Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 31 August
2009),
Themenausgabe „Nachhaltiges Wirtschaften“
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Der frühere Leiter des UN-Umweltprogramms UNEP, Klaus Töpfer (CDU), will den Unternehmen beim Kampf gegen den Klimawandel die technische Umsetzung umweltpolitischer Ziele nicht mehr vorschreiben. „Wir verzetteln uns in technischen Alternativen, für deren Beurteilung der Staat keine wirkliche Qualifikation hat“, sagte Töpfer in einem Interview mit der Zeitung „Das Parlament“, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Schwerpunkt „Nachhaltiges Wirtschaften“ beschäftigt (Erscheinungsdatum 31. August). So sollte der Staat beispielsweise darauf verzichten, die CCS-Technologie zur Abscheidung von CO2 vorzuschreiben. Dennoch müssten klare Grenzwerte vorgegeben werden: „Wir brauchen einen klar handelnden, starken Staat“, betonte er. Töpfer sprach sich zudem dafür aus, mit Nachdruck an einer „Zukunft ohne Kernenergie“ zu arbeiten: „Unter dem Gesichtspunkt der weltweiten Energieversorgung oder als Klimapolitik betrachtet, ist die Kernenergie für mich eine unrealistische Perspektive“, sagte er.
Der ehemalige Bundesumweltminister warnte davor, in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise auf Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verzichten: „Wenn die Klimakrise jetzt nicht gelöst wird, ist sie nicht mehr beherrschbar“, erklärte Töpfer, der auch Gründungsdirektor des neu gegründeten Instituts für Klimaforschung, Erdsystem und Nachhaltigkeit (IASS) in Potsdam ist. Im Gegensatz zu früher sei es aber heute allgemein anerkannt, dass es einen vom Menschen verursachten Klimawandel gebe. „Und inzwischen muss auch jeder nachweisen, was er dagegen tut“.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Töpfer, Sie sind ein guter Skatspieler. Was
für ein Blatt oder anders ausgedrückt, welche Chance hat
nachhaltiges Wirtschaft in Krisenzeiten?
Ich denke,
es ist die Herausforderung für einen guten Spieler, aus einem
schlechten Blatt noch einen Gewinn zu machen.
Eines Ihrer Asse ist dabei der „Green New
Deal“. Was bedeutet das eigentlich?
Kurz
gesagt, geht es darum, zwei Krisen mit einer Klappe zu schlagen:
Das ist für mich Green New Deal. Wir haben heute sowohl eine
Finanz- und Wirtschafts- als auch eine Klimakrise. Erstere hat ohne
Zweifel dramatische Konsequenzen für viele Menschen, aber sie
ist beherrschbar. Wenn aber die Klimakrise jetzt nicht gelöst
wird, ist sie nicht mehr beherrschbar. Daher darf man eben nicht
sagen, erst wenn sich unsere Wirtschaft wieder stabilisiert,
kümmern wir uns ums Klima. Nein! Umgekehrt wird ein Schuh
daraus.
Woher kommt diese Einstellung?
Wir erleben
in der Wirtschaftskrise einen Offenbarungseid der Kurzfristigkeit.
Wir haben zu stark auf schnelle Quartalsergebnisse und
Honorierungssysteme gesetzt. Es ist klar, dass jeder, der ein gutes
Ergebnis erzielen will, versucht, Kosten herauszurechnen und auf
die Zukunft zu verschieben. Wir haben so nicht nur unsere
Atmosphäre, sondern auch unsere Meere auf grobe Art und Weise
misshandelt. Und mit dem Verlust an Artenvielfalt vernichten wir
ein riesiges Reservoir an Lösungsvorschlägen der Natur
für zukünftige Probleme der Menschheit.
All das wird immer wieder kritisiert, aber was fordern
Sie ganz konkret?
Man sollte Konjunkturprogramme
auflegen, aber nicht nur für Investitionen in Straßen,
sondern stattdessen einen nationalen Nahwärmeausbauplan
auflegen. Denn regionale Energie hat ganz andere Wirkungsgrade als
Kohle. Das sind nicht irgendwelche Visionen, sondern das ist
– bildlich gesprochen – die erwähnte Klappe, mit
der man zwei Krisen schlagen kann.
Welche Rolle sollte der Staat für eine nachhaltige
Wirtschaft spielen und was sollte die Wirtschaft lieber selbst
regeln?
Wir brauchen einen klar handelnden, starken
Staat. Der Markt kann nur dort aktiv werden, wo Knappheiten
existieren. Wenn CO2-Zertifikate nicht durch staatliche
Entscheidung zu einem knappen Gut werden, kann kein Markt in Gang
kommen und sich dementsprechend auch kein Preis bilden.
Wo sollte sich der Staat
zurückhalten?
Im Gegensatz zu früher
würde ich heute Unternehmen die technische Umsetzung
umweltpolitischer Ziele nicht mehr vorschreiben, so wie wir damals
beispielsweise zur Vermeidung von Stickoxiden den
Dreiwegekatalysator vorgeschrieben hatten. Anstelle die CCS
Technologie zur Abscheidung von CO2 für Kohlekraftwerke
vorzuschreiben, sollte man klare Grenzwerte vorgeben. Ob die dann
über die CCS-Technik, über Kraft-Wärme-Koppelung
oder durch den Verzicht auf Kohlekraftwerke erreicht werden, sollte
der Staat nicht vorgeben. Wir verzetteln uns in technischen
Alternativen für deren Beurteilung der Staat keine wirkliche
Qualifikation hat. Die Folge sind Auseinandersetzungen von
Gutachtern und Sachverständigen.
Das Gesetz zur Erforschung der CCS-Technologie ist ja
erst vor kurzem im Bundestag gescheitert...
Wir sind
im Klimabereich in einer so dramatischen Lage, dass wir es uns
nicht erlauben können, auf irgendetwas nicht einzugehen. Ich
störe mich bei dieser Technik allerdings daran, dass das CO2
gespeichert werden soll, also quasi als Abfall behandelt wird. Ich
plädiere schon seit langem für eine Kreislaufwirtschaft.
Wir müssen erreichen, dass das Wort Abfall in unserem
Sprachgebrauch nicht mehr vorkommt. Die Natur kennt keinen Abfall.
Wenn wir die Kreisläufe nicht schließen können,
haben wir unsere Aufgabe in Sachen Nachhaltigkeit nicht
erfüllt. Wir müssen die Verwertung von CO2 erforschen.
Der Dichter Anton Tschechow hat so schön gesagt:
„Knappheit ist des Talentes Schwester.“
Talente suchen Sie auch für Ihr neues Institut
für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit (IASS), das im
September seine Arbeit aufnehmen wird. Was ist das Besondere an
dieser neuen Einrichtung?
Wir sind keine
Konkurrenz zu anderen Instituten, sondern eine wichtige
Ergänzung in zwei Bereichen. Zum einen sollen
Weltklasse-Wissenschaftler in diesem Institut wichtige Themen
aufarbeiten, in Kooperation mit der deutschen Forschungslandschaft
erörtern und sie weiter fortführen können. Zum
anderen wollen wir versuchen, einen sogenannten globalen Vertrag,
einen global contract, hinzubekommen. Das heißt, die
Einbindung von Politik und Zivilgesellschaft in wissenschaftliche
Entwicklungsbereiche. Denn im Augenblick leiden wir darunter, dass
wir diesen Kontakt erst haben, wenn wir „Ergebnisse“
vorlegen. Wir müssen jedoch früher ansetzen und die
Regierungen rechtzeitig einbinden wie beispielsweise beim
Weltklimarat IPCC.
Aber haben wir denn überhaupt noch genügend
Zeit dafür?
Es ist nicht so, dass wir bei Null
anfangen. Im Gegensatz zu früher ist es heute allgemein
anerkannt, dass es einen vom Menschen verursachten Klimawandel
gibt. Und inzwischen muss auch jeder nachweisen, was er dagegen
tut. Aber ich fürchte, der Klimawandel wird sich beschleunigen
und von daher müssen auch wir schneller handeln. Allerdings
brauchen sie bei Schnellschüssen oft mehr Zeit, eine
demokratisch legitimierte Mehrheit zu bekommen, als wenn man die
Menschen rechtzeitig einbindet. Denn dann passiert folgendes: Zwar
wollen alle Windenergie, aber keiner will das Windrad vor der
Nase.
Stichwort Desertec. Ist diese Form der Energiegewinnung
mit Solarstrom aus den Wüsten Afrikas die richtige Lösung
für uns?
Es ist für jeden einsichtig, dass
man Sonnenenergie am besten dort erntet, wo die Sonne scheint.
Concentrated Solar gibt es bereits in Spanien oder in den
USA. Die Technologie hat sich stetig weiterentwickelt. Inzwischen
ist es ja auch möglich, Strom über lange Strecken zu
transportieren. Allerdings warne ich davor, mit Hinweis auf dieses
eine Großprojekt bei uns die vielen kleinen, dringend
notwendigen Projekte aus den Augen zu verlieren. Wir müssen
daher mit Solardächern, Windrädern, der Biomasse und der
Geothermie vor allem die dezentrale Energieversorgung deutlich
ausbauen. Diese dezentrale Versorgung kann Desertec sinnvoll
ergänzen und Vorteile auch für Afrika
ermöglichen.
Sie sagen, dass wir in der heutigen Zeit auf keine Form
der Energieerzeugung verzichten können. Dann müssten Sie
sich eigentlich auch für Kernenergie
aussprechen?
Das ist eine Frage der Abwägung.
Wenn ich die Kernenergie unter dem Gesichtspunkt der weltweiten
Energieversorgung oder als Klimapolitik betrachte, ist sie für
mich eine unrealistische Perspektive. Denn dann bräuchten Sie
nicht wie bislang 400 Kernkraftwerke, sondern nach Berechnungen der
Internationalen Energieagentur (IEA) mehrere tausend. Neben einem
hohen Kapitalbedarf und langen Bauzeiten würden Sie in den
Brennstoffkreislauf hineingehen müssen. Das heißt, Sie
müssten Plutonium erzeugen, das ein waffenfähiger Stoff
ist. In einer Welt, in der das Gewaltmonopol immer weniger bei den
Staaten liegt, ist das sehr gefährlich. Also ist es nicht
realisierbar und auch nicht wünschenswert. Mit Nachdruck ist
daran zu arbeiten, eine Zukunft ohne Kernenergie zu
verwirklichen.
Wäre die Verlängerung der Laufzeiten von
Atomkraftwerken für Sie eine Option?
Für
mich ist Kernenergie unabhängig von jeder Laufzeit sofort
abzustellen, wenn sie nicht sicher zu betreiben ist. Wenn aber
jemand ein Kernkraftwerk sicher betreibt – und das von
unabhängigen Prüfern bestätigt bekommt –, kann
man meiner Meinung nach nicht sagen, es muss zu einem bestimmten
Stichtag abgestellt werden. Aber nochmals, ich sehe in dieser
Energieerzeugung keinen wesentlichen Beitrag.
Sie beraten die Bundesregierung im Rat für
Nachhaltigkeit. Wie bewerten Sie die Chancen für ein
Post-Kioto-Abkommen zum Klimaschutz in Kopenhagen?
Es
ist gut, dass sich die EU auf gemeinsame Ziele verpflichtet hat.
Aber wir haben 13 Jahre gebraucht, um seit der Konferenz von Rio
1992 ein gemeinsames Protokoll zu erarbeiten, bei dem am Ende die
Amerikaner nicht dabei waren. Das ist ein Instrument ohne
Zähne. Das können wir uns nicht noch einmal leisten. Ich
gehe aber davon aus, dass wir sehr viel stärkere Initiativen
von den Amerikanern bekommen. Es muss jetzt massiv gegen den
Klimawandel gehandelt und nicht endlos verhandelt werden.
Die Welt setzt viele Hoffnungen in die neue
US-Administration. Ist das gerechtfertigt oder
blauäugig?
Diese Wende in den USA ist wirklich
bemerkenswert, glaubwürdig und in der Sache überzeugend,
denn US-Präsident Barack Obama und sein Energieminister Steven
Chu, Nobelpreisträger und eine Ikone der erneuerbaren
Energien, drehen den Kurs. Dass Obama, das Ziel, bis zum Jahr 2020
insgesamt 20 Prozent weniger CO2 als 1990 zu emittieren, nicht
erreichen kann, ist nachvollziehbar. Wir müssen bedenken: Er
hat eine Politik geerbt, die von 1990 bis heute 20 Prozent mehr CO2
produziert hat.
Sie sind weltweit unterwegs. Ist Deutschland bei der
Entwicklung neuer Umwelttechnologien weiter führend oder haben
uns andere längst eingeholt?
Ich denke durch die
Amerikaner wird der Wettbewerb massiv angekurbelt. Wir werden ein
Feuerwerk neuer Technologien bekommen. Daher müssen wir uns
mehr anstrengen als bisher. Wir haben durch gesetzgeberische
Vorgaben wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit der sogenannten
Einspeisevergütung viel dazu beigetragen, einen führenden
Platz einzunehmen. Aber es gibt auch Bereiche wie die Entwicklung
und Nutzung der Biomasse oder der oberflächennahen Geothermie,
in denen auch andere Länder große Fortschritte
machen.
Sie bezeichnen sich selbst als notorischen Optimisten.
Was lässt Sie bei den vielen Hiobsbotschaften im Umweltbereich
eigentlich noch hoffen?
Ich bin sicher, wir werden
eine Renaissance von Regeln und staatlicher Verantwortung und der
Bindung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft an ethische Werte
erleben. Nur Technik alleine reicht nicht aus. Der Mensch ist
wieder mehr gefordert. Das kann man als optimistisch ansehen, aber
warum soll man diese Hoffnung nicht haben dürfen?