Es gilt das
gesprochene Wort
Vor 2 Tagen, am 8. Mai, hat die Bundesrepublik Deutschland, haben
wir des Kriegsendes und der Befreiung unseres Landes und unseres
Kontinents von der Hitlerbarbarei gedacht.
Heute eröffnen wir ein Denkmal, das an das schlimmste, das
entsetzlichste Verbrechen Nazideutschlands erinnert, an den
Versuch, ein ganzes Volk zu vernichten. Dieses Denkmal ist den
ermordeten Juden Europas gewidmet.
Dies ist ein Denkmal an der Grenze, ein Denkmal im Übergang -
und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Es gab über dieses Denkmal die höchstmögliche
Entscheidung, die in dieser Republik möglich ist: eine
Entscheidung des Deutschen Bundestages. Als die Entscheidung des
Parlaments mit parteiübergreifender großer Mehrheit am
25. Juni 1999 fiel, war dem eine zehnjährige intensive Debatte
vorausgegangen - angestoßen von einer Initiative von
Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft und getragen von deren
unbeirrbarem Engagement bis heute.
Die Entscheidung für das Denkmal in Berlin war eine der
letzten, die der Bundestag in Bonn vor seinem Umzug fasste. Es war
die Entscheidung für ein erstes gemeinsames Erinnerungsprojekt
des wiedervereinten Deutschland und das Bekenntnis, dass sich
dieses geeinte Deutschland zu seiner Geschichte bekennt und zwar
indem es in seiner Hauptstadt, in ihrem Zentrum, an das
größte Verbrechen seiner Geschichte erinnert. Im Zentrum
jener Stadt, die zwar nicht der Ort des Massenmordes war, von der
aus aber die systematische millionenfache Tötung von Menschen
erdacht, geplant, organisiert, verwaltet wurde.
Keine andere Nation habe je den Versuch unternommen, so schrieb der
amerikanische Judaist James E. Young, "sich auf dem steinigen
Untergrund der Erinnerung an ihre Verbrechen wiederzuvereinigen
oder das Erinnern an diese Verbrechen in den geographischen
Mittelpunkt ihrer Hauptstadt zu rücken". - Eine Aufgabe also
an der Grenze dessen, was einer sozialen Gemeinschaft möglich
ist. Das mag die Heftigkeit der Debatte um das Denkmal, auch
manchen Widerstand erklären und rechtfertigen. Widerspruch und
Debatte werden das Denkmal wohl auch weiter begleiten, was gewiss
nicht das Schlechteste sein muss.
Der Holocaust berührt die "Grenze unseres Verstehens", so ist
zutreffend gesagt worden. Dieses Denkmal agiert an dieser Grenze.
Es ist der Ausdruck für die Schwierigkeit, eine
künstlerische Form zu finden, die dem Unfassbaren, der
Monstrosität der nationalsozialistischen Verbrechen, dem
Genozid an den europäischen Juden überhaupt irgend
angemessen sein könnte. Es verwischt die Grenze nicht zwischen
einer Erinnerung, die auf keinerlei Weise "bewältigt" werden
kann, und jener Erinnerung, die für Gegenwart und Zukunft
Bedeutung haben muss.
Dies soll ein Ort des Gedenkens sein, soll also die Grenze
überschreiten, die zwischen kognitiver Information,
historischem Wissen einerseits und Empathie mit den Opfern, Trauer
um die Toten anderseits liegt - so sehr beides gewiss
zusammengehört. Dieses Denkmal - mit dem Ort der Information -
kann uns Heutigen und den nachfolgenden Generationen
ermöglichen, mit dem Kopf und mit dem Herzen sich dem
unbegreiflich Geschehenen zu stellen.
Was heute noch in großer Eindringlichkeit Zeitzeugen
erzählen können, müssen in Zukunft Museen, muss die
Kunst vermitteln. Wir sind gegenwärtig in einem
Generationenwechsel, einem Gezeitenwechsel, wie manche sagen:
Nationalsozialismus, Krieg und organisierter Völkermord werden
immer weniger lebendige Erfahrung von Zeitzeugen bleiben und immer
mehr zu Ereignissen der Geschichte; sie wechseln von
persönlicher, individuell beglaubigter Erinnerung in das durch
Wissen vermittelte kollektive Gedächtnis. Das Denkmal ist
Ausdruck dieses Übergangs.
Es ist damit nicht, wie manche befürchten, das Ende, der
steinerne Schlusspunkt unseres öffentlichen Umgangs mit
unserer Nazi-Geschichte. Es überträgt vielmehr diese
beunruhigende Erinnerung in das kulturelle Gedächtnis der
Deutschen, ohne deren Beunruhigungskraft zu vermindern. Das Denkmal
wird Anstoß bleiben, der Streit darum wird weitergehen,
dessen bin ich sicher. Es widerlegt ja nicht alle Argumente, die
gegen es vorgebracht wurden. Es erhebt keinen Monopolanspruch aufs
Gedenken, im Ort der Information wird auf die authentischen Orte
des mörderischen Geschehens und auf andere Gedenkstätten
hingewiesen. Seine Widmung bleibt umstritten.
Die Eröffnung eines solchen Denkmals ist kein Anlass zu
fröhlichem Feiern, gewiss. Aber sie ist für mich als
Bauherrn doch Anlass zum Dank an alle Beteiligten - dafür,
dass der Beschluss des Bundestages nunmehr verwirklicht ist.
- Der Anstoß zu diesem Denkmal ist aus einer
bürgergesellschaftlichen Initiative entstanden. Ich
möchte dafür dem Förderkreis und stellvertretend
für ihn Lea Rosh und Eberhard Jäckel herzlich danken -
für ihre geduldige Ungeduld, ihr unbeirrbares,
störrisches Engagement, mit dem sie das Projekt bis heute
getragen haben.
- Mein Dank gilt dem Architekten Peter Eisenman für seinen
ingeniösen Entwurf und, ja, - auch für seine Geduld.
- Mein Dank gilt Dagmar von Wilcken, der leisen, der sensiblen,
der präzisen Gestalterin des Ortes der Information.
- Mein Dank gilt der Gedenkstätte Yad Vashem und allen
anderen befreundeten Gedenkstätten, die uns auf
vielfältige Weise unterstützt haben. Dass Yad Vashem mit
uns zusammenarbeitet ist wahrlich nicht selbstverständlich, es
beschämt uns, es ehrt uns, es fordert uns für die Zukunft
heraus.
- Mein Dank gilt den jüdischen Familien, den
Überlebenden des Holocaust, die für uns ihre
persönlichen Archive geöffnet und uns die Zeugnisse ihres
Lebens und Leidens zur Verfügung gestellt haben.
- Mein Dank gilt dem Kuratorium, dem Beirat, der
Geschäftsstelle der Stiftung die alle fleißig diskutiert
und gearbeitet haben.
- Und - nicht zuletzt - gilt mein Dank allen, die an der ganz
praktischen Realisierung des Baus beteiligt waren: den
bauausführenden Büros und Firmen, den Handwerkern, den
Bauarbeitern.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist eine
begehbare Skulptur, die - so mein Empfinden - eine große
emotionale Kraft entfaltet, es ist eine bauliche Symbolisierung
für die Unfasslichkeit des Verbrechens.
Es ist - im wirklichen Sinne des Wortes - ein offenes Kunstwerk.
Offen gegenüber der Stadt, dem räumlichen Umfeld, in das
es übergeht. Offen für seinen vielfältigen
individuellen Gebrauch: Dieses Denkmal kann man nicht "kollektiv"
begehen, es vereinzelt. Es ermöglicht eine sinnlich-emotionale
Vorstellung von Vereinsamung, Bedrängnis, Bedrohung. Es
erzwingt nichts.
Ich habe die Hoffnung, dass Menschen, auch und gerade junge
Menschen normaler Empfindsamkeit das empfinden werden, die
begriffslose Ausdruckskraft dieses Denkmals spüren, von ihm
berührt sein werden und betroffen und fragend den Ort der
Information aufsuchen. Hier bekommen die Opfer Namen und Gesichter
und Schicksale - wer wird sich dem entziehen können! Und dann
wieder durch das Stelenfeld gehen und der Opfer gedenken.
So kann es sein, so ist es gemeint: Nicht eine Art negativer
Nostalgie, sondern ein Gedenken der Opfer, das uns in der Gegenwart
und Zukunft verpflichtet: zu einer Kultur der Humanität, der
Anerkennung, der Toleranz in einer Gesellschaft, in einem Land, in
dem wir ohne Angst als Menschen verschiedene sein
können.