Der Ruf der Wähler nach der ungeschminkten Wahrheit wurde im Bundestag erhört: "Politik ungeschminkt" heißt die Ausstellung des Studios Kohlmeier im Kunst-Raum des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Berliner Parlamentsviertel, die Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert am Donnerstag, 28. Januar 2010, eröffnet hat. Die hier ausgestellte Serie ist das Ergebnis eines Mammutprojekts: In insgesamt acht Monaten hatte das Fotografenehepaar Bernd und Angelika Kohlmeier im Jahr 2009 rund 11.000 Kilometer zurückgelegt, um Politiker beim Stimmenfang in ihren Wahlkreisen mit der Kamera zu begleiteten. Ausgewählt hatten sie hierfür 16 Abgeordnete, die in ihren 16 Wahlkreisen in der 16. Legislaturperiode um den Einzug in den Bundestag kämpften.
Bundestagspräsident Norbert Lammert war die Begeisterung über das Resultat anzumerken: "Diese Ausstellung ist das erfreuliche Gegenteil einer Entwicklung, der ich mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehe", sagte Lammert. "Ich halte die allgegenwärtige Bilderflut des modernen Medienzeitalters nicht unbedingt für eine Errungenschaft. Bilder sind häufig inszeniert, Zusammenhänge bleiben unklar."
Um dies zu vermeiden und einen möglichst ungeschminkten, authentischen Blick auf die fotografierten Abgeordneten zu liefern, griffen die Kohlmeiers bewusst auf Methoden zurück, über die Anhänger moderner Digitalfotografie heute nur noch die Nase rümpfen.
Angelika Kohlmeier: "Wir haben zwei analoge Kameras verwendet und auf Automatik und Blitzlicht verzichtet. Dadurch, dass wir nur mit dem vorhandenen Licht arbeiten, gewinnt das Gesicht seinen lebendigen Ausdruck zurück. Uns war es besonders wichtig, die menschliche Seite des Politikers herauszuarbeiten."
Dies ist insbesondere auf den Porträtfotos gelungen, die von jedem der 16 Abgeordneten angefertigt wurden. Der Betrachter erhält hier den Eindruck, die gegenwärtige Gemütslage des Politikers von dessen Augen ablesen zu können - ob direkt nach einem Auftritt, wenn die Anspannung erkennbar aus seinem Gesicht weicht, oder in Situationen zwischen den Veranstaltungen, in denen sich Langeweile in der Mimik des Wahlkämpfers breit macht. Dank des Schwarzweiß-Formats erreichen die Aufnahmen zudem eine Intimität, die mit der gängigen Überkolorierung niemals möglich wäre.
Doch nicht nur der Fotobetrachter ist mit den Abgeordneten buchstäblich auf Augenhöhe, auch die Bürgerinnen und Bürger in den abgebildeten Gesprächssituationen sind es. Anders als bei typischen inszenierten Auftritten ist eben hier der Politiker nicht automatisch Mittelpunkt jeder Aufnahme, sondern lediglich Teil der Situation.
"Dies sind Situationen", sagte Lammert während seiner Eröffnungsrede, "in denen die Abgeordneten erwischt und nicht hingestellt werden. Ob im Wahlkreis, auf Volksfesten, Parteitagen, Demonstrationen, ob im eigenen Haus oder im Büro. Sie treten nicht als Amtsträger, sondern als Menschen auf. Sie sind neugierig, begeistert, gelangweilt oder enttäuscht. In der Politik geht es eben zu wie im richtigen Leben."
Gerade hier liegt auch die politische Leistung des Projekts: Es macht demokratische Errungenschaften sichtbar. Die Abgeordneten treten nicht als Herrscher auf, sondern als Volksvertreter, die auf die Zustimmung der Basis in ihren Wahlkreisen angewiesen sind.
Auf den Fotos sind Begegnungen zwischen gleichberechtigten Bürgern zu beobachten, die in einer gemeinsamen demokratischen Kultur verwurzelt sind. Die Spontaneität und Natürlichkeit dieser Momentaufnahmen stehen dabei im wohltuenden Widerspruch zu gängigen Masseninszenierungen totalitärer Staaten.
Viele der Aufnahmen entbehren dabei nicht einer charmanten Komik: Ob Dr. Martina Krogmann (CDU) beim Schützenfrühstück in Stade, Verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) am Piano, Dr. Hermann Otto Solms (FDP) mit lässiger Schirmmütze oder Gerda Hasselfeldt (CSU) etwas schüchtern in Uniform neben Offiziersanwärtern in Fürstenfeldbruck - in sämtlichen Rollen bleiben die Abgeordneten auf den Fotos stets sie selbst. Oder wie der Bundestagspräsident augenzwinkernd zusammenfasste: "Die Personen auf den Fotos sind derart authentisch festgehalten, dass man sie selbst als Abgeordnete fast ein bisschen gernehaben möchte."
Die ursprünglich bis 28. Februar geplante Ausstellung wird nun bis zum 7. März verlängert. Sie ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und am Donnerstag, 4. März, sogar bis 20 Uhr geöffnet.