Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, fürchtet wachsende Gefahren für die Bundeswehr infolge des neuen Afghanistan-Mandats. "Die neue Strategie des 'Partnering‘, also der engeren Kooperation mit der afghanischen Armee, bedeutet eine größere Angriffsfläche für die Soldatinnen und Soldaten und damit ein höheres Risiko", sagte er in einem am 15. März erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". "Die Gefahr wächst, dass Soldaten verwundet oder sogar getötet werden." Zugleich verwies Robbe auf einen massiven Ärztemangel bei der Bundeswehr. Robbe, dessen fünfjährige Amtszeit am 12. Mai endet, legt am 16. März seinen Wehrbericht für 2009 vor. Das Interview im Wortlaut:
Hinter Ihnen liegen turbulente Wochen: Bizarre Aufnahmerituale und
Alkoholmissbrauch in der Bundeswehr machten Schlagzeilen, der
Afghanistan-Einsatz wurde verlängert und neu bewertet.
Überwiegen bei Ihnen derzeit die Sorgen oder haben Sie auch
Grund zur Freude?
Die vielen Baustellen, mit denen ich es gerade zu tun habe, sind für mich nicht gerade Anlass zu heller Freude. Das hat in erster Linie mit dem Afghanistan-Einsatz zu tun und den Veränderungen, die sich aus dem neuen Mandat ergeben. Die Tatsache, dass wir noch nicht wissen, welche Auswirkungen diese Veränderungen haben werden, bereitet mir Kopfzerbrechen.
Die Bundeswehr beteiligt sich in Afghanistan jetzt an einem "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts". Begrüßen Sie diese Klarstellung?
Durchaus, denn das Ziel des Einsatzes ist jetzt exakter beschrieben als in der Vergangenheit. Das ist wichtig, auch für die Rechtssicherheit der Soldaten.
Warum sind Sie trotzdem so besorgt?
Die neue Strategie des "Partnering", also der engeren Kooperation mit der afghanischen Armee, bedeutet eine größere Angriffsfläche für die Soldatinnen und Soldaten und damit ein höheres Risiko. Militärexperten schließen nicht aus, dass sich die Situation im Norden Afghanistans, zumindest vorübergehend, wesentlich verschärfen kann. Die Gefahr wächst, dass Soldaten verwundet oder sogar getötet werden. Diese Problematik belastet unsere Soldaten.
In welcher Form?
Wichtig ist, dass die Soldaten alles bekommen, was für eine optimale Sicherheit notwendig ist. Wenn der schlimmste Fall eintritt und ein Soldat im Kampfeinsatz sein Leben verliert, muss es Hilfe und Unterstützung für die Angehörigen geben - und zwar langfristig. Hier sehe ich noch erheblichen Nachholbedarf bei der Bundeswehr.
Immer mehr Soldaten kehren traumatisiert aus dem Ausland zurück. Hilft die Bundeswehr den Betroffenen genug?
Ich bin sehr dankbar, dass meine Forderungen im Parlament auf fruchtbaren Boden gefallen sind. So soll es künftig bessere Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten geben. Der Verteidigungsausschuss hat zudem schon im Juli 2009 beschlossen, dass ein Forschungs- und Kompetenzzentrum für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) eingerichtet werden soll. Die Bundeswehr lernt mit jedem Einsatz. Deshalb ist ein enger Wissenschafts- und Informationstransfer, auch mit dem Ausland, sehr wichtig. Ich hoffe, dass wir bald über ein Institut zur Behandlung von PTBS verfügen.
Angesichts der zunehmenden Risiken, denen die Soldaten ausgesetzt sind, ist es unverständlich, dass es der Bundeswehr ausgerechnet an Sanitätern und Fachärzten für Psychiatrie mangelt. Der Bundeswehr laufen seit Jahren die Ärzte weg. Was läuft schief?
Die Sanität ist nach wie vor eines meiner größten Sorgenkinder. Die Sanitätsführung hat nicht rechtzeitig auf die wachsenden Herausforderungen reagiert, insbesondere mit Blick auf das Personal. Allein 2009 haben 130 Bundeswehrärzte gekündigt. Die Arbeit ist sowohl finanziell als auch aufgrund der hohen Belastung einfach zu unattraktiv, vor allem in schwierigen Auslandseinsätzen wie dem in Afghanistan. Jetzt hat die Sanitätsführung endlich Lösungsvorschläge vorgelegt. Aber noch ist unklar, wie sie finanziert werden sollen. Ich muss es deutlich sagen: Für die Sanität ist es aus meiner Sicht nicht mehr fünf Minuten vor, sondern bereits fünf Minuten nach zwölf. Wer in der Sanität Kompromisse macht, läuft Gefahr, dass die ohnehin schwierige Situation der deutschen Soldaten im Auslandseinsatz zusätzlich erschwert wird.
Sie weisen auf den Ärztemangel in der Bundeswehr seit Jahren hin. Trotzdem ist kaum etwas passiert. Ist es für Sie nicht frustrierend, dass Sie immer wieder die selben Dinge anmahnen müssen?
Ich wusste vorher, dass es mühsam wird. Frustriert sind vor allem die Soldaten. Die sagen mir: "Wir schätzen sehr, dass Sie sich für uns einsetzen, aber in Ihrem letzten Bericht stehen eine ganze Reihe von Themen, die sich auch in Ihrem aktuellen Bericht wiederfinden." Und sie haben Recht! Das macht deutlich, wie mühsam es offensichtlich in der Bundeswehr ist, Dinge voranzubringen und zu verändern. Die Tatsache, dass es trotzdem einigermaßen funktioniert, ist ein Beleg für das unglaublich hohe Improvisationstalent der Soldaten.
Ihr neuer Jahresbericht erscheint am 16. März. Gibt es denn auch positive Entwicklungen?
Leider habe ich viele Stichworte, wie den genannten Ärztemangel oder die Defizite bei der Ausrüstung wieder aufnehmen müssen, weil es noch keine befriedigenden Lösungen gibt. Aber ja, es konnte auch nachgebessert werden, nicht zuletzt, weil die militärische Führung und auch die politisch Verantwortlichen im Verteidigungsministerium inzwischen aufmerksamer zuhören.
Wo gibt es Fortschritte?
Beispielsweise hat sich in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Dienst ein neues Bewusstsein gebildet. Für kaum einen militärischen Führer ist das heute noch ein Fremdwort. Und auch die politische Führung versucht, diesem Thema einen hohen Stellenwert einzuräumen. Bisher gibt es aber auch da nur Konzepte und kaum Konkretes. Betreuungsplätze für Kinder sind zum Beispiel immer noch rar.
Bundespräsident Horst Köhler hat einmal von einem "freundlichen Desinteresse" gegenüber der Bundeswehr gesprochen. Warum klafft eine so große Lücke zwischen Bedeutung und Akzeptanz der Armee?
Ich sehe da vor allem ein großes Informationsdefizit. Die Öffentlichkeit erfährt zu wenig über die Lebenswirklichkeit, die Arbeitswelt und die schwierigen Seiten des Soldatenberufes. Hier tun meiner Auffassung nach auch die Medien noch zu wenig. Deshalb hat es unsere Gesellschaft bis zum heutigen Tag nicht verstanden, den Soldaten die moralische Unterstützung zu geben - in der Kirche sprechen wir von Nächstenliebe -, die sie mit Recht erwarten dürfen. Darunter leiden die Soldaten, die im Einsatz ihren Kopf hinhalten müssen, tatsächlich. Das sagen sie mir sogar noch deutlicher als den Abgeordneten oder dem Minister.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat vergangene Woche in einem Vortrag vor Bundeswehrsoldaten betont, sie wüssten, "dass sie sich auf ihr Parlament verlassen können". Können sie das wirklich? Im Bundestag haben diesmal 111 Abgeordnete gegen das neue Afghanistan-Mandat gestimmt, 46 haben sich enthalten.
Das neue Mandat ist mit einer breiten Mehrheit im Bundestag, auch von weiten Teilen der Opposition, verabschiedet worden. Dennoch kritisieren viele Soldaten natürlich auch die Politik, weil sie teilweise zu wenig hervorhebt, was die Soldaten leisten. Diese Kritik sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, wie wir noch mehr vermitteln können, dass das Parlament hundertprozentig hinter ihnen steht.
Immerhin ist die Bundeswehr eine reine Parlamentsarmee.
Ja, die Bundesregierung kann beschließen, was sie will, aber kein Soldat wird je einen Stiefel auf fremden Boden setzen, wenn der Bundestag dem nicht explizit zustimmt. Daraus kann man eine besondere politische und moralische Verantwortung des Parlaments gegenüber den Soldaten ableiten.
Ihre fünfjährige Amtszeit endet am 12. Mai. Welchen Rat geben Sie Ihrem designierten Nachfolger Hellmut Königshaus von der FDP?
(lächelt) Ich habe keine Ratschläge zu erteilen. Wer mir aufmerksam zugehört hat und aufmerksam meine Berichte liest, braucht keine Empfehlungen.