Im dritten Jahrzehnt führt das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin (Difu) eine jährlich wiederholte Umfrage bei ausgewählten Städten der Bundesrepublik durch. Ihre Kernfrage lautet über die Zeit unverändert: "Welche Probleme und Aufgaben sind in diesem Jahr in Ihrer Stadt von besonderer Bedeutung?" Dem schließt sich die Bitte an: "Skizzieren Sie bis zu sechs Probleme und Aufgaben mit besonderem Handlungsdruck für Rat und Verwaltung." Natürlich hat jede Kommune ihre Eigenarten und Besonderheiten. Diese zu pflegen ist eines der Anliegen der Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes verankert ist. Dem entspricht, dass es Probleme und Aufgaben gibt, die eine Stadt allein für sich hat. Andere teilt sie mit mehreren Städten und wieder andere haben alle Städte gemeinsam.
Im Rahmen der interkommunalen Kooperation werden zur Problembearbeitung zahlreiche formelle und informelle Wege genutzt, um gemeinsames Handeln der Städte zur ermöglichen, wenn ihre Interessen - etwa gegenüber der Bundesregierung oder den Ländern - übereinstimmen. Auf diesem Feld sind vorzugsweise die kommunalen Spitzenverbände tätig. Problemlösungen werden aber auch auf dem Weg der interkommunalen Konkurrenz gesucht, wenn diese vorteilhaft ist oder zu sein scheint. Solche Konstellationen setzen eigene Prioritäten für kommunale Probleme und Aufgaben. Sie relativieren die Gültigkeit einer gemeinsamen "Kommunalen Agenda", wie sie durch die hier vorgestellten Difu-Befragungen erzeugt wird.
Auch innerhalb einer Stadtverwaltung werden verschiedene Prioritäten gesetzt. Oft folgen sie den Grenzen zwischen den Ressorts, wenn es etwa um die Verteilung knapper Haushaltsmittel geht. Kraft Profession und Selbstverständnis fühlen sich die Planer der Stadtentwicklung am ehesten einem Ressort übergreifenden Denken verpflichtet. Vom Difu befragt werden deshalb als Panel die Mitglieder der "Fachkommission Stadtentwicklungsplanung" des Deutschen Städtetags und ihrer Tätigkeit nach vergleichbare Mitarbeiter der Kommunalverwaltung. Daraus ergibt sich eine weitere Einschränkung: Die Befragung erzeugt großstadtlastige Ergebnisse, da überwiegend diese dem Städtetag angehören. Trotz dieser Einschränkungen ermöglichen die Ergebnisse einige interessante Beobachtungen, zu denen vor allem die Bildung langer Zeitreihen gehört.
Betrachtet man den Bedeutungswandel ausgewählter Problembereiche für die Städte der alten Länder zwischen 1979 und 2003, fällt etwa für den Bereich Kommunalfinanzen und Verwaltungsmodernisierung ein Verlauf im Form eines W's auf. Erst seit 1993 liegt dieser Problembereich auf dem ersten Rangplatz. Auch zuvor war er nie unwichtig, aber es gab offensichtlich auch Zeiträume, in denen der Problemdruck stark zurückgegangen war: In den Jahren 1985 und 1990 wurde er - nach vorherigen Phasen der Entschärfung - bis auf den 12. Rangplatz zurückgestuft.
Anders verläuft die Problemkurve für den Verkehrsbereich: Bis zum Jahr 1995 wurden städtische Verkehrsprobleme mit großer Stetigkeit auf einen der ersten drei Rangplätze eingestuft. Seither werden sie von den westdeutschen Städten im Mittelfeld des Problemdrucks genannt. Einen eigenen "Charakter" hat der zunächst auffallend zyklische Gang der Kurve für das "Wohnungswesen": Einer Phase höchsten Problemdrucks am Anfang der 80er-Jahre folgten Phasen der Entspannung und des abermaligen Anstiegs. Diesen Entwicklungen entspricht übrigens auch die Statistik zur Entwicklung der Baugenehmigungen. Seit 1992 enden diese Phasen jedoch und seither zählen Wohnungsfragen in den alten Ländern nicht mehr zu den kommunalen Hauptproblemen. Arbeitslosigkeit ist ein Problem, das erst in den 90er-Jahren von der kommunalen Ebene herausgestellt wird. Obwohl Kommunalverwaltungen nur begrenzte Möglichkeiten für eine eigene Arbeitsmarktpolitik haben, sind sie vor Ort gravierend von ihren Folgen betroffen.
Seit Beginn der 90er-Jahre wurde das Panel der Befragung auch auf die ostdeutschen Kommunen ausgeweitet. Zunächst ergab sich hieraus eine durchaus eigenständige Aufgaben- und Problemlandschaft für die Städte der neuen Länder, die von den Themen der Verwaltungstransformation geprägt war: Aufbau administrativer Grundstrukturen, Gemeindegebietsreform, Etablierung einer rechtsstaatlichen Verwaltung, Konversion militärischer Liegenschaften. Solche Aufgaben und Probleme spielen jedoch seit der Mitte der 90er-Jahre keine herausgestellte Rolle mehr.
Betrachtet man die Ergebnisse über die Zeit von 1994 bis 2003, so fällt auf, dass im Beobachtungszeitraum die Finanzprobleme von der Verwaltung mit großem Abstand am stärksten betont werden. Seit dem Jahr 2000 vergrößert sich zusätzlich der Abstand zu den nachfolgenden Bereichen so stark, dass diese kaum mehr sinnvoll auseinander zu halten sind. Dabei ist der darin auch enthaltene Stimmenanteil, der sich direkt auf das Thema Verwaltungsmodernisierung bezieht, fast zu vernachlässigen. Insgesamt deutet das darauf hin, dass der Handlungsraum für jene Aufgaben immer enger wird, die die kommunale Selbstverwaltung eigentlich ausmachen. Sichtbar wird auch, dass der vom Problem der Arbeitslosigkeit bestimmte Komplex des wirtschaftlichen Strukturwandels sich fest auf dem zweiten Rangplatz der wichtigsten Probleme etabliert hat. Diesen Anteil betonen die ostdeutschen Städte etwas stärker.
Die Städte bedrängt darüber hinaus eine Gemengelage von Schwierigkeiten in den Bereichen "Innenstadtentwicklung" und "Einzelhandel", deren Probleme sich wechselseitig aufschaukeln. Zusätzlich verschärft diesen Problemkomplex die "Suburbanisie- rung" der Wohnbevölkerung: Wer am Stadtrand oder schon im Umland lebt, der ist der Innenstadt als Einkäufer verloren, wenn vor der Stadt Einkaufszentren mit bequemen Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die natürlich auch den Städter anzulocken wissen. Ihn beispielsweise mit integrierten Einkaufszentren in der Stadt zu halten und das Umland wieder für die Innenstadt zu gewinnen, ist das gemeinsame Ziel von Stadtplanung und traditionellem Einzelhandel.
Trotz aller Aufgaben- und Problemangleichungen seit der Vereinigung gibt es ein Problemfeld, das in westdeutschen Kommunen kein Pendant hat und das den ostdeutschen Städten schwer zu schaffen macht: Die Sanierung und Bewirtschaftung der industriell gefertigten Großsiedlungen vor dem Hintergrund von Bevölkerungsrückgängen und Überangebot an Wohnungen. Leider sind davon auch die staatlichen Finanzen betroffen. In den 90er-Jahren wurden sie in großem Umfang eingesetzt, um die "Platten" zu sanieren; mittlerweile werden sie zur Bekämpfung des Leerstands gebraucht, um ihren Abriss ("Rückbau") zu finanzieren.
Hier wurden Stadtaufgaben- und Probleme aus Verwaltungssicht vorgestellt. Wie verhält sich diese Perspektive zur Sicht der Bürger? In zahlreichen Städten gibt es seit vielen Jahren das Instrument der jährlichen, als Mehrthemenbefragung konzipierten Bürgerbefragung. In diesen Befragungen findet sich regelmäßig die Frage: "Welches sind nach Ihrer Meinung gegenwärtig die größten Probleme in der Stadt?" Nicht immer stimmen dabei die Problemsichten von Bürgern und Verwaltung überein, obwohl das zumindest der Richtung nach nicht selten ist.
Auffallend ist, dass beim Ergebnisvergleich einige Probleme in der Verwaltungssicht zunächst kaum beachtet wurden, die aus Bürgersicht von hoher Dringlichkeit waren (etwa öffentliche Sicherheit, oder Sauberkeit in der Stadt). Insofern sind solche Befragungen ein Seismograph, der zur Sensibilisierung der Verwaltung beizutragen vermag. Umgekehrt können Bürgerbefragungen zeigen, dass Bürger etwa verständiger auf die kommunale Sparpolitik reagieren als Interessengruppen manchmal Glauben machen wollen. Das wiederum könnte für die politische Willensbildung im Rat von Bedeutung sein. Michael Bretschneider
Der Autor ist Mitarbeiter des Difu.
Das Institut veröffentlicht seine Befragungsergebnisse. Die Ergebnisse für 2003 enthält: Deutsches Institut für Urbanistik, Hauptprobleme der Stadtentwicklung und Kommunalpolitik. Ergebnisse einer Panelbefragung bei kommunalen Stadtentwicklungsplanern. Berlin, 2004.