Abgeordnete im Streitgespräch beim Europaforum 2009
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU) hat die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise in Relation gesetzt zu "echten" Krisen, die vergangene Generationen meistern mussten. Am 64. Jahrestag des Kriegsendes und 60. Jahrestag des Grundgesetz-Beschlusses im Parlamentarischen Rat sollten "Katastrophenrhetoriker und Paniker" die Tassen daher im Schrank lassen, sagte Lammert in seinem Grußwort zum Auftakt des Europaforums des Westdeutschen Rundfunks unter Schirmherrschaft des Deutschen Bundestages am 8. Mai 2009 im Berliner Paul-Löbe-Haus.
Diese Krise sei kein nationales, sondern ein globales
Phänomen, unterstrich der Bundestagspräsident. Es sei
auch keine Krise der Staaten, sondern eine Krise der "Verfassung
unserer Welt". Diese globale Krise könne nicht von einzelnen
Staaten mit Aussicht auf Erfolg bekämpft werden. Die Einsicht
wachse, dass die Politik nicht nur störe, sondern auch
stabilisiere, wenn die "Selbstheilungskräfte ins Bodenlose zu
fallen drohen", so Lammert.
Die aktuelle Krise war auch Gegenstand eines Streitgesprächs des Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Dr. Gregor Gysi, des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, und der stellvertretenden Vorsitzenden der "Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa" im Europaparlament, Dr. Silvana Koch-Mehrin.
Koch-Mehrin sagte, der Markt brauche eine vernünftige
Regulierung, die gebe es durch das Wettbewerbs- und das
Kartellrecht und die Regelungen für staatliche Beihilfen.
Dabei komme es nicht auf die Quantität, sondern auf die
Qualität der Regulierung an. Protektionistische Tendenzen
seien überwunden worden, doch könne die EU nur so viel
unternehmen, wie ihr die Mitgliedstaaten zugestünden. Es
gäbe die Möglichkeit, eine gemeinsame Aufsicht über
die Finanzmärkte zu schaffen, doch die nationalen Regierungen
hätten dies nicht gewollt. Ihre Fraktion habe frühzeitig
gesagt, dass ein europäischer Handlungsrahmen für die
Finanzaufsicht gebraucht werde. "Die Regierungen blockieren", so
die Abgeordnete.
Gregor Gysi plädierte ebenfalls für eine Regulierung der Finanzwelt. "Wenn die Realwirtschaft um zwei bis drei Prozent steigt, können Renditen von 25 Prozent nur eine Seifenblase sein", sagte Gysi. "Das hätten eigentlich alle wissen können." Der Linken-Politiker sprach sich für das "schwedische Modell" aus, Banken vorübergehend zu verstaatlichen, um wieder Vertrauen zu schaffen und die Kreditvergabe in Gang zu bringen. "Wenn das Geld der Steuerzahler mit Zinsen zurückgeflossen ist, kann wieder privatisiert werden." Im Übrigen leide Europa darunter, dass die Währungsunion vor der Politischen Union gekommen sei und dass es in Europa keine Steuerharmonisierung gebe.
Martin Schulz meinte, Europa hätte auf die Krise viel
früher reagieren können. Seine Fraktion habe bereits im
November 2007 im Europaparlament Richtlinien für
Spekulationsfonds und für mehr Transparenz im Bilanzrecht
gefordert. Damals sei entgegnet worden, dass dies den Markt
behindere. Jetzt gebe es zaghafte Versuche, "weiße Salbe" auf
die Wunden zu schmieren. "Wir brauchen Regeln für die
Transparenz der Bilanzen, damit sich nicht wiederholt, was
angerichtet worden ist", forderte Schulz.