26.10.2005 - Rede von Bundestagspräsident Dr. Norbert
Lammert beim Empfang zum 50. Jahrestag der Bundeswehr in
Berlin
Es gilt das
gesprochene Wort
Über die Bundeswehr und die 50 Jahre ihrer Arbeit und ihrer
Leistung wird in diesen Tagen viel gesprochen und vieles
geschrieben: viel Bekanntes, gelegentlich Originelles, manchmal
Kluges, bisweilen besonders Kluges. In einer bedeutenden deutschen
Wochenzeitschrift, die sich nicht ganz zu Unrecht auf ihre
regelmäßigen klugen Beiträge viel zugute hält,
war in diesen Tagen mit Blick auf 50 Jahre Bundeswehr zu lesen:
"Nicht kämpfen kann diese Armee gut." Das ist sicher
originell, aber scharf daneben. Richtig ist: Die Bundeswehr ist ein
Kind des Kalten Krieges. Aber dieser Kalte Krieg hätte
schwerlich überwunden werden können ohne den Beitrag auch
und gerade der Bundeswehr. Und dabei hat ganz gewiss eine
erhebliche Rolle gespielt, dass niemand jemals einen Zweifel daran
hatte, dass diese Armee notfalls eben gut und aufopferungsvoll
hätte kämpfen können.
Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee entstanden, ohne diesen
Kontext wäre sie so nie zustande gekommen. Und sie hat bei
allen Veränderungen dieser fünf Jahrzehnte die
Modifizierungen ihres Auftrages immer in diesem Kontext verstanden
und weiterentwickelt. Deswegen ist es eine große Freude, dass
wir heute aus Anlass dieser Veranstaltung zur Feier des
50-jährigen Bestehens der Bundeswehr den Generalsekretär
der NATO bei uns begrüßen dürfen: Herzlich
willkommen, Herr de Hoop Scheffer!
Es gibt, meine Damen und Herren - und allein dies kennzeichnet
vielleicht hinreichend die Erfolgsgeschichte der Bundeswehr in
diesen 50 Jahren -, kaum eine zweite Institution, die zum Zeitpunkt
ihrer Gründung so umstritten war, wie die Bundeswehr, und die
sich heute, wie die Bundeswehr, nahezu überall außerhalb
jedes ernsthaften, jedenfalls ernst zu nehmenden Streits befindet.
Ein schöneres Kompliment kann es zu einem solchen
Jubiläum schwerlich geben. Dabei haben diese 50 Jahre
keineswegs nur Serien von begeisternden Aufgaben und
Problemstellungen gekennzeichnet. Die Geschichte der Bundeswehr ist
auch eine dauernde Geschichte der Auseinandersetzung mit
Finanznöten. Und es wäre ja schön, wenn man jetzt
als Geburtstagsgeschenk die feierliche Verkündigung bei
laufenden Koalitionsverhandlungen vortragen könnte, dass damit
in den nächsten 50 Jahren nicht mehr gerechnet werden
müsse.
Tatsächlich gehört es zu den nüchternen
Realitäten, mit denen sich die Bundeswehr - wie andere
Institutionen auch - auseinandersetzen muss, dass sie ihren
jeweiligen wichtigen Auftrag unter schmerzhaften öffentlichen
Haushaltsnöten wahrnehmen muss. Aber ich trage das nicht
deswegen vor, um die Feiertagsstimmung mutwillig zu gefährden,
sondern weil ich einen anderen Punkt der besonderen Erwähnung
wert finde. Die Bundeswehr ist wie wenige andere Institutionen in
diesen 50 Jahren ständig genötigt gewesen, ihren Auftrag
bei mal mehr, mal weniger veränderten politischen Lagen immer
wieder weiterzuentwickeln. Sie ist eine Institution gewesen, bei
der die Reformprozesse der Regelfall und die stabilen Lagen die
vergleichsweise kurzzeitigen Ausnahmen waren. Wenn alle staatlichen
Institutionen, bei denen regelmäßig Reformbedarf
eingefordert wird, mit ähnlicher Disziplin und
Professionalität diesen von anderen definierten Reformbedarf
umgesetzt hätten wie die Bundeswehr, wären heute die
Koalitionsverhandlungen vielleicht einfacher.
Ich will ein vorletztes Stichwort nennen: die deutsche Einheit. Das
hat, wie jeder hier weiß, die beiden damals existierenden
Armeen auf deutschem Boden vor ganz besondere und vor
vollständig unvorhersehbare Herausforderungen gestellt,
für die es kein Drehbuch gab. Die Aufgabe, Menschen
zusammenzuführen, die über Jahrzehnte in gegnerischen
Bündnissen bis an die Zähne bewaffnet gegeneinander
aufgestellt waren, war von eigener Art und hat sich so an keiner
anderen Stelle unserer Gesellschaft in genau der gleichen oder
einer sehr ähnlichen Weise gestellt. Wenn der Prozess der
Herstellung nicht nur der äußeren, sondern auch der
inneren Einheit Deutschlands an jeder Stelle so offensichtlich gut
gelungen wäre, wie es bei der Integration der NVA in die
Bundeswehr im Ergebnis unstreitig gelungen ist, dann würden
die Festreden zum Tag der Deutschen Einheit anders ausfallen, als
das häufig der Fall ist.
Die Bundeswehr, deren 50-jähriges Bestehen wir heute feiern,
ist nicht zuletzt in der deutschen und in der internationalen
Öffentlichkeit durch ihre Grundsätze der Inneren
Führung und das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform
profiliert worden. Mit diesem neuen Selbstverständnis hat sie
Standards gesetzt, die weit über Deutschland, manche sagen:
weit über die NATO hinaus reichen. Die Bundeswehr, meine Damen
und Herren, hat diesem Land und unserer demokratischen Ordnung 50
Jahre in vorbildlicher Weise gedient.
Und deswegen nutze ich diese Gelegenheit gerne, Ihnen, Herr
Bundesminister der Verteidigung, stellvertretend auch für alle
Ihre Vorgänger im Amt, den Dank und den Respekt des Deutschen
Bundestages für diese stolze Erfolgsgeschichte zum Ausdruck zu
bringen. Und ich schließe selbstverständlich in diesen
Dank alle Soldatinnen und Soldaten ein, von denen viele ein ganzes
Berufsleben lang ihre Leistungsfähigkeit und ihre Arbeitskraft
dieser Aufgabe gewidmet haben. Ich möchte aber auch, und das
werden Sie bitte verstehen, in diesen Dank mit Blick auf die
vergangenen 50 Jahre die Kolleginnen und Kollegen des Bundestages
einbeziehen, die sich auch in einer ganz besonderen Weise dieser
Armee, dieser unserer Bundeswehr, angenommen haben. Der Begriff
"Parlamentsarmee" hat sich für diese enge Verbindung und
Verantwortung längst allgemein durchgesetzt. Wir, der Deutsche
Bundestag, wissen, dass wir uns auf diese Armee verlassen
können. Und die Bundeswehr, unsere Soldatinnen und Soldaten,
sollen wissen, dass sie sich auf dieses Parlament verlassen
können.