Jorge Semprún, ehemaliger spanischer Kulturminister und Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, betonte im Anschluss einer Rede von Bundestagspräsident Thierse, dass die Auseinandersetzung mit der historischen Vergangenheit ausschlaggebender Faktor für den Wiederaufbau eines deutschen Nationalbewusstseins gewesen sei. Es sei ein Projekt der deutschen Nation, sich ihrer Vergangenheit, ihrer Licht- und Schattenseiten bewusst zu werden. Gerade jetzt, wo sich die Europäische Union für die Länder Mittel- und Osteuropas öffne, sei es ratsam, sich "vor Augen zu führen, welche Rolle Deutschland zukommt, nicht nur auf Grund der geopolitischen Lage, sondern vor allem auf Grund der Singularität der historischen Erfahrungen während des ganzen letzten Jahrhunderts." Deutschland sei das einzige Land Westeuropas das die Erfahrungen beider Totalitarismen hätte, genau wie die mittel- und osteuropäischen Länder der heutigen Erweiterung. Darum könne kein anderes Land Europas besser als Deutschland sich diese komplexe, widersprüchliche, reiche und tragische Erfahrung verständlich machen.
*10. Dez. 1923 in Madrid (vollständiger Name: Jorge
Semprún y Maura)
Jorge Semprún wächst in einer
großbürgerlicher, linksliberaler Familie auf, die stark
in das politische Leben Spaniens eingebunden ist (Vater
überzeugter Republikaner, ab 1931 Zivilgouverneur der
Provinzen Santander und Toledo; 1936-1939 Diplomat in Den Haag.
Großvater Antonio Maura unter König Alfons XIII. vier
Jahre lang spanischer Ministerpräsident, Onkel Miguel Maura
1931 erster Innenminister der Spanischen Republik) Die Mutter stirb
1932; während des Spanischen Bürgerkriegs flieht die
Familie 1936 nach Frankreich.
Studium der Literatur und Philosophie an der Sorbonne.
Semprún lernt früh deutsch und findet über die
Schriften von Hegel und Lukács zum Marxismus
1941 schließt er sich der kommunistischen
Résistance-Organisation Francs-Tireurs et Partisans an
1942 Eintritt in die KP Spaniens ein
1943 Verhaftung durch die deutsche Gestapo; Deportation in das KZ
Buchenwald; Beteiligung an internen Widerstandsaktionen; die
illegale Lagerleitung der KPD beschäftigt ihn in der so
genannten Arbeitsstatistik; Semprún entgeht so der
Ermordung.
1945 Rückkehr nach Paris
1946-1952 Übersetzer bei der UNESCO
ab 1953 koordiniert Semprún im Auftrag der spanischen
Exil-KP den illegalen Widerstand gegen das Franco-Regime
1957-1962 unter dem Decknamen "Federico Sánchez" leitete er
die KP-Untergrundarbeit
1964 Ausschluss aus der KP wegen "Abweichung von der Parteilinie"
(Semprún war Mitglied des ZK und Politbüro)
1963 Semprúns erster autobiographischer Roman ("Le grand
voyage") erscheint
1964 freier Schriftsteller in Paris
1988 Rückkehr aus dem Pariser Exil nach Madrid zurück;
Semprún wird vonPremier Felipe González
überraschend zum Kulturminister ernannt
2003 Semprúns Essaysammlung "Blick auf Deutschland", in der
seine öffentlichen Reden zwischen 1986 und 2003
zusammengefasst, darunter auch die Rede vor dem Bundestag, findet
weithin Beachtung
(Auswahl)
Prix Formentor, Literaturpreis der Résistance, Prix Femina,
Planeta-Preis, "Lesezeichen"-Preis, Ehrendoktorwürde der
Universität Turin, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels,
Weimar-Preis, Literaturpreis der Menschenrechte, Jerusalem-Preis,
Premio Nonino, Ovid-Preis, Rumänien, Goethe-Medaille,
Literaturpreis der José-Manuel-Lara-Stiftung,
Bruno-Kreisky-Preis des Karl-Brenner-Instituts und der SPÖ
für Gesamtwerk
Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, Académie Goncourt