Abdulaziz ist ein typischer Vertreter der neuen Generation von Scheichs. So selbstverständlich er in traditioneller Kleidung Gäste empfängt und Gespräche im Fünfminutentakt durch Reichung neuer Süßigkeiten und Getränke unterbrechen lässt, so sicher beherrscht er das globale Demokratisierungsalphabet von Accountability (Verantwortlichkeit) bis Ownership (Besitz) und Rule of law (Rechtsstaatlichkeit). Am Reformdiskurs kommt heute kein Akteur der Region mehr vorbei, ob religiöser oder weltlicher Scheich, in Bahrain oder bei den Nachbarn.
Die kleinen im Golfkooperationsrat zusammengeschlossenen Staaten Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Oman - der große sechste im Bunde ist Saudi-Arabien - werden von Europa meist als homogene Staatengruppe wahrgenommen. Es regieren Dynastien - die herrschenden Familien stellen neben dem Emir die wichtigsten Entscheidungsträger - deren traditionell schwache Autorität erst durch Öleinnahmen konsolidiert wurde. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten.
Heute sind die ökonomischen Grundlagen im armen Bahrain oder im schwerreichen Abu Dhabi wenig vergleichbar. Auch die ethnische und religiöse Zusammensetzung der jeweiligen Bevölkerung variiert beträchtlich. In der komplexen bahrainischen Gesellschaft mischen sich Araber und Perser sunnitischer und schiitischer Denomination; nur eine Minderheit, darunter die Königsfamilie, ist sunnitisch-tribaler Herkunft. Solche Gruppen bilden dagegen die große Mehrheit der Staatsbürger in den Emiraten und Katar.
Schließlich unterscheiden sich die Institutionen erheblich. So verfügt Kuwait seit 1963 über ein partiell gewähltes Parlament mit weitgehenden legislativen Befugnissen, wahlberechtigt indes waren aufgrund des Mehrklassensystems kuwaitischer Staatsangehörigkeit bis vor kurzem nur rund zehn Prozent der Bevölkerung. Am anderen Ende stehen die VAE, in denen keine Wahlen stattfinden. Die Liberalität, mit denen die Emirate werben, beschränkt sich noch auf Alkoholausschank. Auch die kürzlich erfolgte Berufung der ersten Frau in ein emiratisches Ministeramt lässt die Autokratie unberührt.
Oman nimmt hinsichtlich der Partizipationsmöglichkeiten eine mittlere Position unter den Golfstaaten ein. Das Sultanat experimentiert mit einer Kombination aus direkten und indirekten Wahlen zu einem beratenden Gremium ohne legislative Kompetenzen. Katar wird - dank des TV-Senders Al Dschasira - im Ausland häufig als reformfreudig wahrgenommen. Doch wurden von den hochfliegenden Plänen allein die Gemeinderatswahlen in der Hauptstadt umgesetzt. Die seit einigen Jahren angekündigten nationalen Wahlen zu einem partiell gewählten Parlament werden irgendwann folgen, doch an die Etablierung von politischen Vereinigungen wagt im Land, das selbst kulturelle Clubs meist untersagt, noch niemand zu denken.
Den größten Reformeifer zeigte in letzten Jahren Bahrain, das auf ein Parlament mit aktiven politischen Vereinigungen und eine lebhafte Zivilgesellschaft verweisen kann. Der Reformkurs des Inselstaats ist auch ökonomisch motiviert. Bahrain verfügt über keine nennenswerten Ölreserven mehr. So sieht sich die herrschende Elite gezwungen, neue Wege zu gehen. Die Legitimität der Herrscher kann sich nicht mehr auf die Verteilung von Reichtümern ("Öl-Rente") stützen. Andere Einkommensquellen müssen genutzt werden: Die ökonomische Diversifizierung seit den 80er-Jahren führte dazu, dass sich Bahrain als regionales Finanzzentrum und als beliebtes Ziel für Wochenendtouristen aus den sittenstrengeren Nachbarstaaten etablierte. Mittwochnacht bis Freitag sind die Inseln fest in der Hand vergnügungssüchtiger Saudis, Kuwaitis und Kataris. Beide Einkunftsmöglichkeiten erweisen sich jedoch als höchst anfällig gegenüber inneren Unruhen. Gerade solche prägten die 90er-Jahre. Die Opposition hatte versucht, die autoritäre Herrschaft der Al Khalifa zu begrenzen und ließ sich auch durch härteste Polizeimaßnahmen nicht unterdrücken. Der Konflikt lud sich religiös auf und wurde zunehmend als einer zwischen der unterrepräsentierten schiitischen Mehrheit und den sunnitischen Klienten der Königsfamilie wahrgenommen. Um die sozialen und politischen Konflikte zu beenden, optierte die Elite seit der Thronbesteigung von Scheich Hamad bin Issa Al Khalifa (1999) für eine gesteuerte Liberalisierung. Anfänglich war das Reformtempo beeindruckend: Der Generalamnestie aller politischen Häftlinge folgte 2001 ein Referendum über die "Nationale Charta", die den politischen Neuanfang festschreiben sollte. Das parlamentarische Leben sollte (wieder) aufgenommen und eine konstitutionelle Monarchie aufgebaut werden, in der Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Transparenz herrschten.
2002 verkündete Scheich Hamad die grundlegend novellierte Verfassung, an der sich heutige Konflikte entzünden. Der gewählten Kammer des Parlaments wurde eine gleich große zweite, der Schura-Rat, zur Seite gestellt. Dessen Mitglieder werden durch den König ernannt. Nach Herrscherlesart dient diese Kammer, in die Geschäftsleute, Frauen und Vertreter religiöser Minderheiten berufen wurden, als Schutz gegen religiösen Extremismus, da beide über dieselben legislativen Kompetenzen verfügen. Für die Regierungsüberwachung und Budgetkontrolle ist jedoch allein die gewählte Kammer zuständig. Die noch 2002 abgehaltenen Parlamentswahlen wurden aus Protest gegen dieses Arrangement von vier politischen Vereinigungen boykottiert - so auch vom schiitisch-islamistischen al-Wifaq, der mitgliederstärksten politischen Vereinigung des Landes. Die außerparlamentarische Opposition versucht seither, die Straße zu mobilisieren, um die Verfassung zu ändern.
Trotz Freiheiten, die in den Nachbarstaaten keine Parallele finden - seit 2002 sind Restriktionen für Vereine und politische Zusammenschlüsse aufgehoben, die boomende oppositionelle Presse kann unzensiert über politische Debatten berichten -, zeigen viele Bürger wenig Enthusiasmus. "Können die USA wirklich eine Regierung unterstützen, die, wenn sie zwei Schritte vorwärts geht, gleich drei Schritte rückwärts anschließt?", nimmt die Politikwissenschaftlerin und Aktivistin Munira Fakhro den ehemaligen Chef in Powells Planungsstab, Richard Haas, ins Gebet. Dessen Golftour führt ihn im Mai 2005 wieder nach Bahrain, dem US-Vorzeigestaat. Erwartungsgemäß lobt er das Königreich als Vorbild für die Region. Aber auch die Oppositionellen haben sich modernisiert und versuchen bevorzugt, Innenpolitik über Bande zu spielen: US-Akteure sollen den Reformdruck auf König Hamad erhöhen. Fakhro legt gegenüber Haas nach: "Ist dies eine Demokratie? Oder verdienen wir nur eine zweit-rangige Version?" Als dieser in gedrechselten Wendungen auf die vielen gesellschaftlichen Bedingungen, die der Etablierung einer starken Legislative vorausgehen müssten, verweist, breitet sich unwillkürlich ein Lächeln auf dem Gesicht des Vizeaußenministers Abdulaziz aus: "Daran arbeiten wir und Sie müssen uns helfen. Wir wollen nicht sein wie die anderen arabischen Systeme, wir wollen mehr: Wir wollen mit Euch ganz oben stehen."
Dies hält ein substanzieller Bevölkerungsanteil Bahrains für leere Versprechungen. Demonstrationen unter dem Slogan "Verfassungsreform zuerst" ziehen Tausende von Unterstützern an. Nach libanesischem Vorbild hüllen sich die Demonstranten in bahrainische Flaggen - die Hisbollah- und Chomeini-Banner sind verschwunden. Der Hauptorganisator der Proteste, al-Wifaq, ist bemüht, sich im Mainstream des globalen Demokratie-Aktivismus zu bewegen, sehr zum Gefallen seiner linksliberalen Alliierten. Sie alle eint das Verständnis der bisherigen Reformen als Kosmetik: "Die Regierung gewinnt doch nur Zeit, um sich weiter zu bereichern", so Fakhro, selbst Mitglied der linken al-Amal al-Watani. Ein Unwohlsein beschleicht die liberale Fakhro doch, wenn sie sich ihre Alliierten ansieht, denn auf den vom Wifaq dominierten "Verfassungsreform zuerst"-Demonstrationen ist sie die einzige Frau im Männerblock. "Wir haben aber zurzeit keine Wahl. Die Islamisten stellen seit den 80er-Jahren die Mehrheit. Deshalb will ich, ehrlich gesagt, auch kein zu 100 Prozent gewähltes Parlament; aber zumindest zwei Drittel der Abgeordneten müssen gewählt werden."
Damit spricht sie ein Dilemma an, auf das die Opposition noch keine überzeugende Antwort gefunden hat: Je mehr tatsächliche Entscheidungsbefugnisse den gewählten Parlamentariern gewährt werden, desto stärker wird die Gesetzgebung islamisiert. Schon heute besteht die Mehrheit der gewählten Kammer Bahrains aus Islamisten. Die größte Fraktion bilden die Muslimbrüder, gefolgt von ebenfalls sunnitischen, an Saudi-Arabien orientierten Salafis. Schiiten sind im Parlament wegen des Boykotts nur als Unabhängige vertreten. Einerseits lässt Partizipation die Einstellungen der Islamisten vor allem in der Außenpolitik moderater werden. Gleichzeitig versuchen die Abgeordneten dadurch Profil zu gewinnen, islamische Moralvorstellungen durchzusetzen. In der gewählten Kammer verabschiedete Gesetzesvorlagen schränken so den Alkoholverkauf ein und erlauben Auto fahrenden Frauen, sich mit komplettem Gesichtsschleier ans Lenkrad zu setzen. Die vorparlamentarische Regierungspolitik dagegen wollte die Verschleierung erschweren: Autofahren war nur ohne Schleier möglich.
Besonders kontrovers ist die verabschiedete Einrichtung eines Komitees, das "das Gute anordnen, das Schlechte unterbinden" soll. Das Parlament sorgt also im liberalen Bahrain dafür, die Art von Sittenpolizei einzurichten, die man beim großen Nachbarn gerne loswerden würde und die weder den Tourismus noch die Bankenansiedelung befördern dürfte. So fällt es Scheich Abdulaziz leicht zum erprobten Argument zu greifen: "Wissen Sie, ich bin glücklich, dass wir einen Schura-Rat haben, denn ich will keine religiöse Gesetzgebung. Aber, ich verrate Ihnen etwas: meine Frau ist noch viel glücklicher darüber, als ich es bin."
Katja Niethammer ist Thyssen-Stipendiatin der Stiftung Wissenschaft
und Politik, Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika.