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Gültig ab: 05.12.2005 00:00
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“Als Institution stärker zu Wort melden“

Bild: Norbert Lammert
Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Bild: Norbert Lammert


Bild: Norbert Lammert
„Dass der Bundestag das entscheidende politische Forum der Nation ist, steht außerhalb jeder ernsthaften Debatte.“

Bild: Turm des Reichstagsgebäudes mit Fahne
Spiegelungen: Ein Turm des Reichstagsgebäudes.

Bild: Norbert Lammert im Gespräch
Bundestagspräsident Norbert Lammert im Gespräch mit Vertretern der Fraktionen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert im BLICKPUNKT-Gespräch

Norbert Lammert liebt seine Heimatstadt Bochum und den Fußballverein VfL – und ist doch längst begeisterter Berliner geworden. Im Gespräch mit Blickpunkt Bundestag verrät der neue Präsident des Bundestages, wie er die Rolle des Parlaments interpretiert, was er von Regierungskommissionen und Talkshow-Kabinetten hält und welche Position er in der Fußballmannschaft des Bundestages gespielt hat.

Blickpunkt Bundestag: Herr Präsident, mit Ihrer Wahl zum 12. Präsidenten des Bundestages sind Sie nicht nur oberster Repräsentant des Parlaments, sondern zugleich auch – nach dem Bundespräsidenten, aber vor der Bundeskanzlerin – protokollarisch zweiter Mann im Staate. Warum ist das eigentlich so?

Norbert Lammert: Der Bundestag ist das einzige direkt vom Volk gewählte Verfassungsorgan. Der protokollarische Rang der Parlamentspräsidenten ist keine Reverenz gegenüber der jeweiligen Person, sondern gegenüber dem Souverän: dem deutschen Volk.

Blickpunkt: Wird der hohe Status den Menschen Norbert Lammert verändern?

Lammert: Hoffentlich nicht.

Blickpunkt: Ihr neues Amt bindet Sie noch stärker als zuvor an Berlin. Welche Bedeutung hat die Hauptstadt für Sie? Immerhin sind Sie mit Herz und Seele Bochumer.

Lammert: Natürlich bleibe ich Bochumer – „Bochum, ich komm’ aus dir, Bochum, ich häng’ an dir ?“ – aber ich bin längst Berliner geworden: Die Stadt ist auch jenseits der Politik ebenso anregend wie aufregend.

Blickpunkt: Können Sie heute noch nachvollziehen, warum es vor 15 Jahren so eine erbitterte „Schlacht“ zwischen Bonn und Berlin gab?

Lammert: Ja, aber es gibt wenig vergleichbare „Schlachten“, deren Ergebnis so schnell so breit akzeptiert worden ist.

Blickpunkt: Welches Amtsverständnis haben Sie und wie wird das Ihre Amtsführung prägen?

Lammert: Ich weiß nicht, ob ich ein besonderes Amtsverständnis habe. Die Rechte und die Pflichten des Präsidenten sind in der Geschäftsordnung eindeutig formuliert, und ich glaube nicht, dass irgendjemand den Ehrgeiz hätte – ich jedenfalls nicht –, über diese dort festgelegten Funktionen hinaus Zuständigkeiten für sich zu reklamieren. Und noch weniger kann ich mir vorstellen, dass irgendjemand für sich erklärt oder mindestens beabsichtigt, irgendeiner dieser ausdrücklich formulierten Aufgaben nicht nachzukommen. Der spannende Teil ist also nicht so sehr, wie das Amtsverständnis jeweils einzeln aussieht, sondern mit welcher persönlichen Handschrift es wahrgenommen wird.

Blickpunkt: Und welche Handschrift wird das sein?

Lammert: Nun, man hat ja schon drei laufende Jahre konkrete Erfahrungen mit meiner Handhabung des Amtes machen können, nämlich immer da, wo ich es in Vertretung des damaligen Präsidenten wahrgenommen habe.

Blickpunkt: Sie gelten, Herr Präsident, als Mann mit viel Humor. Werden Sie Ihr Amt mit Würde, aber auch mit Witz und Ironie ausüben?

Lammert: Ganz sicher. Für mich gibt es, was den Ablauf von Plenarsitzungen angeht und auch anderer politischer Gremien, die nicht in gleicher Weise unter dauernder öffentlicher Aufmerksamkeit stehen, keinen Gegensatz zwischen Ernsthaftigkeit und Fröhlichkeit. Das sollte man auch nicht gegeneinander ausspielen. Es muss schon ernsthaft zugehen, aber es muss nicht steif und langweilig sein.

Blickpunkt: Sie sind nicht nur humorvoll und äußerst kulturinteressiert, sondern auch sport- und fußballbegeistert. Wer darf hier auf Ihr Interesse hoffen?

Lammert: Als gebürtiger Bochumer bin ich, wie sich das gehört, seit Jahrzehnten zahlendes und leidendes Mitglied des VfL Bochum. Die Aufregung über die jeweiligen Spielergebnisse wird nur durch die gelegentliche Spannung an Wahlabenden noch überboten. Die eigenen aktiven Möglichkeiten sind im Laufe der Zeit naturgemäß etwas eingeschränkt worden. Immerhin habe ich viele Jahre in der Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages mitgespielt.

Blickpunkt: In welcher Position?

Lammert: Das werden Sie nicht für möglich halten: In der Regel habe ich Rechtsaußen gespielt, also just auf der Position, in der mich die eigene Fraktion politisch ganz sicher nicht vermutet hätte.

Blickpunkt: Nun sind die politischen Verhältnisse nicht ganz einfach. Es gibt wieder fünf Fraktionen im Parlament, zudem wird eine Große Koalition unser Land regieren. Sind das erschwerte Bedingungen für den neuen Präsidenten?

Lammert: Es sind andere, ob es erschwerte Bedingungen sind, warten wir mal ab.

Blickpunkt: Wie wollen Sie der Gefahr begegnen, dass die kleinen Fraktionen angesichts der breiten Mehrheit des Regierungslagers unter die Räder kommen? Wie wird der Umgang mit den kleinen Fraktionen – also mit der Opposition – sein?

Lammert: Ob unter den Bedingungen einer Großen Koalition für die Ausgestaltung der Minderheitenrechte der Opposition, etwa mit Blick auf Quoren für bestimmte Initiativrechte, Modifizierungen erforderlich werden, muss man sich in Ruhe ansehen. Wenn konkrete Situationen auftreten, bei denen Zweifel daran bestehen, ob hier nun eine hinreichend wirkungsvolle Wahrnehmung der Rechte möglich ist, die eine Opposition haben muss, werde ich persönlich ganz sicher ein hartnäckiger Verfechter der Interessen der Opposition sein, und zwar nicht im Interesse der jeweiligen Fraktion, sondern im Interesse der Aufgaben des Parlamentes.

Blickpunkt: Nun neigt womöglich gerade eine Große Koalition dazu, wichtige Entscheidungen in kleine Zirkel und Koalitionsrunden zu verlegen. Fürchten Sie, dass dies auch jetzt wieder passieren wird?

Lammert: Ich gehe fest davon aus, dass es in dieser Legislaturperiode, wie in allen Perioden zuvor, neben der förmlichen Arbeit an Gesetzen, Entschließungen, politischen Initiativen auch informelle Gremien gibt, die solche Arbeiten vorbereiten und begleiten. Ich finde das auch vollständig unproblematisch. Es ist eine Fehleinschätzung, dass das eine Fehlentwicklung der letzten Jahre sei. Es wäre ein schönes Thema für eine Diplomarbeit, einmal zu untersuchen, welche der großen Gesetzesvorhaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ohne vorbereitende Arbeit von Kommissionen, entweder im Auftrag der jeweiligen Regierungen oder des Parlamentes, zustande gekommen sind. Ich finde im übrigen das, was sich im Umfeld des Parlaments an solchen Gremien bildet, noch weniger problematisch als das, was sich im Umfeld von Regierungen bildet. Das im Regierungshandeln versteckte Vorarbeiten ist regelmäßig viel weniger öffentlich transparent.

Blickpunkt: Erwarten Sie mit dem Einzug der Linkspartei.PDS heftigere Auseinandersetzungen im Parlament, zumal es ja alte Rechnungen und Rivalitäten mit der SPD gibt?

Lammert: Nein, die erwarte ich nicht. Wer so lange dem Bundestag angehört wie ich, hat jede Gangart bereits erlebt. Diejenigen, die an der Stelle ganz besondere Temperamentsausbrüche erwarten, haben vermutlich schlicht frühere Erfahrungen nicht mitgekriegt.

Blickpunkt: Herr Präsident, Sie haben gesagt, der Bundestag sei nicht das Vollzugsorgan der Regierung, sondern ihr Auftraggeber. Dennoch ist immer wieder von Kompetenz- und Machtverlust des Parlaments die Rede. Waren das nur schöne Worte oder werden Sie die Souveränität des Parlamentes verteidigen?

Lammert: Die Bemerkung war ausdrücklich nicht als rhetorische Floskel gemeint. Wir haben in Deutschland ein parlamentarisches Regierungssystem. Das bedeutet zum einen, dass das Volk, dass die Wählerinnen und Wähler nicht die Regierung wählen, sondern das Parlament. Und dass das Parlament durch die durch Wählerentscheid gegebenen Mehrheitsverhältnisse eine Regierung bestellt und gegebenenfalls auch abberuft. Daraus ergibt sich wiederum zwangsläufig eine viel stärkere Zuordnung von Regierungsarbeit und Parlamentsarbeit der Mehrheitsfraktionen, als es in anderen politischen Systemen mit stärkerer Trennung zwischen Regierung und Parlament der Fall ist. Weil das so ist, muss man umso mehr, jedenfalls von Zeit zu Zeit, daran erinnern, dass diese unvermeidliche, durch unsere Verfassung gewollte Zusammenarbeit eben nicht bedeutet, Zentrum des politischen Systems sei die Regierung, und zu den Hilfsorganen gehöre das Parlament. Wenn überhaupt, ist es umgekehrt.

Blickpunkt: Verliert der Bundestag nicht doch an Gestaltungseinfluss, wenn, wie in der letzten Legislaturperiode, Kommissionen und Vermittlungsausschuss bis ins Detail und aufs Komma Vorgaben machen? Manche Abgeordnete wussten nachher gar nicht mehr, worüber sie abstimmten.

Lammert: Ein glänzendes Beispiel für meine These! Denn der Vermittlungsausschuss ist eben keine der vielen beschimpften Kommissionen, sondern ein in unserer Verfassung vorgesehenes Organ zur überwindung unterschiedlicher Positionen der beiden Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat.

Blickpunkt: Herr Präsident, was kann man tun, um das Selbstbewusstsein des Parlaments zu stärken?

Lammert: Ich habe nicht den Eindruck, dass man einen Freundeskreis zur Unterstützung vergrößerten Selbstbewusstseins der Parlamentarier gründen müsste. Dieses Selbstbewusstsein ist schon da, individuell in der Regel prächtig entwickelt. Es sollte in bestimmten Situationen vielleicht auch mal als Institution sich stärker zu Wort melden. Also, ich mache mir keine Sorgen, dass wir uns in Zukunft mit Minderwertigkeitskomplexen auseinander setzen müssen.

Blickpunkt: Was sagen Sie zu der Kritik, manche Talkshow im Fernsehen sei inzwischen politisch wichtiger und ergiebiger als viele Parlamentsdebatten?

Lammert: Dazu drei Bemerkungen: Auf die Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen wie schon gar der privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten hat der Deutsche Bundestag keinen Einfluss, will er auch keinen Einfluss nehmen. Ob es zur Strahlkraft der Fernsehanstalten beiträgt, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den allermeisten Kanälen diese Talkshows zu besichtigen und anzuhören sind, mögen andere entscheiden. Zweitens: Der Deutsche Bundestag hat kein Monopol auf Meinungsbildung, nie gehabt, weder qua Verfassung noch in der politischen Realität. Aber drittens: Dass er das entscheidende politische Forum der Nation ist, steht genauso außerhalb jeder ernsthaften Debatte. Selbst eine Multiplizierung der Anzahl der Talkshows würde nichts daran ändern, dass der prinzipielle Unterschied zwischen einer Talkshow und einer Parlamentsdebatte darin besteht, dass die zweite zu einer Entscheidung führt und die erste, wenn’s gut geht, zur Information, meist mehr zur Unterhaltung beiträgt.

Blickpunkt: Rund 2,6 Millionen Menschen besuchen im Jahr die gläserne Kuppel auf dem Reichstagsgebäude. Fällt mit diesem großen Zuspruch auch Glanz auf das Parlament?

Lammert: Ich würde lieber fragen, ob es nicht ein schöner Nachweis für die Attraktivität des deutschen Parlaments ist, dass der Sitz des Bundestages gleichzeitig die mit Abstand größte Berliner Touristenattraktion ist. Ich denke schon, dass die Attraktivität der Kuppel mit dem atemberaubenden Blick auf die Stadt auch mit einem gewissen Interesse an der Arbeitsweise des Bundestages verbunden ist.

Blickpunkt: Welchen Stellenwert hat für Sie die öffentliche Darstellung des Parlaments? Und: Was wäre hier verbesserbar?

Lammert: Es ist überall etwas verbesserbar. Ich habe in meiner Antrittsrede ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weder Parteien noch Parlamente, weder Regierungen noch Oppositionen sich gegenwärtig auf dem Höhepunkt ihres öffentlichen Ansehens befinden. Dafür gibt es viele Gründe, allerdings keinen einfachen und keinen eindeutigen Zusammenhang. Wir müssen das ernst nehmen. Gerade, weil es kein Patentrezept gibt und weil wir auch nicht die einzigen sind, die auf das Ansehen von Parlamenten einwirken, müssen wir jedenfalls den Einfluss, den wir selber haben, tatsächlich wahrnehmen.

Interview: Sönke Petersen
Fotos: studio kohlmeier, Deutscher Bundestag
Erschienen am 01. Dezember 2005


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