Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 3. August 2009), Themenausgabe „Mittelmeer“
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
EU-Kommissar Joe Borg will die europäische Fischereipolitik radikal reformieren. „Wenn wir eine gesunde, nachhaltige Fischerei in allen EU-Gewässern haben wollen, müssen wir viel mehr tun. Wir sind bereit, harte Entscheidungen zu treffen“, sagte er im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Ziel der Reform sei es, Überfischung in Zukunft zu vermeiden. Dazu müssten Überkapazitäten bei den Schiffsflotten reduziert, das Problem der Rückwürfe von unerwünschten Fischen gelöst und die Kompetenzen lokaler Behörden gestärkt werden. Erste Ergebnisse kündigte Borg bis zum Ende des Jahres an.
Nach Aussage des EU-Kommissars für Fischerei sind die Fischbestände in den europäischen Gewässern in einem sehr schlechten Zustand. Der Blauflossen-Thunfisch beispielsweise könnte nach Angaben des WWF bis 2012 ausgerottet sein, obwohl die Europäische Union sein Aussterben durch stärkere Kontrollen der Fischereipraxis verhindern möchte. Dieser Wiederaufstockungsplan der EU komme ohne das völlige Aussetzen der Fischerei aus, erklärte Borg. „Sollte er aber nicht buchstabengenau befolgt werden, dann wäre die einzige Lösung, den Fang der Thunfische für einige Jahre zu verbieten.“
Das Interview im Wortlaut:
Sie stammen von der Insel Malta. Mit welchen Gefühlen denken Sie an das Mittelmeer?
Es hat offensichtlich eine besondere Bedeutung für mich, weil ich von dort komme. Aber als Verantwortlicher für Fischerei und Meerespolitik habe ich alle Gewässer, die an die Europäische Union grenzen, im Blick. Nachhaltige Fischerei ist in allen Meeren wichtig – besonders auch im Mittelmeer.
Im Grünbuch zur Reform der Fischereipolitik ist von der Erfordernis einer „dramatischen Veränderung“ die Rede. Die letzte Fischereireform ist erst sieben Jahre her. Werden Sie dieses Mal einen radikalen Wandel durchsetzen können?
Die Reform von 2002 hat wichtige Verbesserungen gebracht, was das Fischerei-Management betrifft. Es wurden beispielsweise Mehrjahrespläne für die Bewirtschaftung bestimmter Fischarten eingeführt. Auch die Einbindung von Interessengruppen durch regionale Beiräte ist ein Ergebnis der Reform. Es gab also unterschiedliche Schritte in die richtige Richtung.
Was ist der Kern der aktuellen Reform?
Die Fischbestände in den europäischen Gewässern sind immer noch in einem sehr schlechten Zustand. Wenn wir eine gesunde, nachhaltige Fischerei in allen EU-Gewässern haben wollen, müssen wir noch viel mehr tun. Deshalb haben wir im Grünbuch alle Aspekte der gemeinsamen Fischereipolitik in Frage gestellt, um eine möglichst breite Debatte über alle Alternativen zu eröffnen. Ihr Ergebnis soll Ende dieses Jahres, nach Abschluss des Abstimmungsprozesses, feststehen.
Welches sind die drängendsten Probleme, die gelöst werden müssen?
Die Reform muss eine Antwort auf unterschiedliche Fragen finden wie die Überkapazitäten bei den Schiffsflotten, die Rückwürfe von unerwünschten Fischen und andere Faktoren, die zur Überfischung beitragen. Wir sind bereit, hier auch harte Entscheidungen zu treffen.
Was soll sich für die Fischer ändern?
Ich denke, die Zukunft liegt darin, mehr Verantwortung an den Fischereisektor zu übertragen. Politische Richtungsentscheidungen sollen weiterhin auf Vorschlag der Kommission vom Ministerrat und dem Europäischen Parlament beschlossen werden. Aber die täglichen Entscheidungen sollten auf der Ebene getroffen werden, die direkt von ihnen betroffen ist.
Was heißt das für den Besitzer eines Fischerbootes in Spanien oder Italien in der Praxis?
Es bedeutet, dass Entscheidungen beispielsweise über die Größe der Fischernetze, die Maschenweite, die Schonzeiten oder die Schutzgebiete von den Fischern in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden getroffen werden sollen – anstatt im Ministerrat, so wie es heute der Fall ist.
Im Mittelmeer trifft die Überfischung besonders den Blauflossen-Thunfisch. Die Naturschutzorganisation WWF befürchtet, dass er bis 2012 ausgestorben sein könnte. Die EU hat 2006 einen Wiederaufstockungsplan für die Thunfischbestände verabschiedet. Warum greift er nicht?
Offensichtlich sind die Interessen der einzelnen Länder beim Thunfischfang verschieden. Die Staaten, die selber fischen, möchten, dass der Thunfisch weiterhin gefangen wird. Die anderen sind eher der Meinung, dass die Thunfisch-Fischerei für einige Jahre ausgesetzt werden sollte, um die Chancen für eine Erholung zu erhöhen.
Sollte der Thunfisch im Mittelmeer denn eine Verschnaufpause bekommen?
Wir sind fest davon überzeugt, dass sich die Thunfischbestände innerhalb eines angemessenen Zeitraumes regenerieren können – auch ohne das völlige Aussetzen der Fischerei –, wenn der Wiederaufstockungsplan nur buchstabengenau befolgt wird.
Also ist die Einhaltung das Problem?
In den ersten beiden Jahren nach dem Beschluss gab es Probleme mit der Befolgung. Aber beim Treffen der ICCAT (Internationale Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände des Atlantiks) im vergangenen November hat die Kommission sehr klar Stellung bezogen, um den Regenerierungsplan zu stärken und neue Kontrollmaßnahmen einzuführen. In der Fangsaison 2010 wurden besonders die Ringwadenfänger, das sind Schiffe, die große Netze zum Fangen von Thunfischschwärmen auswerfen, genau von Kontrolleuren der Europäische Union und der Mitgliedsstaaten verfolgt. Wir haben auch die Flotten von Nicht-EU-Staaten beobachtet.
Und, haben die strengeren Kontrollen Ergebnisse gezeigt?
Anhand der aktuell verfügbaren Zahlen können wir sagen, dass wir zum ersten Mal die Thunfisch-Fangsaison beendet haben, bevor die Fangquoten ausgeschöpft waren. Das ist eine gute Nachricht. Allerdings liegen die Zahlen über die Thunfisch-Zuchtfarmen und den Export nach Japan noch nicht vor. Wenn sich in den nächsten Jahren allerdings herausstellt, dass der Wiederaufstockungsplan trotz all unserer Ansprengungen nicht eingehalten wurde, dann wäre die einzige Lösung, den Fang der Thunfische für einige Jahre zu verbieten.
Und Sie wären entschlossen, das durchzusetzen?
Wenn die Fischer sich nicht buchstabengenau an die Abmachungen halten: Ja.
Nicht-Regierungsorganisationen werfen der Europäischen Union immer wieder vor, dass sie durch ihre Fischereiabkommen – beispielsweise mit westafrikanischen Staaten – die Existenz der einheimischen Fischer gefährdet. Fühlen Sie sich verantwortlich für senegalesische Fischer, die nach Europa fliehen?
Ich glaube, in dieser Hinsicht kursieren viele Falschinformationen. Ja, es ist richtig, dass unsere Fischer traditionell zur Nutzung und in manchen Fällen zur Ausbeutung von Fischbeständen in den Gewässern von Drittstaaten beigetragen haben, mit denen wir Fischereiabkommen haben. Seit aber im Zuge der Reform von 2002 sogenannte „Partnerschaftliche Fischereiabkommen“ eingeführt wurden, gibt es sehr klare Regeln: Unsere Fischer dürfen nur in Gewässern fischen, in denen der Fischbestand nachgewiesenermaßen gesund ist. Falls nicht, gehen wir kein Abkommen ein.
Gab es dafür bereits Beispiele?
Ja. In Marokko haben wir die Fangmenge begrenzt. In Mauretanien war es ähnlich. Den Vertrag mit Senegal haben wir nicht verlängert, weil die Senegalesen die Bestände fast vollständig selber nutzen, deshalb hätte man nur ein Abkommen über eine begrenzte Fangmenge abschließen können, was für uns nicht interessant war.
Welche Auswirkungen haben die EU-Fischereiabkommen denn tatsächlich?
In den Gewässern von Drittländern fangen Fischer aus der EU nur einen sehr, sehr geringen Anteil der Fische. Weit mehr wird von einheimischen Fischern gefangen – oder von Nicht-EU-Staaten, die mit den Drittländern ebenfalls Verträge abschließen. Das ist für diese Länder oft attraktiver, weil andere Staaten die Abkommen weniger oder überhaupt nicht an Bedingungen knüpfen. Bei den Abkommen mit uns gibt es beispielsweise die Bedingung, dass die EU-Zahlungen für die Unterstützung der einheimischen Fischer und den Ausbau der Fischerei-Infrastruktur in den betreffenden Ländern genutzt werden müssen.
Wie können Sie sicher gehen, dass mit dem Geld nicht die Villa des Fischereiministers des Landes ausgebaut wird?
Ein gewisses Risiko besteht immer. Bevor wir Verhandlungen aufnehmen, stellen wir jedoch sicher, dass es eine verantwortliche Regierung gibt. Das Abkommen mit Somalia beispielweise haben wir nicht erneuert.