seine Fraktionskollegin Dr. Maria Flachsbart nahm später zu
den das Atommülllager Asse II betreffenden Anträgen von
Bündnis 90/Die Grünen Stellung: „Diese Regierung
geht das Problem, anders als Rot-Grün, beherzt an“,
sagte die Abgeordnete und kritisierte dagegen die Aussagen des
Bundesumweltministers Sigmar Gabriel (SPD) zur Finanzierung der
Sanierung und Schließung von Asse II als
„kontraproduktiv“ und
„widersprüchlich“. Mal habe Gabriel die Betreiber
an den Kosten beteiligen wollen, mal nicht, so Flachsbart.
„Mehrheit der Bevölkerung will den
Ausstieg“
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wies den Vorwurf eines „Schlingerkurses“ jedoch zurück und griff stattdessen die Grünen an: Sie hätten sich in ihrer Regierungszeit gar nicht um das Atommüllendlager Asse II gekümmert. „Sie verhalten sich hochgradig pharisäerhaft“, kritisierte Gabriel. Er wolle gar nicht bestreiten, dass Fehler gemacht worden seien, aber von allen Parteien.
Nur die Linksfraktion profitiere von der „Gnade der
späten Geburt“. Jetzt sei es aber wichtiger zu handeln,
als sich gegenseitig Vorwürfe zu machen: „Die Menschen
erwarten, dass wir diesen Zirkus beenden“, so der Minister.
Ebenso wie die Debatte um den Ausstieg aus dem Atomausstieg:
Während die Mehrheit der Bevölkerung dafür sei,
Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, werde die Debatte nur von der
„Atomlobby angetriggert“. Die Diskussion sei der
„wahre Wiedergänger“, nicht die Atomkraft.
Atomausstieg fortsetzen und alte Reaktoren
abschalten
In ihren Anträgen hatten die Grünen gefordert, „die Energiewende voranzubringen und den Atomausstieg fortzusetzen“ ( 16/12288). Außerdem verlangte die Fraktion die „Verantwortlichkeiten für die Zustände im Endlager Asse II zu benennen und Konsequenzen für die Endlagerfrage zu ziehen“ ( 16/10359) sowie das Forschungsendlager Asse II unter Atomrecht zu schließen und die dort lagernden Abfälle schnell zurückzuholen“ ( 16/4771). Dies lehnte das Parlament jedoch ab.
Darüber hinaus plädierten die Grünen dafür,
alte Atomkraftwerke in Osteuropa (
16/11764) und in Deutschland vom Netz zu nehmen
(
16/6319). Außerdem sollten besonders
terroranfällige Kraftwerke, die nur unzureichend gegen
Angriffe gesichert seien, abgeschaltet werden (
16/3960).
Diese Anträge wurden in der Abstimmung nach der Debatte
abgelehnt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit hatte dies zuvor empfohlen (
16/7882,16/8469).