Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. Januar 2009)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Otto Schily (SPD), der älteste Abgeordnete des Deutschen Bundestages, sieht die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, an denen er in den 1960er Jahren teilnahm, heute kritisch. „Wir waren auf dem Holzweg. Die Notstandverfassung hat nicht im Geringsten die Auswirkungen auf unsere Staatsordnung gehabt, die wir damals befürchtet hatten“, sagte Schily in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 12. Januar 2009). Seine Weltsicht sei damals eingeschränkter gewesen als heute, so der 76-Jährige. Allerdings seien die Möglichkeiten, sich zu informieren, auch eingeschränkter gewesen als heute.
Heute habe er eine geringere Motivation, an Demonstrationen teilzunehmen, „auch, weil die Skepsis gegenüber der Wirksamkeit einer Demonstration wächst“. Schily betonte, er habe „in der weitaus überwiegenden Mehrheit“ volles Vertrauen in die Jugend von heute. Besonders begeisterten ihn die vielen Möglichkeiten, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. „Die Weltoffenheit der Jugend gibt wirklich Anlass zur Zuversicht. Die heutige Jugend unterscheidet sich in sehr wohltuender Form von der Borniertheit früherer Generationen“, meinte Schily. Das Interview ist Teil einer Schwerpunktausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ zum Thema „Jugend“. Darin zeigen zu Beginn des sogenannten Superwahljahres überwiegend junge Autoren und Fotografen ihren Blick auf und in die Welt.
Das Interview im Wortlaut:
Wann haben Sie das letzte Mal gegen etwas aufbegehrt – zum Beispiel gegen etwas demonstriert?
Die Motivation, für eine bestimmte Sache auf die Straße zu gehen, geht in meinem Alter zunehmend verloren – auch, weil die Skepsis gegenüber der Wirksamkeit einer Demonstration wächst. Es ist aber das Vorrecht der Jugend, impulsiv zu handeln.
Dieses Vorrecht haben Sie früher selbst wahrgenommen…
Ja, ich habe zum Beispiel mit Rudi Dutschke gegen die sogenannten Notstandsgesetze demonstriert. Wir waren der Meinung – aus der damaligen sehr verengten Sicht – das sei der Untergang der Demokratie! Aus der Rückschau sehe ich das sehr selbstkritisch. Wir waren auf dem Holzweg. Die Notstandverfassung hat nicht im Geringsten die Auswirkungen auf unsere Staatsordnung gehabt, die wir damals befürchtet hatten.
Es ist also ganz normal, dass man im Alter einiges bereut, was man als junger Mensch getan hat?
Bereuen würde ich das nicht nennen. Aber ich ordne die Dinge heute eben anders ein. Früher habe ich bestimmte Dinge nicht gesehen. Die Möglichkeiten der Information zum Beispiel waren ja ohnehin viel eingeschränkter als sie das heute sind. Und die Verhältnisse haben sich völlig verändert: Meine Kindheit reicht in die Zeit der Nazis zurück, als es keine freien Medien gab. Die Erziehung war eine ganz andere: Wir sind als Kinder viel träumerischer aufgewachsen. Heute werden Kinder sehr früh an die Erwachsenenwelt herangeführt.
Was ist der größte Unterschied zwischen Otto Schily 2008 und Anfang der 1950er Jahre?
Der Otto Schily der 50er Jahre war in seinem Weltbild viel begrenzter, als er das heute ist.
Beneiden Sie die Jugend von heute?
Ich bin ohne Neid. Aber ich finde es großartig, dass sich die heutige Jugend frei über Grenzen bewegen kann. Meine erste Auslandsreise habe ich mit 14 Jahren gemacht, nach Holland. Da lacht man heute drüber. Das, was der Jugend heute möglich ist, zum Beispiel in Amerika zu studieren oder nach Russland zu reisen, ist einfach phänomenal.
Nutzt die Jugend diese Möglichkeiten oder vergeudet sie die Freiheit?
In der weitaus überwiegenden Mehrheit habe ich volles Vertrauen in die Jugend. Mit großer Begeisterung sehe ich, wie junge Menschen aus verschiedensten Regionen der Welt völlig selbstverständlich miteinander studieren, zusammen arbeiten, miteinander leben. Die Weltoffenheit der Jugend gibt wirklich Anlass zur Zuversicht. Die heutige Jugend unterscheidet sich in sehr wohltuender Form von der Borniertheit früherer Generationen. Das Deutschland der Fußballweltmeisterschaft ist ein ganz anderes als noch vor zwanzig Jahren: weltoffener, begeisterungsfähiger, unbefangener. Das ist eine wunderbare Aussicht für die Zukunft.
Das Interview führte Sebastian Hille.