Professor Hanno Kube von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz betonte, dass bestehende Europa- und Verfassungsrecht gewährleiste bereits gegenwärtig den wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität. Die Urteile der letzten Jahre und die Rechtsentwicklungen würden dies ”in eindeutiger und eindrucksvoller Weise“ belegen. ”Schaufenster- und Symbolpolitik“ trage dem Anliegen des Betroffenen keine Rechnung. Ähnlicher Meinung war Professor Klaus F. Gärditz von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Schon jetzt seien durch geltende Rechte Aspekte der sexuellen Identität geschützt. Vor diesem Hintergrund wäre der rechtliche Zugewinn der vorgesehenen Verfassungsänderung ”eher gering“. Das Vorhaben sei zur Eindämmung gesellschaftlicher Ausgrenzung ungeeignet. ”Legitime Interessen“, insbesondere von Homosexuellen, konkrete Benachteiligungen abzutragen, sollten daher auf gesetzlicher Ebene weiterverfolgt werden, forderte Gärditz.
Professor Winfried Kluth von der Matin-Luther-Universität Halle-Wittenberg äußerte sich ebenfalls negativ. Im staatlichen Bereich könne nicht mehr von einem ”spürbaren Diskriminierungspotenzial“ mit Blick auf die sexuellen Identität gesprochen werden, das über ”allgemeine Auswirkungen von Meinungsvielfalt und unterschiedliche Vorstellungen über Lebensformen“ hinausgehe. Ablehnend äußerte sich auch Professor Bernard Grzeszick von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er wies unter anderem darauf hin, dass die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts auf ”Kollisionskurs“ lägen. Ihre derzeit unterschiedlichen Positionen zum Schutz der sexuellen Identität bzw. dem Gleichheitsgrundsatz und dem besonderen Schutz von Ehe und Familie müssten in Übereinstimmung gebracht werden. Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung würde somit mitten in eine derzeit ungeklärte verfassungsrechtliche Lage hinein erfolgen. Auch der Berliner Rechtsanwalt Marc Schüffner war gegen das Anliegen der Oppositionsfraktionen.
Für die mit Gesetzentwürfen der SPD-Fraktion ( 17/254), der Fraktion Die Linke ( 17/472) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 17/88) verlangte Grundgesetzänderung zur Aufnahme des Merkmals der ”sexuellen Identität“ sprachen sich hingegen vier Sachverständige aus: ”Es gehört hinein“, forderte Professorin Ute Sacksofsky von der Goethe-Universität in Frankfurt/Main mit Blick auf die Aufnahme der sexuelle Identität in das Grundgesetz. Selbst wer – wie sie - strenge Maßstäbe an die Verfassung anlege, komme um diese Tatsache nicht herum. Die Frage der sexuellen Identität beträfe die Einzelnen fundamental. Lange seien Menschen aus diesem Grund ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt worden. Professorin Nina Dethloff von der Universität Bonn bekräftigte, die Aufnahme des Merkmals der sexuellen Identität in das Grundgesetz würde die Rechtsstellung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, trans- und intersexuellen Menschen verbessern. Trotz Verbesserungen seien sie weiterhin Benachteiligungen ausgesetzt.
Der Wiener Rechtsanwalt Helmut Graupner machte darauf aufmerksam, dass homo- und bisexuelle Frauen und Männer als einzige verbliebene Gruppe, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft systematisch verfolgt wurde, bis heute keinen Eingang in den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes gefunden hätten. Professorin Susanne Baer von Humboldt-Universität zu Berlin betonte, die These, Menschen seien im Hinblick auf Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität bereits ausreichend durch die Verfassung geschützt, sei falsch und verkenne die Rechtslage und den Kern von Verfassungspolitik.
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