Als Berlin 2001 seine Stadtstruktur neu ordnete, hatte es den Anschein, als könne manchen Bezirken nichts Schlimmeres passieren, als mit einem anderen zusammengelegt zu werden. Es war die größte Umgestaltung der Berliner Verwaltung seit 1920: Sie schuf einheitlich große Bezirke mit jeweils etwa 300.000 Bewohnern, und aus 23 Bezirken wurden mit einem Schlag zwölf, mit plump zusammengebastelten Namen wie Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg oder Treptow-Köpenick. Die meisten Bezirke mussten nicht nur ihren Namen zusammenschmeißen, aber schon das reichte, um emotionale Befindlichkeiten größerer Dimension zu wecken: Die Bevölkerung wurde befragt, Unterschriften gesammelt, es wurde sogar vor Gericht gezogen, wie im Fall des neuen Großbezirks Pankow, der aus Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee besteht.
Lediglich Neukölln, Reinickendorf und Spandau blieben aufgrund ihrer Größe Singlebezirke. Für Spandau, das älter ist als die ursprüngliche Siedlung Berlin, wäre ein Fusion sowieso fast unvorstellbar gewesen: "Das hätte bestimmt Proteste gegeben. Hier in Spandau hätte man sich lieber mit Nauen oder anderen Regionen aus Brandenburg vereint, als mit Charlottenburg", sagt Andrea Theissen, die Leiterin des dortigen Stadtgeschichtlichen Museums. Warum? "Weil es Berlin ist", antwortet Theissen mehr im Scherz und fügt hinzu: "Das hat auch was mit dem Selbstbild als 'Perle des Havellandes' zu tun."
Die Gründe für solche Befindlichkeiten liegen in der Geschichte: Viele Berliner Bezirke waren einmal mehr als das, nämliche eigene Städte, die immer enger mit Berlin zusammenwuchsen, je mehr Menschen Ende des 19. Jahrhunderts in die wachsenden Industrien und Verwaltungen der preußischen Residenz strömten. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges explodierten die Bevölkerungszahlen regelrecht: Allein in Berlin zwängten sich in unerträglicher Enge nun ungefähr zwei Millionen Menschen. Charlottenburg, inzwischen eine Großstadt mit 300.000 Einwohnern, war zur elftgrößten Stadt des Deutschen Reiches geworden. In Spandau, eine der stärksten preußischen Festungsstädte, lebten 100.000 Menschen. Rein äußerlich war eine Abgrenzung dieser "Vorstädte", die Berlin wie eine Kette umschlossen, kaum noch zu erkennen.
All diese Städte, auch die kleineren wie Köpenick oder Rixdorf (seit 1912 Neukölln), hatten ein großes gemeinsames Problem: Sie mussten auf die massenhafte Zuwanderung reagieren und konnten es nicht, weil getrennte Verwaltungen den Weg versperrten, gemeinsame Lösungen für den Ballungsraum Berlin zu finden. Wohnungen oder ein Ausbau der Verkehrswege wurden oft aneinander und an den Bedürfnissen vorbei geplant. Dennoch war der Widerstand gegen eine Verwaltungsreform im Sinne eines "Groß-Berlin" enorm. Während sich die Berliner Kommunalpolitiker für einen solchen Zusammenschluss stark machten, hielten besonders die vornehmen westlichen und südwestlichen Vorortgemeinden nichts davon. Sie weigerten sich entschieden, mit Berlin und den Arbeitervorstädten des Nordens und Ostens in einen Topf geworfen zu werden. Von dort wanderten nämlich die bürgerlichen Schichten zunehmend in die Vororte ab.
Die finanzielle Situation Berlins verschlechterte sich zusehends, während die Fluktuation Gemeinden wie Zehlendorf, Wilmersdorf oder Charlottenburg kräftige Steuerzuwächse bescherte. Prächtige Gründerzeitfassaden und Rathäuser zeugen noch heute vom Stolz jener Tage. Angesichts der immer unhaltbarer werdenden kommunalpolitischen Zustände wuchs jedoch der Druck so sehr, dass 1911 immerhin ein "Zweckverband Groß-Berlin" gegründet wurde, der im Namen schon ausdrückt, was er nicht war: eine "Liebesverbindung". Davon zeugt auch ein aus Spandau überlieferter Spruch jener Zeit: "Mög schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband." In dessen Rahmen konnten sich Städte und Gemeinden zur Lösung einzelner kommunaler Aufgaben zusammenschließen; allerdings blieben die meisten Projekte bereits in der Planungsphase stecken und der Erfolg eher mäßig.
1920 war es dann schließlich doch soweit: Jahrelange Bemühungen, besonders der Berliner Sozialdemokraten, machten nach dem Ende der Monarchie den Weg frei für das "Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin". Es beinhaltete einen absolut einmaligen Vorgang, an dessen Ende die neue Großgemeinde eine Stadt der Superlative wurde: den Zusammenschluss von acht Städten - Berlin, Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf -, 59 Landgemeinden unterschiedlichster Größe und 27 Gutsbezirken zu 20 neuen Verwaltungsbezirken. Berlin mit nun vier Millionen Einwohnern hatte sich von 66 auf 883 Quadratkilometer ausgedehnt. Mit dem Gesetz wurde zudem der rechtliche Rahmen für die Selbstverwaltung der Bezirke geschaffen: Bezirksämter, Bezirksversammlungen und Bezirksdeputationen. Diese Organe konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Bedeutung nicht mehr die gleiche war. Das Eingriffs- und Kontrollrecht des Magistrats war unübersehbar, denn die Bezirksverwaltungen wurden lediglich als "ausführende Organe des Magistrats" definiert.
Ohne Reibung vollzog sich dieser Eingemeindungsprozess schon damals nicht. So führten Zwistigkeiten um Kompetenzverteilungen dazu, dass sich bald danach einige Bezirke wieder von Berlin lösen wollten, darunter Spandau und Köpenick, heute Treptow-Köpenick. Dank ihrer damaligen Erfolglosigkeit gehören sie heute immer noch dazu. Mittlerweile scheinen sie sogar einige Gemeinsamkeiten entwickelt zu haben. Im Nordwesten beziehungsweise Südosten der Stadt gelegen kann es schon 90 Minuten dauern, um von einem in den anderen Bezirk zu gelangen. Ohne konkreten Anlass tut das kaum jemand. "Es ist die Randlage, die auch eine bestimmte Kultur hervorbringt", beschreibt Andrea Theissen die Gemeinsamkeiten von Spandau und Treptow-Köpenick: "Im 19. Jahrhundert entstanden hier wie dort zahlreiche Ausflugslokale. Man fuhr ?raus', und in andere Bezirke fuhr man ?rein'." Das ist heute immer noch so und markiert eine imaginäre Grenze, ab der man drinnen und draußen ist. Natur und Wasser charakterisieren beide Bezirke und verbinden die Menschen mit diesen in besonderer Weise.
Nicht nur Andrea Theissen, auch ihre Kollegin aus Treptow hebt diesen Punkt hervor. Aber: "Sie sind alle Berliner, wohnen in einer Metropole und sind sich dessen auch bewusst. Sie sind auch offen für vielfältige Kulturen, die es hier gibt", sagt Barbara Zibler, Leiterin des Heimatmuseums Treptow. Und noch eine entscheidende (wenn auch trennende) Gemeinsamkeit gibt es; eine die die Berliner nicht nur in Spandauer und Treptower und Köpenicker teilt: "Der Berliner ist ein Kiezmensch", sagt Theissen. Und Barbara Zibler fügt hinzu: "Baumschulenweger sind Baumschulenweger und nicht Treptower und erst recht nicht Treptow-Köpenicker." Das muss kein Widerspruch zum Metropolenbewusstsein sein. Vielmehr bildet das nahe Wohnumfeld den überschaubaren Rahmen, der Orientierung verspricht. Man lehnt die Metropole nicht ab, nur "weil man sich über den Kiez auch der Anonymität der Millionenstadt entzieht", skizziert Theissen das Wechselspiel.
Beim Gang durch die engen Gassen der Spandauer oder Köpenicker Altstadt merkt man von einer Millionenstadt tatsächlich nicht viel. Ob ehemalige Fischerhütten im Südosten oder die Zitadelle in Spandau - "über solche Gebäude drückt sich Geschichte aus und über sie gelingt es, sich mit dem Ort zu identifizieren", sagt Andrea Theissen. Und so wundert es wenig, wenn beide Museumschefinnen auf die Frage, was das Besondere an beiden Bezirken ist, antworten: "Die Geschichte".
Konflikte über die Zusammenlegung mit Köpenick und den neuen Namen hat es in Treptow nicht gegeben, so Zibler. Letztlich sei das - im Gegensatz zu anderen Bezirken - mehr als Verwaltungsakt empfunden worden. Die Harmonie hier im Süden führt jedoch keineswegs dazu, alles in einen Topf zu werfen, und so betont die Museumsleiterin auch Unterschiede: "Köpenick war ja eine richtige kleine Stadt, wohingegen sich Treptow mehr aus kleinen Dorfgemeinden zusammensetze. Beide haben also eine recht unterschiedliche Geschichte. Es wäre schwierig, hier inhaltlich eine gemeinsame Klammer zu finden." Also gibt es, trotz Fusion, immer noch zwei Heimatmuseen.
Dennoch müssen sie über den engen historischen Bezug hinausschauen und eine Einordnung in den großen Rahmen Berlin versuchen. Regelmäßig trifft sich ein Arbeitskreis der Museen, um über gemeinsame Projekte zu beraten. Andrea Theissen begründet warum: "Wir haben gemerkt, dass nur wenn wir uns abstimmen auch so etwas wie ein Berliner Gesamtkomplex herauskommt."
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.