Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag:27. April 2009)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) wehrt sich gegen die geplante Föderalismusreform II zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Zwar sei die Aufnahme einer "Schuldenbremse" ins Grundgesetz prinzipiell richtig, sagte Sellering in einem Interview der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstag: 27. April 2009). Nicht einverstanden sei er aber mit der konkreten Ausgestaltung dieser Schuldenbremse. Auch lehne er die vorgesehenen Konsolidierungshilfen für Bremen, das Saarland, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ab.
Er könne nicht akzeptieren, dass Mecklenburg-Vorpommern bei diesen Hilfen zum Geberland werde solle, betonte der Schweriner Regierungschef. Zwar sei Mecklenburg-Vorpommern als Ergebnis einer "sehr soliden Finanzpolitik" eines der wenigen Länder, das ohne neue Schulden auskomme. Trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte sei es aber nach wie vor eines der strukturschwächsten Länder in Deutschland.
Scharf kritisierte Sellering, "dass die Einteilung, wer zahlt und wer etwas kriegt, allein über den Schuldenstand und nicht über die Finanzkraft der einzelnen Länder" erfolgt sei. Dies führe zu einem "absurden Ergebnis", argumentierte der SPD-Politiker: "Diejenigen, die wie Mecklenburg-Vorpommern sparsam gewirtschaftet haben, müssen zahlen. Und diejenigen, bei denen das Geld lockerer in der Tasche saß, bekommen Unterstützung. Im Klartext heißt das: Wir werden für unsere Sparanstrengungen bestraft."
Der Ministerpräsident wandte sich zugleich gegen die Aufnahme einer Schuldenbremse für die Bundesländer allein in das Grundgesetz. Nur die Landesparlamente könnten über eine Schuldenbremse für die Länder befinden. Schließlich sei das Budgetrecht neben der Entscheidung über die Besetzung des Amtes des Regierungschefs das wichtigste Recht der Parlamente. "Das darf nicht einfach ausgehöhlt werden", mahnte Sellering. Verfassungsrechtlich gesehen sei die Schuldenbremse für die Länder "zumindest fragwürdig".
Das Interview im Wortlaut:
Herr Ministerpräsident, am 4. Mai findet im Bundestag eine Sachverständigenanhörung zur Föderalismusreform II statt. Mecklenburg-Vorpommern hat in der Föderalismuskommission als einziges Bundesland gegen den Reformvorschlag gestimmt, mit dem im Grundgesetz eine Schuldenbremse verankert werden soll. Halten Sie eine solche Schuldenbremse für unnötig?
Die Aufnahme einer Schuldenbremse ins Grundgesetz ist prinzipiell richtig. Wir müssen schon aus Verantwortung gegenüber kommenden Generationen die Staatsverschuldung begrenzen. Womit ich nicht einverstanden bin, ist die konkrete Ausgestaltung der Schuldenbremse. Und ich lehne die beschlossenen Konsolidierungshilfen ab.
Im Bundesrat haben Sie kritisiert, dass die Schuldenbremse auch für die Länder im Grundgesetz festgeschrieben werden soll und damit das Haushaltsrecht als Königsrecht der Landesparlamente ausgehöhlt werde. Geben Sie entsprechenden Verfassungsklagen gegen eine solche Regelung eine Chance?
Die Vertreter der Landtage haben in der Föderalismuskommission verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen. Verfassungsrechtlich gesehen ist die Schuldenbremse für die Länder also zumindest fragwürdig. Politisch unklug ist sie auf jeden Fall. Ein Sparkurs ist über mehrere Jahre nur unter großen Anstrengungen durchzuhalten. Man kann die dafür notwendige öffentliche Unterstützung nur gewinnen, wenn dieser Kurs aus Überzeugung eingeschlagen wird. Künftig wird man jede unpopuläre Maßnahme mit dem Verweis auf die Schuldenbremse rechtfertigen. Das trägt weder zur Akzeptanz einer soliden Finanzpolitik noch zur Akzeptanz der Schuldenbremse selbst bei.
Welches Verfahren hätten Sie stattdessen bevorzugt?
Über eine Schuldenbremse für die Länder können meines Erachtens nur die Landesparlamente befinden. Das Budgetrecht ist neben der Entscheidung über die Besetzung des Amtes des Regierungschefs das wichtigste Recht der Parlamente. Das darf nicht einfach ausgehöhlt werden.
Wird auch Mecklenburg-Vorpommern gegen die jetzt geplante Regelung klagen?
Der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern hat in einem Beschluss die Schuldenbremse für die Länder kritisiert. Die Idee einer Klage wird vor allem in Schleswig-Holstein verfolgt.
Sie stören sich auch daran, dass das Saarland, Bremen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bis 2019 Konsolidierungshilfen erhalten sollen, die zur Hälfte aus dem Umsatzsteueranteil aller Länder bezahlt werden sollen. Mecklenburg-Vorpommern hätte auch gerne solche Hilfen?
Darum geht es nicht. Was ich nicht akzeptieren kann, ist, dass Mecklenburg-Vorpommern bei den Konsolidierungshilfen zum Geberland werden soll.
Immerhin hat Ihr Land seit 2006 einen ausgeglichenen Haushalt, also keine neuen Schulden mehr aufgenommen.
Richtig, wir sind eines der wenigen Länder, das ohne neue Schulden auskommt. Das ist das Ergebnis einer sehr soliden Finanzpolitik, die Mecklenburg-Vorpommern jetzt schon seit mehr als zehn Jahren verfolgt –im Übrigen sowohl unter rot-roter als auch unter rot-schwarzer Regierung. Wir sind trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte aber nach wie vor eines der strukturschwächsten Länder in Deutschland.
Trotzdem wird Mecklenburg-Vorpommern nun für Konsolidierungshilfen zugunsten anderer Länder mit zur Kasse gebeten.
Ich habe den Vorschlag gemacht, die ostdeutschen Länder einfach auszunehmen. Also, keine Geberländer und keine Nehmerländer im Osten. Dieser Vorschlag ist leider nicht aufgegriffen worden. Mich ärgert, dass die Einteilung, wer zahlt und wer etwas kriegt, allein über den Schuldenstand und nicht über die Finanzkraft der einzelnen Länder erfolgte. Das führt zu einem absurden Ergebnis: Diejenigen, die wie Mecklenburg-Vorpommern sparsam gewirtschaftet haben, müssen zahlen. Und diejenigen, bei denen das Geld lockerer in der Tasche saß, bekommen Unterstützung. Im Klartext heißt das: Wir werden für unsere Sparanstrengungen bestraft.
Was bedeutet das denn für die weitere Konsolidierungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern?
Wir müssen auf diesem Weg weitergehen. Sonst werden uns schon in einigen Jahren die Zinslasten erdrücken. Aber dieser Weg wird schwerer werden. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern gerade nach monatelanger Debatte entschieden, dass wir uns nicht weiter ein höheres Landesblindengeld als andere Bundesländer leisten können. Das war nur sehr schwer durchzusetzen. Und dann wird mal eben per Tischvorlage in der Föderalismuskommission beschlossen, dass wir über neun Jahre fast das Doppelte der beim Blindengeld eingesparten Summe an andere Bundesländer überweisen sollen. Das kann ich in Mecklenburg-Vorpommern niemandem erklären.
Ärgert Sie dabei mehr die Höhe der Summe oder der Zeitraum von neun Jahren, für den der Kreis der Nehmerländer festgelegt werden soll?
Die Summe mag im Vergleich zu dem, was jetzt zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise aufgebracht wird, nicht so groß aussehen. Aber die psychologische Wirkung ist enorm. Und auch die Festschreibung der Geber- und Nehmerländer für neun Jahre halte ich für falsch. Das schafft auf beiden Seiten keine echten Anreize.
Sie haben auch eine fehlende Anreizwirkung der Konsolidierungshilfen für die fünf Länder beklagt. Voraussetzung für die Hilfen ist aber doch laut Gesetzentwurf der vollständige Abbau der Finanzierungsdefizite bis Ende 2020. Ist das denn kein Anreiz?
Tatsache ist, dass drei der fünf Empfängerländer unmittelbar nach Abschluss der Föderalismuskommission zusätzliche Ausgaben beschlossen haben.
Könnten Sie denn damit leben, wenn der Kreis der Nehmerländer auf die besonders in Haushaltsschwierigkeiten steckenden Länder Bremen und Saarland beschränkt würde?
Es war immer klar, dass Bremen und das Saarland Unterstützung brauchen.
Das ist auch von Mecklenburg-Vorpommern nie in Frage gestellt worden. Doch dann ist der Kreis der Nehmerländer in letzter Minute auf fünf ausgeweitet worden. Sicher auch mit Blick auf die Mehrheiten im Bundesrat. Am Ende ging es nicht mehr um das bestmögliche Ergebnis, sondern darum, vor der Bundestagswahl überhaupt eines präsentieren zu können.
Nochmal zur Schuldenbremse: Glauben Sie, dass damit wirklich ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung vermieden werden kann?
Wenn sie konsequent angewendet wird, ja.
Immerhin soll dem Bund nach den neuen Regeln noch ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts möglich sein. Und für den Katastrophen- oder Krisenfall soll es auch noch Ausnahmeregelungen geben. Wird so die Verschuldung nicht lediglich verlangsamt statt gestoppt?
Ob sich die Schuldenbremse konsequent anwenden lässt, wird man letztlich erst in zehn oder zwanzig Jahren sehen. Es ist ja so: Wir beschließen im Jahr 2009, in dem der Bund wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Rekordverschuldung aufnehmen muss, eine Schuldenbremse. Und denen, die in zehn oder zwanzig Jahren Verantwortung tragen, sagen wir: Das müsst Ihr jetzt konsequent umsetzen. Auch das ist ein zumindest fragwürdiges Ergebnis der Föderalismuskommission II.