Vorabmeldung zu Interview mit John Mann in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag 26. Januar 2009)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Der Vorsitzende des Parlamentarischen Komitees gegen Antisemitismus in Großbritannien, John Mann, MP, hat die Europäische Union zu mehr Engagement im Kampf gegen den Antisemitismus aufgerufen. „Es ist ein wichtiges Ziel, die Europäische Kommission mit einzubeziehen, denn sie könnte mehr tun“, sagte der Labour-Abgeordnete in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungsdatum 26. Januar 2009) anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2009.
Auf Einladung des britischen Außenministeriums und der Inter-parliamentary Coaltion Against Antisemitsm (ICCA) werden vom 15. bis 17. Februar mehr als 100 Parlamentarier aus 37 Ländern in London zusammenkommen, um über neue Wege zur Bekämpfung des Antisemitismus zu beraten. „Wir haben die EU-Kommission eingeladen. Wenn niemand kommt, wird ihr Stuhl leer bleiben, so dass es jeder sehen kann“, warnte Mann.
Nach den Beobachtungen Manns sind die antisemitischen Vorfälle in Großbritannien in der Vergangenheit in etwa gleich geblieben. „Aber die entscheidende Frage ist doch, warum der Antisemitismus nicht abnimmt“, sagte Mann. Der interfraktionelle Ausschuss gegen Antisemitismus, dem Mann seit seiner Gründung im Jahr 2005 vorsteht, hat das Ziel antisemitische Vorfälle zu beobachten, zu registrieren, mögliche Gegenmaßnahmen vorzuschlagen und den Erfahrungsaustausch zwischen den Parlamenten voranzubringen. „Es gibt Staaten, in denen das Problem sehr ernst genommen wird, wie Deutschland und Großbritannien, und die daher scheinbar ein größeres Problem mit Antisemitismus haben.“ Er bezweifelte, dass Großbritannien ein größeres Problem mit Antisemitismus habe als andere Staaten. Dabei kritisiert er, dass in einigen Ländern wie in den baltischen Staaten und in Osteuropa, nur wenig darüber bekannt sei: „Dort gibt es große Probleme, die aber bislang weder registriert noch erkannt wurden.“
Der Deutsche Bundestag hatte sich im November 2008 in einem interfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen (16/10775) und in einem Antrag der Fraktion Die Linke (16/10776) dafür ausgesprochen, den Kampf gegen Antisemitismus zu stärken und jüdisches Leben in Deutschland weiter zu fördern.
Das Interview im Wortlaut:
In Deutschland hat es bis 1. Oktober 2008 laut Bundeskriminalamt 1.108 antisemitische Straftaten gegeben. Sie sind Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses gegen Antisemitismus im britischen Unterhaus – dem einzigen in Europa. Wie ist die Lage bei Ihnen?
Die Zahl der Taten ist in etwa vergleichbar, aber die Zahl allein ist nicht immer aussagekräftig. Denn je besser ein System, diese Vorfälle erfasst, umso mehr Taten werden auch registriert. So kann die Tatsache, dass mehr Taten registriert werden in gewisser Weise auch positiv sein, weil das, was vorher unbemerkt blieb, aufgezeichnet wird. Das erlaubt uns, Entwicklungen besser zu beobachten und mit entsprechenden Maßnahmen darauf zu reagieren.
Auf Ihre Initiative hin wird vom 15. bis 17. Februar in London eine internationale Parlamentarierkonferenz gegen Antisemitismus mit mehr als 100 Abgeordneten aus 35 Ländern stattfinden. Was kann ein solches Treffen bringen?
Einen Aktionsplan in einem Land zu haben, ist sehr wichtig, aber Antisemitismus macht eben nicht an unseren Grenzen halt. Ich wünsche mir daher, dass die Europäische Union hier stärker zusammenarbeitet, zum Beispiel bei der Strafverfolgung von Rassenhass im Internet. Wir haben in Großbritannien eine sehr erfolgreiche Praxis, gegen solche Websites vorzugehen. Aber es wäre natürlich noch sehr viel besser, wenn es hier einen europäischen Ansatz oder eine europäische Gesetzgebung gäbe.
Der Bundestag hat im November 2008 einen
fraktionsübergreifenden Antrag gegen Antisemitismus
eingebracht. Wo sehen Sie die besondere Rolle der
Parlamente?
Wenn alle Parteien im Parlament
zusammenarbeiten, ist der Druck auf die Regierung
größer. Aber schon allein die Tatsache, dass die
Parlamentarier die Verantwortung übernehmen, ist mehr als ein
Symbol.
Ist der Antisemitismus in den europäischen
Ländern derselbe?
Natürlich bestehen
dieselben Wurzeln. Die Art und Weise damit umzugehen, ist aber
aufgrund verschiedener politischer, kultureller und historischer
Gründe sehr unterschiedlich. Daher kann man die Situation in
Großbritannien auch nicht mit der in Deutschland vergleichen.
Auch in den baltischen Staaten und in Osteuropa ist die Lage eine
andere. Dort gibt es große Probleme, die aber bislang weder
registriert noch erkannt werden.
Und daher weniger wahrgenommen werden…
Es gibt Staaten, in denen das Problem sehr ernst genommen wird wie Deutschland und Großbritannien und die daher scheinbar ein größeres Problem mit Antisemitismus haben. Ich weiß nicht, ob Großbritannien im Vergleich zu anderen Staaten ein kleineres Problem hat, aber es hat jedenfalls kein größeres. Entscheidend ist: Wir gehen ehrlicher mit dem Problem um und handeln.
Apropos handeln: Werden Sie von der Europäischen
Union unterstützt?
Es ist ein wichtiges Ziel,
die Europäische Kommission mit einzubeziehen, denn sie
könnte mehr tun. Ich erkenne viel Bereitschaft beim
Europäischen Parlament, aber es ist eben nicht so mächtig
wie die Kommission.
Wird die EU-Kommission auf der Londoner Konferenz
vertreten sein?
Wir haben die EU-Kommission
eingeladen. Wenn niemand kommt, wird ihr Stuhl leer bleiben, so
dass es jeder sehen kann. Ich weiß aus Gesprächen, dass
es in Brüssel viele Menschen gibt, die das Problem sehr
ernst nehmen, aber sie müssen mit gutem Beispiel
vorangehen.
Haben Sie den Eindruck, dass nach dem Konflikt in Gaza
antisemitische Vorfälle zugenommen haben?
Ja, es
gab Vorfälle. Allerdings ist es schwierig, daraus einen
Zuwachs antisemitischer Gefühle abzuleiten. Das wäre zu
früh. Ich glaube vielmehr, es wurde bei diesem Anlass den
Gefühlen Ausdruck verliehen, die ohnehin bereits da sind. Aber
uns interessiert eigentlich mehr, was der generelle Trend ist.
Und wie sieht dieser Trend in Großbritannien
aus?
Der Antisemitismus bleibt nach unseren
Beobachtungen in etwa gleich, er nimmt weder ab noch zu. Aber die
entscheidende Frage ist doch, warum er nicht abnimmt. Das Parlament
und die Regierung nehmen das Thema jedenfalls sehr ernst und wir
haben einen detaillierten Aktionsplan, um die Entwicklung zu
beobachten und zu evaluieren.
Wenn über Israel und den Zionismus gesprochen wird,
verbergen sich dahinter teilweise auch antisemitische
Einstellungen. Wo ist für Sie die Grenze zwischen einer Kritik
an israelischer Politik und Antisemitismus?
Einige
Menschen sind in ihrem Sprachgebrauch einfach ignorant oder nicht
sorgfältig, andere sprechen auch sehr bewusst und kalkuliert.
Wenn jemand Israel unterstützt, ist das ein legitimer
Standpunkt. Das gleiche gilt, wenn jemand Kritik an Israel
übt. Aber wenn die Grenzen zwischen beiden bewusst und
kalkuliert verschwimmen und man in Stereotype und Vorurteile
verfällt, ist das nicht akzeptabel.
Aber es gibt ja ganz verschiedene Formen von
Antisemitismus?
Es gibt einen traditionellen
Antisemitismus aus der rechten Ecke. Zweitens einen Antisemitismus
von links, der bereits 100 Jahre besteht und wieder verstärkt
auftritt. Aber es gibt auch einen Antisemitismus, der sehr viel
jünger ist und von der muslimischen Gemeinde ausgeht.
Wie erklären Sie sich das ?
Zwischen
der muslimischen und der jüdischen Gemeinde gibt es
große geografische, politische, soziale und kulturelle
Unterschiede. Beide Gemeinden sind unterschiedlich integriert: Die
jüdischen Gemeinden sind seit mehr als 350 Jahren hier –
die meisten mehr als 150 Jahre – und die muslimischen
Gemeinden erst 40 Jahre. Sie sind oft weit voneinander entfernt, so
dass es kein tägliches Zusammenleben, keinen Kontakt gibt.
Unkenntnis oder auch Ignoranz sind wichtige Faktoren. Sie ist der
Boden für Vorurteile.
Wie können beide Gemeinden besser
zusammenarbeiten?
Es gehört zu unseren
großen Aufgaben, dafür Vorschläge zu erarbeiten.
Die meisten muslimischen Gemeinden haben keine erkennbare Struktur,
wer für was zuständig ist. Daher können viele
in diesen Gemeinden eine Führungsrolle für sich in
Anspruch nehmen. Wir haben bislang zu stark auf die
religiösen Führer gesetzt. Die meisten Briten sind aber
gar nicht religiös. Wir brauchen meiner Meinung nach, Ideen
und Gedanken, die über das Religiöse hinausgehen.
Doch Antisemitismus taucht nach Ihren Untersuchungen
auch noch an ganz anderen Orten auf - zum Beispiel beim
Sport?
Ja, es gibt einen zunehmenden Antisemitismus
im Sport. Nazigruppen in ganz Europa haben den Fußball
für sich wiederentdeckt. Fußballwettbewerbe
ermöglichen es Nazigruppen über Ländergrenzen hinweg
zu agieren. Das Internet unterstützt diese Praxis: Auf Youtube
wird die Nazi-Gewalt bei Fußballspielen verherrlicht.
Was kann man dagegen tun?
Neulich hat eine
Schiedsrichterin bei einem Spiel der fünften Liga in
Deutschland ein Spiel wegen antisemitischer Äußerungen
abgebrochen. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel, wie der
Fußball mit einem solchen Problem umgehen sollte.
Was kann jeder einzelne gegen Antisemitismus
tun?
Jeder kann sich Vorurteilen entgegenstellen, wo
sie verbreitet werden. Aber ich denke, dass die gewählten
Vertreter, sei es im Bundestag oder auch im Unterhaus, hier eine
ganz besondere Verantwortung haben.
Das Interview führte Annette Sach
John Mann, Jahrgang 1960, sitzt seit 2001 für die Labour-Party im britischen Parlament .Seit 2005 ist er dort Vorsitzender des Ausschusses gegen Antisemitismus