Über die Drogenpolitik wurde in der (gescheiterten) Föderalismuskommission nicht gesprochen. Kein einziger Satz wurde darüber verloren, wenn man die veröffentlichten Protokolle studiert. Dabei wäre dieses - zugegeben eher randständige - Politikfeld eine geeignete Materie gewesen, den Ländern beziehungsweise Landtagen mehr Kompetenzen als bisher einzuräumen.
In der Drogenpolitik bestimmt der Bund, wo es lang geht. Die Bedeutung der Länder beschränkt sich auf einige Gestaltungsspielräume in den Bereichen Prävention und Hilfe. Im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) definiert der Bund nicht nur den Strafrahmen für den Besitz von und den Handel mit Drogen, sondern es finden sich dort auch Bestimmungen über die Hilfen für Abhängige. Beispielsweise ist dort der Charakter der Methadonbehandlung als "Therapie zweiter Wahl" festgeschrieben. Diese Übermacht des Bundes ist eine der wesentlichen Ursachen für den nach wie vor vorhandenen Reformstau beziehungsweise die ungelösten Fragen in der Drogenpolitik. An erster Stelle sei hier der Ausbau des Hilfesystems genannt: Kann mit einer - bislang aufgrund der Bundespolitik nicht möglichen - niedrigschwelligen Methadonvergabe, der gezielten Förderung von Spritzentauschprogrammen in Gefängnissen oder dem Auflegen von sekundärpräventiven "Drug-Checking-Programmen" das Spektrum von Hilfen sinnvoll erweitert werden? Auch bei der ewigen Streitfrage, wie Politik rational mit dem Cannabiskonsum verfahren soll (Legalisierung, Entkriminalisierung oder Festhalten am Verbot), wären wir einen Schritt weiter, wenn Modellprojekte, wie das Schleswig-Holsteinische Abgabemodell "Cannabis in Apotheken", durchgeführt werden könnten.
Um den Reformstau zu beseitigen, muss der Föderalismus in der Drogenpolitik gestärkt werden. Die Länder müssten mehr Möglichkeiten erhalten, ihre eigenen, den regionalen Bedingungen angemessenen Antworten auf das "Drogenproblem" zu geben. Dies könnte auch das - zeitlich und räumlich begrenzte - Erproben von neuen Hilfeformen sein. Versuch macht klug! Dadurch könnte es zu einem "föderalen Wettbewerb" um die bessere Drogenpolitik kommen und sich eine zeitgemäße und bedarfsorientierte Drogenpolitik durchsetzen.
In der Schweiz hat sich über die Kantone (den Bundesländern vergleichbar) ein modernes Drogenhilfesystem entwickelt. Schon seit den 70er-Jahren wird bei den Eidgenossen Vielfalt in der Suchthilfe groß geschrieben: Das, was den Abhängigen hilft, konnte sich über die Gliedstaaten etablieren. Auch die beabsichtigte - zurzeit jedoch aufs Eis gelegte - Teil-Legalisierung von Cannabis fand dort ihren Ausgangspunkt. Ferner sei Australien genannt: Hier hat sich die Methadonbehandlung über die regionalen Gebietseinheiten etabliert. Das Gegenbeispiel ist Frankreich: In dem zentralistischen Staat wurde jahrzehntelang eine einseitig abstinenzorientierte und repressive Drogenpolitik betrieben.
Allerdings kann es auch zu einem Paradigmenwechsel auf zentraler Ebene kommen; dann sind die Effekte flächendeckend. In Politikfeldern wie der Drogenpolitik, in denen sich überzeugungs- und verantwortungsethische Konfrontationslinien überschneiden, ist jedoch die politische Blockade wahrscheinlicher als ein "Durchbrucheffekt" auf der zentralen Ebene.
Die Länder selbst fordern schon seit längerer Zeit mehr Rechte in der Drogenpolitik. So zielte ein Vorschlag der Gesundheitsminister-Konferenz (GMK) von 1998 darauf, die Länderkompetenzen in der Suchthilfe und Drogenpolitik zu stärken - vor allem in den Bereichen Prävention, Behandlung und Rehabilitation. Fünf Jahre später deklarierte die GMK erneut ihre primäre Zuständigkeit für die Ausgestaltung und Umsetzung suchtpolitischer Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen Prävention und Hilfen. Und der schleswig-holsteinische Landtag hat vor einiger Zeit gefordert, dass den Bundesländern durch eine Änderung des Betäubungsmittelrechts das Recht zur Durchführung eigener Modellversuche eingeräumt werden sollte.
In anderen Ländern der Europäischen Union gibt es ähnliche Tendenzen: Kompetenzen der Suchthilfe und Drogenbekämpfung werden zunehmend von der zentralen auf die regionale oder lokale Ebene verlagert. In Dänemark wurden beispielsweise die Regionen mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet; in Österreich die Koordination der Suchthilfe in den neun Bundesländern gestärkt.
Was ist von diesem Trend zu halten? In der Politik der Drogenhilfe ist föderativer Wettbewerb zu begrüßen, denn er ist innovativ: Neue Hilfsangebote können erprobt und damit die Vielfalt in der Drogentherapie gestärkt werden. Zudem kann den besonderen Situationen vor Ort Rechnung getragen werden. Denn die Drogenprobleme in Stadtstaaten und Ballungszentren wie Hamburg oder Frankfurt sind anders gelagert als in Flächenländern wie Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern.
Möglicherweise würde mehr Eigenständigkeit der Länder auch dazu beitragen, die immer noch ideologisierte drogenpolitische Kontroverse zu entspannen, wenn unterschiedliche Lösungen in strittigen Fragen möglich wären, die sich dann im föderativen Wettbewerb bewähren könnten. Gerade dort, wo es im modernen Staat um mehr geht als um rechtliche Regulierung und finanzielle Zuteilung, erscheint die politische Gestaltung durch die Länder aufgrund deren größerer Nähe zu den Bürgern sinnvoll. Auch die Beteiligung der Betroffenen könnte bei einem drogenpolitischen Kompetenzgewinn der Länder verbessert werden: durch eine leichtere Überschaubarkeit der Zuständigkeiten und direkteren Kontakt zu den politischen Entscheidungsträgern.
Aber spricht nicht das Sozialstaatsprinzip gegen eine Föderalisierung der Drogenhilfepolitik? Eine ernstzunehmende Kritik könnte lauten: Es stelle einen Verstoß gegen die Chancengleichheit von Drogenabhängigen dar, wenn ein Suchtkranker beispielsweise in Bayern andere Behandlungsmöglichkeiten hätte als ein Betroffener in Hamburg - insbesondere da drogenabhängige Menschen meist nicht für eine Therapie oder ein Beratungsangebot einfach das Bundesland wechseln könnten und bestimmte Leistungen häufig an den Wohnsitz der Hilfesuchenden gekoppelt sind.
Hier zeigen sich die Grenzen föderalistischer Politik in diesem Land. Extreme Abweichungen zwischen den Bundesländern müssten in der Drogenhilfe in jedem Fall vermieden werden. Das Instrument hierfür heißt Rahmengesetzgebung: Der Bund setzt einen Rahmen, mit dem mehr Modellversuche ermöglicht und die landespolitischen Spielräume in den Bereichen Prävention, Hilfe und Therapie erweitert werden. In einem solchen Gesetz könnte beispielsweise geregelt sein, dass die Methadonbehandlung generell eine anerkannte und gleichberechtigte Therapieform ist. Wie die Hilfe dann konkret organisiert wird, fiele aber in die Zuständigkeit der Länder.
Die Grundlagen der Drogenhilfe und Suchtbehandlung sollten deshalb in einem Rahmengesetz des Bundes ("Sucht- und Drogenhilfegesetz") neu geregelt werden. Damit wäre eine Novellierung des zentralistischen, extrem regulierenden Betäubungsmittelgesetzes unumgänglich. Denn seine einschränkenden Bestimmungen haben bislang die innovative Weiterentwicklung therapeutischer und helfender Angebote auf der Landesebene erheblich behindert.
Ein richtiger Schritt in diese Richtung ist die vom Bundesgesundheitsministerium erarbeitete Regelung zur rechtlichen Absicherung von Gesundheitsräumen: Ob diese Hilfeeinrichtungen, in denen sich Abhängige unter Aufsicht und hygienisch einwandfreien Bedingungen ihren "Schuss" setzen können, eingerichtet werden oder nicht, entscheiden jetzt die Länder allein.
Eine neue Nagelprobe für das Verhältnis zwischen Bund und den Ländern in der Sucht- und Drogenpolitik könnte das sich in der Planung befindliche Präventionsgesetz werden (dieses betrifft den gesamten Gesundheitsbereich). Hier fordern die Bundesländer selbstbewusst, dass es keine Detailvorgaben des Bundes für die Umsetzung auf der Länderebene geben sollte; diese sollten den Akteuren vor Ort entsprechend den spezifischen Erfordernissen vorbehalten bleiben.
Einer föderativen Gestaltung der Drogenpolitik könnten sich wohl auch diejenigen Bundesländer nur schwer verweigern, die nach wie vor einen eher traditionellen Kurs fahren. Denn gerade diese Länder - Bayern und Baden-Württemberg - singen sonst das Hohelied des Föderalismus und fordern mehr Eigenständigkeit. Auch wenn sie größere Länderkompetenzen dazu nutzen könnten, in ihrem Bundesland die Einführung neuer Hilfeangebote zunächst abzulehnen - bei einer erfolgreichen Erprobung in anderen Ländern kämen sie auf Dauer in Begründungsnot. Die föderale Drogenpolitik könnte also diejenigen Hilfeformen und Therapieangebote fördern, die sich in der Praxis bewährt haben und deren Erfolg sich wissenschaftlich belegen lässt. Ideologischen Argumenten würde sie den Boden entziehen.
Dr. Jens Kalke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD, Hamburg).