Dass sich unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Iran viel verändern würde, haben die meisten Beobachter befürchtet. Dass auch die EU ihre konziliante Haltung gegenüber dem islamischen Land so schnell aufgeben könnte - damit haben auch nach der Wahl des Ultrakonservativen zum neuen Präsidenten wohl nur wenige gerechnet. Noch vor rund zwei Monaten sagte die Grünen-Politikerin Angelika Beer, Vorsitzende der Iran-Delegation des Europaparlaments: "Die Amerikaner müssen die Wirtschaftssanktionen gegen Iran aufheben und dem Land eine Sicherheitsgarantie geben." Doch bei der jüngsten Gouverneursratssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am 24. September waren es gerade die EU-Staaten, allen voran England, Deutschland und Frankreich, die forderten, den UN-Sicherheitsrat sofort einzuschalten. Dies wäre der erste Schritt auf dem Weg zu Sanktionen gewesen.
Die Kritiker des EU-Vorschlags, wie zum Beispiel China, Russland und Indien, haben erreicht, dass der Rat nach zähen Diskussionen nur eine abgeschwächte Resolution verabschiedet hat. Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, der Beschluss der IAEA sei "ein überzeugendes Ergebnis und ein klares Signal an Teheran".
Die Resolution verurteilt den Iran wegen seines Atomprogramms und listet zahlreiche Verstöße gegen das so genannte Sicherheitsabkommen zwischen dem Iran und der IAEA auf, verlängert aber die Frist für diplomatische Verhandlungen um einen weiteren Monat.
Doch es bleibt offensichtlich: Der Streit um das Atomprogramm des Irans hat sich in den letzten Monaten drastisch zugespitzt. Der Grund dafür sind die jüngsten atompolitischen Schritte der iranischen Regierung, betonen die Europäer. Anfang August hatte der Iran die Uranumwandlungsanlage in Isfahan wieder in Betrieb genommen, wo eine Vorstufe des umstrittenen angereicherten Urans hergestellt wird - Uran, das nicht nur für Kernkraftwerke, sondern auch für Atomwaffen genutzt werden kann.
Aufgrund der Verhandlungen zwischen der alten iranischen Regierung unter Präsident Chatami und Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatte die Produktion in Isfahan jahrelang geruht. Die neue iranische Regierung besteht dagegen darauf, einen eigenen und vollständigen nuklearen Brennstoffkreislauf zu entwickeln und hat bereits angekündigt, weitere Anlagen zu eröffnen. Die Iraner lehnten sogar das Angebot der Europäer ab, die wirtschaftliche und politische Unterstützung zugesagt hatten, sollte das islamische Land auf sein umstrittenes Atomprogramm verzichten. Man tausche keine "Perle gegen Schokoladenriegel" begründete der konservative neue iranische Atomunterhändler Ali Larijani die Absage.
Die Haltung der neuen iranischen Führungsriege wirkt kompromisslos. Dabei ist die Forderung, Uran anreichern zu dürfen, weder neu, noch allein eine Position der Ultrakonservativen. Im Gegenteil: Selbst die progressive Jugend glaubt, dass das iranische Atomprogramm eine Frage vom nationalen Interesse sei und lehnt die Einmischung der internationalen Gemeinschaft ab. In den vergangenen Wochen haben junge Menschen sogar für die harte Haltung in der Atomfrage demonstriert.
Genau wie die Regierung betonen die Menschen, dass es nicht um den Bau von Atomwaffen gehe, sondern allein darum, genügend Strom zu erzeugen. Da die meisten Kernkraftwerke mit angereicherten Uranbrennstäben arbeiten, sei das Programm eine Voraussetzung dafür, das Land wirtschaftlich zu entwickeln. Wenn es die internationale Gemeinschaft den Iranern verbiete, selbst Uran anzureichern, dann nur aus eigenen wirtschaftlichen Gründen und weil sie das Land abhängig vom Ausland halten wolle. Denn ohne Urananreicherung müsse der Iran die Kernbrennstäbe aus dem Ausland exportieren.
Die iranische Regierung unter Präsident Ahmadinedschad hat in der Atomfrage also im Grunde keine neue Haltung, sondern sie verteidigt die bestehende Position lediglich härter und kompromissloser als es Präsident Chatami getan hat. Genau das erwartet die Mehrheit seiner Wähler von ihm, und das hat auch psychologische Gründe. Iraner sind stolz. Sie sehen sich als jahrhundertealte Kulturnation und wenn man vom Alltagsverhalten auf Kultur schließen kann, so kann man diesen Anspruch nur unterstreichen. Iraner verhalten sich im täglichen Miteinander höflich, rück-sichtsvoll und äußerst zivilisiert. Trotzdem gilt ihr Land als "Schurkenstaat", und unter dem Motto Toleranz zwingt man ihnen gern westliche Regeln auf.
Wenn bei diplomatischen Empfängen beispielsweise Wein gereicht wird oder Männer den Frauen zur Begrüßung die Hand reichen, hat ein traditionell denkender Iraner die Wahl, seine kulturellen und religiösen Werte zu übertreten oder unhöflich zu sein - beides bedeutet Gesichtsverlust. Den habe man in den letzten Jahren viel zu oft hingenommen, so die Stimmung im Lande.
Auch die internationale Auseinandersetzung über das iranische Atomprogramm wird von vielen in diesem Zusammenhang gesehen. Sie empfinden es daher als wichtig, dass der neue iranische Präsident in all diesen Fragen eine härtere Politik verfolgt als sein Vorgänger.
Dem alten Präsidenten Chatami hätten die Europäer vielleicht noch geglaubt, dass auch die jüngsten atompolitischen Schritte des Irans keine Gefahr für die Welt bedeuten. Dem konservativen Präsidenten Ahmadinedschad glauben sie es nicht. Der sich zuspitzende Streit ist auch ein Zeichen für geschrumpftes Vertrauen.