Ein Tag im Wahlkampf mit Dr. Eva Högl (SPD)
Der Kampf um die Wählerstimme beginnt auf der Straße. Und manchmal ist er ganz schön mühsam. Das Wahlkampfteam von Eva Högl hat den Stand der SPD-Kandidatin für den Wahlkreis 76, Berlin-Mitte, am Eingang zum Ökomarkt am Zionskirchplatz aufgebaut. Info-Flyer, Kugelschreiber, Luftballons. Und daneben ein knallrotes Ikea-Sofa, das die Passanten zum ausgiebigen Plausch mit der promovierten Juristin einlädt.
Doch das Sofa bleibt leer. Der Bürger, der sich für 14:30 Uhr hier zum Gespräch mit Högl verabredet hat, taucht nicht auf. Auch Passanten kommen um diese Uhrzeit kaum vorbei. Genug Zeit also für die 40-Jährige mit den kurzen blonden Haaren, selbst einen kleinen Bummel über den Ökomarkt zu machen. Mit den Standbesitzern reden, sich vorstellen, Informationsmaterial verteilen.
Die Reaktionen sind überwiegend freundlich-abwartend. Doch als Högl dem Mann hinterm Obst- und Gemüsestand die Hand entgegenstreckt, rührt der im Gegenzug keinen Finger. Schimpft darüber, dass sich vier Jahre lang kein Politiker für die Anliegen der Ökobauern auf diesem Markt interessiert habe. Und dass er nun als Wahlkampf-Kulisse missbraucht werde.
Högl versucht, mit dem Gemüsemann in ein konstruktives Gespräch zu kommen, Gegenargumente vorzubringen. Schließlich sei sie erst seit einem halben Jahr als Kandidatin für diesen Wahlkreis nominiert. Doch ihr Gegenüber hat kein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung, verfällt in eine pauschale Politikerschelte. Schließlich verabschiedet sich Högl und geht weiter. Es hat keinen Sinn, sich weiter mit dem aufgebrachten Mann zu streiten. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt sie etwas verdutzt. Einen Moment lang wirkt die gebürtige Niedersächsin mit der fröhlichen, zupackenden Ausstrahlung etwas erschöpft.
Viel ist in diesen Tagen vom lahmen Wahlkampf der Parteien die Rede. Dass es kein Wunder ist, dass sich die Bürgerinnen und Bürger damit nicht hinterm Ofen hervorlocken lassen. Aus Sicht eines Straßenwahlkämpfers stellt sich die Sache etwas anders dar. Seit Wochen mühen sich die Bundestagskandidaten um das Gespräch mit dem Wähler, sind von morgens bis abends auf den Beinen, eilen von einem Infostand zum nächsten. Doch die Reaktionen sind oft verhalten bis ablehnend. Stehen nicht auch die Bürger gegenüber der Politik in der Pflicht? Wie sollen die Kandidaten ihre Positionen und Argumente deutlich machen, wenn auf der anderen Seite oft so wenig Interesse an einem persönlichen Austausch über Sachfragen besteht?
Högl selbst erholt sich rasch von der unerfreulichen Begegnung auf dem Ökomarkt. Positiv denken, Empfindlichkeiten gar nicht erst aufkommen lassen, umgehend Standort-Analyse betreiben: Ohne diese Devise ist man verloren im Straßenwahlkampf. Högl, die für Ditmar Staffelt, der im Januar 2009 als Abgeordneter für Berlin-Neukölln aus dem Bundestag ausschied, ins Parlament nachrückte, beherrscht das Spiel. Einen Tag später steht sie mit ihrem Wahlkampfteam 500 Meter weiter an der belebten Ecke Veteranen-/Fehrbelliner Straße. Mütter und Väter schieben Kinderwagen vor sich her, streben mit ihrem Nachwuchs an der Hand auf den beliebten Spielplatz direkt hinter dem SPD-Infostand. Die Wahlhelfer kommen kaum nach mit dem Verteilen von Luftballons und Bonbons. Und Högl nutzt die Gelegenheit, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen.
"Eva ist engagiert, authentisch", sagt Ulrich Davids anerkennend. Der langjährige Vorsitzende der SPD-Abteilung Rosenthaler Vorstadt und Vorsteher der Bezirksverordneten-Versammlung Berlin-Mitte beobachtet seine Kandidatin, die vor ihrem Wechsel in den Bundestag als Abteilungsleiterin im Arbeitsministerium tätig war, aus ein paar Metern Entfernung. Davids kennt sich aus im politischen Geschäft. Es sei wichtig, den Leuten zuzuhören, Interesse an ihren Sorgen und Nöten zu zeigen, sagt der 51-Jährige. Zugleich dürfe man nie etwas versprechen, was man hinterher nicht halten könne. Das führe zu Frust und der oft beklagten Politiker-Verdrossenheit.
Högl beherrscht diese Regeln aus dem Effeff. Das hat sie am Tag zuvor gezeigt, als sie auf Stippvisite im Stadtbad Wedding vorbeischaut. Das 1907 erbaute Hallenbad, seit knapp acht Jahren nicht mehr in Betrieb, wird zurzeit zu einem Kunst- und Kulturzentrum umgebaut, erklärt einer der Initiatoren. Mit Galerien, Ateliers, einer Tangoschule. Högl hört interessiert zu, fragt nach, zeigt sich begeistert: "Ich finde das ein ganz tolles Projekt", sagt sie. Und dass sie als Bundestagsabgeordnete die Veranstalter gerne unterstützen würde.
Und schon geht’s weiter zu den "Gerichtshöfen". Im ersten Durchgang des ehemaligen Chemiefabrikgebäudes wird die Kandidatin von Ulrike Hansen und Jürgen Reichert erwartet. Die beiden gehören zu den mehr als 70 professionellen Künstlern, die in den Gerichtshöfen, einem der größten Kunstquartiere Deutschlands, ihr Atelier haben. Doch die Idylle ist bedroht: Die ehemals äußerst günstigen Mietpreise steigen, manche können sie nicht mehr zahlen, müssen minderbegabten, aber finanzkräftigen Hobbykünstlern Platz machen.
Auch wenn den beiden Malern klar ist, dass die Möglichkeiten einer Bundestagsabgeordneten eher begrenzt sind, hieran etwas zu ändern - Högls Interesse an der Künstlergemeinschaft und ihrer Arbeit kommt gut an. Von den Kandidaten der anderen Parteien sei noch keiner da gewesen, erzählen sie. Punkt für die SPD-Frau.
Für die ist dieser Eildurchlauf durch den "Kulturstandort Wedding" nicht zuletzt eine Entdeckungsreise in den Wahlkreis, den sie am 27. September gewinnen will und der wohl zu den heterogensten in ganz Deutschland gehört. Sie selbst wohnt in Alt-Mitte, dem trendigen Szenebezirk nördlich vom Regierungsviertel, der inzwischen fest in der Hand von Bündnis 90/Die Grünen ist.
Doch hier im Wedding ist alles anders. Das ehemalige Arbeiterviertel ist traditionell SPD-Gebiet. Und mit seiner hohen Arbeitslosenquote und seinem hohen Ausländeranteil eine echte Herausforderung für die Politik. Geprägt wird sie im Kiez seit knapp 25 Jahren von Högls Parteifreund Jörg-Otto Spiller - zunächst als Bürgermeister, seit 1994 dann als Bundestagsabgeordneter. Mit über 20 Prozentpunkten Vorsprung hat der Finanzpolitiker den Wahlkreis für die SPD seither jedes Mal direkt geholt. Und die Latte für seine potenzielle Nachfolgerin hoch gelegt.
Die lässt sich davon nicht schrecken. Immerhin kann sich die Newcomerin auf ein ansehnliches Wahlkampfteam von 14 hauptamtlich beschäftigten Mitarbeitern stützen, dazu auf viele freiwillige Helfer. Seit rund zehn Wochen sind sie alle am Rotieren. Für den Endspurt bis zum 27. September heißt es noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Und wenn es dann geschafft sein, Eva Högl für Berlin-Mitte im Bundestag sitzen sollte? Dann geht die eigentliche Arbeit erst richtig los, sagt die Kandidatin lachend.