Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Juni 2009)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Der Ex-DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann setzt sich für eine Aufarbeitung möglicher Stasi-Kontakte im Bundestag ein: „Das müsste auch im Interesse des Deutschen Bundestages sein - um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen“, sagte der Vorsitzende der Stiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ in einem Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. Juni). Dies habe „etwas mit der inneren Hygiene des Bundestages zu tun. Der Ruf unseres obersten deutschen Parlamentes muss glaubwürdig und untadelig sein“, fügte Eppelmann hinzu. Nur einfach Nein zu sagen, sei zu wenig und zu billig.
Die Frage sei indes, ob eine solche Untersuchung alles auf einmal abdecken müsse, sagte der CDU-Politiker, der selbst dem Bundestag von 1990 bis 2005 angehörte. „Man könnte ja auch fragen, für welche Phase der alten Bundesrepublik es besonders interessant und wichtig wäre, solche Stasi-Verstrickungen aufzuklären und das dann für eine Legislaturperiode untersuchen“, schlug Eppelmann vor.
Aus seiner Sicht war die DDR ein Unrechtsstaat: „Dazu fällt mir zutreffend kein anderer Begriff ein.“ Als Belege dafür nannte er den Bruch des in der Verfassung verbürgten Streikrechts beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 mit mehr als hundert Toten und die vielen gefälschten Wahlen.
Eppelmann begrüßte, dass es am Mittwoch eine Gedenkfeier im Bundestag zum Jahrestag des Volksaufstandes gibt. Außerdem regte er an, dass „die Kultusminister überlegen, immer am oder um den 17. Juni an den Schulen so etwas wie einen Projekttag zu veranstalten, um diese missglückte, erst im 1989 vollendete Revolution im Gedächtnis der Deutschen fest zu verorten“.
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Das Interview im Wortlaut:
Herr Eppelmann, an diesem Mittwoch jährt sich der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 zum 56. Mal. Sie waren damals zehn Jahre alt und lebten in Ost-Berlin – haben Sie persönlich noch Erinnerungen an die damaligen Ereignisse?
Ja, zwei - ganz vage. Mein Vater, der offensichtlich Zaungast
bei einem Teil dieser Ereignisse in Ost-Berlin war, kam nach Hause
und erzählte, dass eben Menschen auf der Straße
demonstriert und nach Freiheit, Gerechtigkeit und freien Wahlen
gerufen haben. Dann kamen sowjetische Panzer und die Leute mussten
wegrennen. Es gab Verletzte oder sogar Tote – und dass das,
was da so hoffnungsvoll begonnen hat, brutal erstickt worden
ist.
Das ist meine erste Erinnerung. Am selben oder nächsten Tag
sah ich einen Panzer in unserer Straße, aus dem ein Soldat
herausblickte, während ihm von einem Haus auf der
gegenüberliegenden Straßenseite ein älteres Ehepaar
begeistert zuwinkte. Und angesichts dessen, was mein Vater von den
Panzern erzählt hatte, war ich völlig geschockt, dass
Menschen diesen Panzern begeistert zuwinken können.
Ist das Geschehen vom 17. Juni 1953 eigentlich mit dem
Begriff „Volksaufstand“ Ihrer Ansicht nach zutreffend
beschrieben?
Ja, das muss man so sagen. In mehr als
700 Städten und Gemeinden der DDR war es zu Demonstrationen
und Protestveranstaltungen gekommen. Das begann als spontaner
Aufstand von Arbeitnehmern gegen die von der SED-Spitze
verhängten Normerhöhungen. Dagegen haben sie gestreikt
– das Streikrecht stand 1953 noch in der DDR-Verfassung. Aus
diesem Streik wurde sehr schnell eine politische Demonstration:
Nachdem die Menschen zum ersten Mal auf der Straße waren,
wollten sie mehr als nur eine gerechte Behandlung in Tariffragen.
Sie forderten freie Wahlen und die deutsche Einheit, haben
teilweise Gefängnisse und kommunale Einrichtungen von Partei
oder Polizei gestürmt – die rote Fahne auf dem
Brandenburger Tor war heruntergerissen worden. Dann kam der
Einsatzbefehl für die sowjetischen Panzer, die auf die
unbewaffneten demonstrierenden Arbeiter losgefahren sind. Am Ende
dieses Tages ist die Sache entschieden gewesen: Insgesamt gab es
mehr als 100 Tote, standrechtliche Erschießungen, mehr als
1.500 Verurteilungen zu oft langen Zuchthausstrafen. Die Menschen
haben gelernt: Gegen sowjetische Panzer kannst du in der DDR
überhaupt nichts verändern. Und dies war eine
traumatische Erfahrung.
Was kann uns das damalige Vorgehen der Machthaber heute
für die Debatte lehren, ob die DDR ein Unrechtsstaat
war?
Ich halte diese Fragestellung für absurd.
Kein Mensch, der sich mit der alltäglichen Wirklichkeit
befasst, wird ernsthaft bezweifeln können, dass es
Gerichtsverhandlungen in der DDR gegeben hat, die ihren Gesetzen
entsprechend geführt und abgeschlossen wurden, etwa bei
Eigentums- oder Verkehrsdelikten.
Aber wir wissen von tausenden von Einzelfällen, in denen ganz
anders entschieden worden ist, als es das Gesetz eigentlich vorsah.
So ist das in der Verfassung verbürgte Streikrecht am 17. Juni
vor aller Welt gebrochen worden. Oder: Auf dem Papier hat es freie,
geheime Wahlen gegeben und eine strafrechtliche Bewehrung, was
denen passiert, die Wahlen fälschen. Inzwischen wird
zugegeben, dass die Wahlen spätestens seit dem 17. Juni 1953
alle gefälscht worden sind. Dazu fällt mir zutreffend
kein anderer Begriff als Unrechtsstaat ein.
Die DDR – genauer gesagt ihr
Staatssicherheitsdienst – sorgt auch in diesen Tagen für
Schlagzeilen, nachdem Belege gefunden wurden, dass der damalige
West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten
Benno Ohnesorg erschoss, SED-Mitglied und Stasi-IM war. Müssen
wir noch mit weiteren Enthüllungen dieser Art
rechnen?
Das wird ein bisschen davon abhängen,
ob wir als interessierte Öffentlichkeit das als einen
exotischen und etwas erschreckenden Fall zur Kenntnis nehmen und
dann aber wieder zu anderen Dingen übergehen, oder ob wir da
bohrender als bisher fragen. Wir wissen, dass das IM-Problem keine
rein ostdeutsche Frage ist: Es gab auch Westdeutsche, die im
Auftrag der Staatssicherheit gearbeitet haben. Deshalb fand ich es
zunehmend als ungerecht, wenn Bundestagsfraktionen die ostdeutschen
Abgeordneten aufforderten, sich von der Birthler-Behörde
überprüfen zu lassen. Als ich das letzte Mal dazu
aufgefordert worden bin – nachdem ich vorher schon
dreimal dazu aufgefordert wurde –, habe ich in der Fraktion
gesagt, dass ich dazu nur noch bereit bin, wenn es eine
Verpflichtung für die gesamte Fraktion wäre, weil ich
nicht einsähe, warum eine solche Überprüfung nicht
auch für die Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen oder Bayern
gelten soll. Dafür habe ich leider in der Fraktion kein
Verständnis gefunden.
Sie sprachen gerade von der Stasi-Überprüfung
ostdeutscher Bundestagsabgeordneter. Jüngst hat der Bundestag
einen FDP-Antrag zu einer solchen Überprüfung aller
Mitglieder des Parlaments bis 1990 abgelehnt. Nicht nur
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat in diesen Tagen
eine vollständige Erfassung der Stasitätigkeit im
Parlament ins Gespräch gebracht. Was ist Ihre
Position?
Ich würde abwägen wollen: Wenn
das 40 Millionen Euro kosten und soundsoviele Leute in der
Birthler-Behörde über Jahre hinweg binden würde, nur
dieser Frage nachzuforschen, würde ich mich fragen, ob das
wirklich sein muss – alles auf einmal? Bisher haben wir uns
das für eine Legislaturperiode genauer angeschaut. Warum also
immer nur alles oder nichts? Man könnte ja auch fragen,
für welche Phase der alten Bundesrepublik es besonders
interessant und wichtig wäre, solche Stasi-Verstrickungen
aufzuklären, und das dann für eine solche
Legislaturperiode untersuchen. Dabei kann nicht nur der Bundestag
in der Frage handeln: Jeder Professor, jeder junge Wissenschaftler
kann sagen, dass er zu dem Thema forschen will.
Wie weit der Stasi-Arm in den Bundestag reichte, zeigt
sich beim gescheiterten Misstrauensvotum von 1972 gegen den
damaligen Bundeskanzler Willy Brandt, bei dem die Stasi an der
Bestechung des CDU-Abgeordneten Julius Steiner beteiligt gewesen
war. Immer wieder ist auch von Stasi-Kontakten anderer
Parlamentarier zu lesen. Läge eine Aufarbeitung nicht im
Interesse des Bundestages?
Das müsste auch im
Interesse des Deutschen Bundestages sein - um seiner eigenen
Glaubwürdigkeit willen. Das hat etwas mit der inneren Hygiene
des Bundestages zu tun. Der Ruf unseres obersten deutschen
Parlamentes muss glaubwürdig und untadelig sein. Wenn das zu
aufwändig ist, kann der Bundestag es entweder in einzelnen
Schritten machen – dann dauert es eben – oder wir
bitten Wissenschaftler und Medien um Unterstützung. Nur
einfach Nein zu sagen, ist zu wenig und zu billig.
Noch einmal zum 17.Juni, der ja im Westen bis 1990 als
„Tag der Deutschen Einheit“ begangen wurde. Sie haben
einmal gesagt, in den alten Bundesländern sei dieser Feiertag
zum „Badetag“ verkommen. Was schlagen Sie vor, um die
Erinnerung an den Volksaufstand wach zu halten?
Ich
bin sehr dankbar, dass es in diesem Jahr einen offiziellen Akt des
Bundestages zum 17. Juni geben wird – das hat es ja jahrelang
nicht gegeben. Ich würde mir auch wünschen, dass
möglicherweise von dieser Gedenkfeier eine Initiative an die
Kultusminister der Länder ausgeht: eine Anregung, dass die
Kultusminister überlegen, immer am oder um den 17. Juni an den
Schulen so etwas wie ein Projekttag zu veranstalten, um diese
missglückte, erst im Herbst 1989 vollendete Revolution im
Gedächtnis der Deutschen fest zu verorten.
Das Interview führten Bernard Bode und Helmut Stoltenberg
Rainer Eppelmann (66), Pfarrer und Bürgerrechtler, war in der letzten DDR-Regierung Minister für Abrüstung und Verteidigung. 1990 bis 2005 für die CDU im Bundestag, leitete er zwei Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und ist heute Vorsitzender der gleichnamigen Stiftung.