Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Oktober 2007)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Dirk Fischer, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, rechnet mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Bahnprivatisierung im April/Mai 2008. Das konkrete Privatisierungskonzept könne die Bundesregierung frühestens Mitte 2009 im Bundestag vorstellen – denn die Union fordert einen einjährigen Testlauf der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV)
Der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dirk Fischer, geht davon aus, dass das Gesetz zur Bahnprivatisierung frühestens im April 2008 im Bundestag verabschiedet wird. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 15. Oktober 2007) sagte der CDU-Politiker, dass ein Privatisierungsgesetz frühestens im Sommer im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden könne. Das konkrete Privatisierungskonzept könne die Bundesregierung allerdings frühestens Mitte 2009 im Bundestag vorstellen, sagte der Verkehrsexperte. Denn vor einer tatsächlichen Beteiligung privater Investoren fordert die Union einen einjährigen Testlauf der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, in der unter anderem festgeschrieben werden soll, in welchem Zustand die Bahn das Schienennetz halten muss. „Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung muss ein Jahr im Echtbetrieb erprobt werden“, sagte Fischer.
Der Bund müsse in der „Vorderhand“ sein, wenn sich im Praxistest Änderungsbedarf an der LuFV ergebe.
Zum grundsätzlichen Streit über die Bahnprivatisierung sagte Fischer, das jetzt gewählte Modell zur Teilprivatisierung, das so genannte Eigentumssicherungsmodell, bei dem der Bund juristischer Eigentümer des Schienennetzes, der Bahnhöfe und der Energieversorgung blieben, die Bahn aber für einen festgeschriebenen Zeitraum das Netz bewirtschaften soll, müsse jetzt „einfach akzeptiert werden, damit überhaupt etwas beschlossen werden kann“. Fischer gestand ein, dass das Eigentumssicherungsmodell ein Kompromiss sei und nicht seine „Traumkonstellation“. Für die Union sei es allerdings ein Modell, „das die künftige Gestaltungsoption des Bundes, der Regierung und des Parlaments sichert“.
Zur konkreten Form der Teilprivatisierung und zur von der SPD ins Gespräch gebrachten „Volksaktie“ äußerte sich Fischer zurückhaltend. Die Meldungen über das, was in der SPD gerade Stand der Dinge sei, gingen sehr auseinander, sagte er. Man müsse erst einmal den SPD-Bundesparteitag abwarten. Den Widerstand bei den Sozialdemokraten gegen den derzeit vorliegenden Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung beurteilt Fischer als „erheblich“ – man müsse sich nur die Zahl der Anträge aus den Landesverbänden anschauen. Die Entscheidung des Parteitages zur Bahnprivatisierung sei für ihn derzeit „völlig offen“.
In der CDU/CSU-Fraktion gehe es darum, den Kollegen die Gewissheit zu vermitteln, dass das Eigentum an der Infrastruktur dauerhaft und absolut sicher beim Bund liege. Gelinge das nicht, gebe es Probleme, prognostizierte der verkehrspolitische Sprecher.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Fischer, die derzeitige Aufregung um die Bahnprivatisierung ist doch etwas übertrieben, oder? Schließlich bleibt die Mehrheit der Anteile auch nach einer Privatisierung beim Bund…
Im Gegenteil – sie ist absolut nicht übertrieben. Wir haben über ein gewaltiges Volksvermögen zu entscheiden. Schienennetz, Bahnhöfe und Energieversorgung haben einen Wert von rund 182 Milliarden Euro. Dazu kommen die einzelnen Verkehrsgesellschaften, die rund 700 Beteiligungen der Bahn, Stinnes-Schenker als größter Lkw-Carrier in Europa undundund…. Damit als Parlamentarier umzugehen, erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein. Wir dürfen hier nicht das Volksvermögen verschleudern. Deswegen ist die Sicherung des Infrastruktureigentums beim Staat eine ganz wesentliche Zielmarke der Reform. Weil die Ziele, Eigentum der Infrastruktur beim Bund, Bewirtschaftung und Bilanzierung bei der Bahn, schwer zu vermitteln sind, muss das jetzt gewählte, so genannte Eigentumssicherungsmodell einfach akzeptiert werden, damit überhaupt etwas beschlossen werden kann.
Das heißt: Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner?
Der Begriff kleinster gemeinsamer Nenner ist eher irreführend. Natürlich ist es ein Kompromiss zwischen den Koalitionsparteien. Aber es ist aus Sicht der Union ein Modell, das die künftige Gestaltungsoption des Bundes, der Regierung und des Parlamentes sichert. Denn das Modell eröffnet dem Bund nach Ende des Bewirtschaftungszeitraums uneingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten – auch hin zu anderen Modellen.
Sie sind also mit dem Entwurf, der jetzt vorliegt, zufrieden?
Es ist ein Kompromiss, es ist nicht die Traumkonstellation, die ich mir gewünscht habe – und wir haben ja auch in dem Beschluss der Unions-Fraktion wichtige Veränderungserfordernisse am Entwurf markiert, die umgesetzt werden müssen, damit ein Gesetz auch für die Union zustimmungsfähig wird.
Eine der großen mit der Privatisierung verbundenen Ängste ist, dass der Bund seinen Einfluss auf das Schienennetz verliert. Wie groß ist der Einfluss denn derzeit?
Viel zu gering. Der Bund ist in Steuerung und der Kontrolle des Unternehmens nicht auf gleicher Augehöhe mit dem Bahn-Tower. Die Kontrollinstrumente müssen und nach Qualifikation und Zahl des Personals deutlich verstärkt werden. Wir sind mit der bisherigen Rolle des Bundes gegenüber dem Unternehmen unzufrieden. Das ist in der gesamten Debatte und in der Regierungskoalition einhellige Auffassung.
Ist das Kritik an der jetzigen Führung?
Das ist Kritik, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und nicht nur die aktuelle Regierung betrifft.
Wie soll die Qualität des Schienennetzes denn sichergesetllt werden?
Indem wir jährlich eine externe Evaluierung machen, ob tatsächlich die Qualitätsziele in der Pflege des Bestandsnetzes erreicht worden sind. Dabei spielt das Eisenbahn Bundesamt eine große Rolle, aber wir wollen eine vollständig externe Kontrolle, damit diese in jeder Beziehung objektiv ist.
Warum muss die Bahn überhaupt privatisiert werden?
Der Staat die verantwortlich für die Verkehrswege – Straßen, Wasserstraßen, Schienenwege. Das sind die Adern unserer Volkswirtschaft. Der Staat muss aber in einer gut funktionierenden Wettbewerbsordnung nicht auf Dauer Dienstleistungsunternehmer sein. Er muss nicht auf ewig und immer Lkw-Unternehmer, Spediteur oder Güterverkehrsunternehmer sein.
Ganz offensichtlich war es ein Fehler, die Stromnetze zu privatisieren. Der Staat hat dort mittlerweile zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten, um Wettbewerb zu stimulieren. Diesen Fehler wollen wir beim Schienennetz nicht erneut machen. Schließlich ist der Staat verantwortlich für die Infrastruktur. Er muss sie bezahlen und er muss mit entscheiden können, was gebaut wird.
Hat die Privatisierung auch damit zu tun, dass die Bahn sich immer mehr von ihrem Kerngeschäft entfernt?
Das Unternehmen wird seit Jahren zu einem großen Logistikkonzern entwickelt, der in vielen Bereichen präsent ist und der unter anderem auch Schienenverkehr macht. Im Umsatz und Ertrag ist der Schienenverkehr im Unternehmen schon in der Minderheit. Das heißt: Die Bahn macht auch Schienenverkehr, aber nicht nur. Wir wollen, dass auch Wettbewerber beim Schienenverkehr stärker zur Geltung kommen, so dass private Unternehmen Güterverkehr, Personenfern und -nahverkehr machen, damit wir auch in dem Bereich des Schienenverkehrs eine dynamische Wettbewerbslandschaft bekommen, die für die Kunden das allerbeste ist.
Es heißt, die SPD habe sich auf die so genannte Volksaktie verständigt. Was halten Sie davon?
Es gibt unterschiedliche Meldungen. Die einen sagen vinkulierte Namensaktien, andere sagen stimmrechtlose Volksaktien, wieder andere sagen „Wir wollen beim Status quo bleiben“. Da muss man erst einmal den SPD-Bundesparteitag abwarten. Nach meinem Verständnis muss erst ein Privatisierungsgesetz beschlossen werden, dann stellen sich die Fragen, wie wird privatisiert; sucht man einen strategischen Partner, einen ruhigen, an guter Rendite interessierten Kapitalinvestor, geht man an die Börse, macht man Volks- oder Mitarbeiteraktien. Die stimmrechtlose Volksaktie sichert weitgehend den Status quo.
Was erwarten Sie vom SPD-Parteitag? Wie groß ist der Widerstand bei den Genossen?
Der ist wohl erheblich, wenn man sich die Zahl der Anträge von Landesverbänden anschaut. Im Moment ist der Ausgang für mich völlig offen.
Und wie ist die Lage in Ihrer eigenen Fraktion?
Bei uns in der Fraktion ist der wichtigste Punkt: dauerhaftes und absolut sicheres Infrastruktureigentum beim Staat. Wenn wir in der Gesetzgebung den Kollegen nicht die Gewissheit vermitteln, dass dies gewährleistet ist, gibt es Probleme. Deswegen ist es ganz wichtig, dass unsere Änderungswünsche durchgesetzt werden. Der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung kommt dabei eine riesige Bedeutung zu. Das, was uns bisher vorgelegt worden ist, ist lückenhaft, also nicht vollständig ausverhandelt. Wir fordern: Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung muss ein Jahr im Echtbetrieb erprobt werden. Wenn sich daraus eine Notwendigkeit zur Veränderung ergibt, muss der Bund in der Vorderhand sein und sagen, was noch geändert werden muss, bevor wir bereit sind, die Kapitalprivatisierung tatsächlich durchzuführen.
Geht die SPD diesen Schritt mit – ein Jahr Probelauf?
Das Ministerium möchte den Zeitraum verkürzen oder auf Basis alter Daten eine Simulation machen. Damit wird man aber bei der Unions-Fraktion nicht erfolgreich sein. Wir wollen einen echten Testlauf.
Wann – glauben Sie – wird ein Privatisierungsgesetz im Bundestag verabschiedet?
Das ist keine Frage von Glauben. Wenn ich mir das Umfeld angucke, dann liegt der Zeithorizont für die Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat, bei April/Mai 2008. Ich gehe davon aus, dass ein solches Gesetz frühestens im Sommer 2008 im Gesetzblatt stehen kann.
Das heißt, es gibt im kommenden Jahr die erste private Beteiligung an der Bahn?
Nein. Die Regierung kann – nach dem von uns geforderten einjährigen Testbetrieb – ihr konkretes Privatisierungskonzept nicht vor Mitte 2009 im Bundestag vorstellen.
Das Interview führte Sebastian Hille