Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 27. Juli 2009)
Themenschwerpunkt „Zukunft der Dörfer“
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Drastische Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Finanzlage der Kommunen erwartet der Geschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages, Hubert Meyer. Die Kommunen hätten zwar kurzfristig vom Konjunkturpaket II profitiert, doch seien Städte und Gemeinden strukturell unterfinanziert. „Sie leben von der Hand in den Mund. Und nun zeigt uns die Steuerprognose, dass die Krise sehr drastisch in den kommunalen Haushalten ankommen wird“, sagte Meyer in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die aktuellen Steuerschätzungen besagen, dass die Steuereinnahmen in den Städten und Gemeinden bis 2010 voraussichtlich um 12,5 Prozent einbrechen.
Die Möglichkeiten für Einsparungen hätten die Kommunen weitgehend ausgeschöpft, erklärte Meyer. Er sieht die „große Gefahr, dass wir in den kommenden Jahren erneut in eine höhere Verschuldung hineinlaufen. Denn gesetzlich vorgegebene Leistungen können wir nicht kürzen.“ Die kürzlich im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse bezeichnet Meyer im Bezug auf die kommunalen Haushalte als „Wunschdenken“. Bei der Umsetzung der Schuldenbremse müssten für Bund und Länder die gleichen Spielregeln gelten wie für Landkreise, Städte und Gemeinden, damit die Lasten nicht auf die kommunale Ebene verschoben würden. Meyer fordert außerdem, den kommunalen Finanzausgleich müsse in einigen Punkten zu modifizieren.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Meyer, sind die Kommunen Gewinner der
Krise?
Die Kommunen sind ganz sicher keine Gewinner
der Krise.
Es werden aber doch mit dem Konjunkturpaket II
Milliarden Euro in die Kassen der Gemeinden gespült, die sie
sonst nicht zur Verfügung gehabt
hätten.
Natürlich profitieren wir
zunächst. Wir sind in Niedersachsen auch ganz zufrieden, weil
wir einen Großteil der Gelder pauschal vom Land erhalten.
Damit können wir als Kommunen eigene Förderschwerpunkte
setzen, beispielsweise beim Ausbau der Schulinfrastruktur. Auf der
anderen Seite zeigt uns die Steuerprognose für die
nächsten Jahre, dass die Krise sehr drastisch in den
kommunalen Haushalten ankommen wird.
In den Kommunen brechen die Steuereinnahmen in diesem
Jahr um 8,7 Prozent auf rund 70 Milliarden Euro ein und 2010 noch
einmal um 3,8 Prozent. Der Verlust ist damit stärker als bei
Bund und Ländern. Woran liegt das?
Zu etwa einem
Drittel ist das bedingt durch gesetzgeberische Maßnahmen,
etwa das Bürgerentlastungsgesetz. Zu zwei Dritteln ist der
Rückgang bei den Steuereinnahmen eine direkte Folge der
Wirtschaftskrise.
Wie macht sich das in Niedersachsen
bemerkbar?
Trotz der außergewöhnlich guten
Bedingungen in den Jahren 2007 und 2008 aufgrund sprudelnder
Steuereinnahmen und eines verbesserten Finanzausgleichs haben etwa
ein Viertel der niedersächsischen Landkreise keinen
ausgeglichenen Haushalt erreicht. Das heißt, ein Teil unserer
Landkreise, insbesondere im Süden und Osten des Landes, ist
selbst in guten Zeiten strukturell nicht in der Lage, den Haushalt
auszugleichen.
Bundesweit blieben im Jahr 2008 sogar mehr als ein
Drittel der Kreishaushalte unausgeglichen. Wie kommt es
dazu?
Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert.
Jede Konjunkturschwäche schlägt voll durch. In
Niedersachsen ist es beispielsweise so, dass die Kommunalaufsicht
die Haushalte seit mehr als einem Jahrzehnt deckelt und wir auf
kommunaler Ebene im Grunde nicht die notwendigen Investitionen
umsetzen können. Unter anderem führt das zu einer
exorbitanten Steigerung bei den sogenannten Kassenkrediten.
Die sind eigentlich ein Mittel zur
Überbrückung kurzfristiger Engpässe in der
Liquidität.
Richtig. Die Kassenkreditschulden
sind allein in Niedersachsen von etwa 100 Millionen Euro im Jahr
1994 auf 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2006 angewachsen. In den
kommenden Jahren erwarten wir hier einen weiteren Anstieg. Ich muss
aber betonen, dass Verschuldung nicht gleich Verschuldung ist. Die
Kassenkredite im Jahr 1994 machten etwa ein Prozent der kommunalen
Schulden aus, heute sind es mehr als 50 Prozent. Das verdeutlicht,
dass wir im Grunde nicht mehr für die kommunale Infrastruktur
Schulden aufnehmen, was zu vertreten wäre, sondern um die
laufenden Leistungen bezahlen zu können. Viele Kommunen leben
von der Hand in den Mund.
Wo können Sie in den kommenden Jahren
sparen?
Die Möglichkeiten für Einsparungen
haben wir weitgehend ausgeschöpft – etwa beim Personal.
Und gesetzlich vorgegebene Leistungen können wir nicht
kürzen. Etwa drei Viertel unserer Ausgaben werden für die
Bereiche Soziales, Jugend und Schule verwandt. Deshalb sehen wir
die große Gefahr, dass wir in den kommenden Jahren erneut in
eine höhere Verschuldung hineinlaufen.
Wie wirkt die kürzlich im Grundgesetz
festgeschriebene Schuldenbremse auf die
Kommunalhaushalte?
Im Grunde werden Versprechungen
für die Zukunft gegeben. Ob das Verfassungsrecht die
Schärfe hat, diese einzulösen, muss sich zeigen. Mein
Eindruck ist, dass dies eher Wunschdenken ist. Bei der
Schuldenbremse ist die kommunale Ebene im Grundgesetz nicht
unmittelbar genannt. Das birgt die Gefahr, dass die Länder
Lasten auf die kommunale Ebene verschieben, um ihre eigenen
Haushalte zu bereinigen. Wir fordern deshalb, dass bei der
Umsetzung der Schuldenbremse für uns die gleichen Spielregeln
gelten wie für Bund und Länder.
Was muss sich beim kommunalen Finanzausgleich
ändern, damit sich die finanzielle Situation der Kommunen
nachhaltig verbessert?
Der kommunale Finanzausgleich
reicht natürlich nie, aber es wäre auch zu einfach, immer
nur nach mehr Geld zu rufen. Aus meiner Sicht müssen sich drei
Dinge ändern: erstens muss von einem gleichen Finanzbedarf je
Einwohner ausgegangen werden. In Niedersachsen ist es
beispielsweise so, dass die Landeshauptstadt Hannover für
einen Einwohner 180 Prozent dessen bekommt, was ein Einwohner in
einer normalen ländlichen Kommune „wert“ ist.
Zweitens scheint es mir notwendig, dass wir das Prinzip
durchbrechen, dass den Ausgaben das Geld folgt. Wir müssen
vielmehr zu einem Finanzausgleich nach Aufgaben kommen. Das
heißt, es dürfen nicht die bevorzugt werden, die sich
aus welchen Gründen auch immer in der Vergangenheit ein
besonders hohes Ausgabenniveau geleistet haben, sondern wir
müssen den belohnen, der auch in der Vergangenheit schon
solide gewirtschaftet hat. Aus Sicht des ländlichen Raumes
muss sich drittens ändern, dass nicht nur die Einwohnerzahl,
sondern auch die Fläche bei der Berechnung des Finanzbedarfs
eines Kreises berücksichtigt wird, um etwa Kosten beim
Naturschutz oder Wegebau auszugleichen. In Niedersachsen haben wir
das übrigens vor zwei Jahren wieder eingeführt.